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Am Rande des Bundesparteitags der Linkspartei.PDS am 10./11.Dezember
erklärte deren Bundesvorsitzender Lothar Bisky, es könne auch auf Bundesebene mit einer
Regierungsbeteiligung der Linkspartei «blitzschnell» gehen: «Ich möchte meiner Partei
dringend empfehlen, da keine ewigen Regeln festzulegen.» Im Kooperationsabkommen III, einem neuen
«Rahmenabkommen zum Parteibildungsprozess zwischen Linkspartei/PDS und WASG», wird in Punkt 2,
Absatz 2 positiv Bezug auf ein «Potsdamer Dreieck» genommen, was keinen Autobahnabschnitt,
sondern ein «strategisches» Konstrukt bezeichnen soll, wonach soziale Proteste, Antikapitalismus
und Regierungsbeteiligungen eine Einheit bilden.
Tatsächlich geht es blitzschnell mit dem Anpassungsdruck, der auf WASG und die
Bundestagsfraktion Die Linke ausgeübt wird und der in offenem Widerspruch zu deren geltenden
programmatischen Positionen steht. Im WASG-Programm heißt es: «An einer Regierung im Bund werden
wir uns nur dann beteiligen, wenn dies zu einem grundlegenden Politikwechsel in Richtung unserer
Forderungen führt.»
In NRW hatte die WASG in ihrem Wahlprogramm
für die Landtagswahl im Mai 2005 festgelegt: «Wir werden mit keiner Partei zusammenarbeiten, die
dazu beiträgt, den arbeitnehmerfeindlichen Kurs der Bundesregierung fortzusetzen und die Agenda 2010
… umzusetzen. Die Regierungsbeteiligungen der PDS und der Grünen sind uns ein mahnendes Beispiel
für den Verlust von Glaubwürdigkeit.»
Es war diese Haltung, die sich ausgezahlt
hat. Die WASG-Mitgliedschaft wuchs stürmisch von 3500 Mitgliedern im Frühjahr 2005 auf derzeit
11000. Bei der NRW-Landtagswahl im Mai kandidierte die WASG erstmals, damals ohne Oskar Lafontaine und
gegen den Willen des WASG-Parteivorstands, und erreichte mit wenig Geld 2,4% der Stimmen. Die PDS hatte auf
einer eigenen Kandidatur bestanden und kam auf 0,9%.
Als Kanzler Gerhard Schröder auf
Neuwahlen zusteuerte, einigten sich PDS und WASG schnell auf ein gemeinsames Vorgehen. Es kam nicht zur
Bildung einer gemeinsamen Wahlpartei, sondern zur Umbenennung der PDS in Linkspartei, die auf ihren
«offenen Listen» auch WASG-Kandidaten plazierte. Bei der Bundestagswahl am 18.September wurden
die PDS-Stimmen von 2002 von 4,1% auf 8,7% mehr als verdoppelt. Die neue Bundestagsfraktion der Linken
zählt 54 Abgeordnete, darunter sind 12 WASG-Mitglieder.
Der Erfolg der Linkspartei.PDS ist in
erheblichem Maß auf die WASG zurückzuführen, was sich auch darin ausdrückt, dass die
Stimmen in Westdeutschland sich gegenüber 2002 mehr als vervierfacht haben. In den Augen eines
Großteils der Wähler kandidierte eine neue Partei. Eine Identifikation mit der PDS, die im Mai
2002 während des Bush-Besuchs in Berlin ihren Senatsmitgliedern verbot, gegen Bush zu demonstrieren,
die, vermittelt über die SPD-PDS-Landesregierung in Schwerin, im Bundesrat 2001 für die
Steuerreform stimmte und 2003 im Verfassungskonvent des Europäischen Parlaments den EU-
Verfassungsentwurf unterzeichnete, fand nur bedingt statt.
Dieser Eindruck konnte durch das
Wahlprogramm der Linkspartei.PDS verstärkt werden. Dort sind Positionen formuliert, die eine
Regierungsbeteiligung im Bund faktisch ausschließen und auf Landesebene zumindest in Frage stellen. So
heißt es dort: «SPD, Grüne, CDU/CSU und FDP … vertreten lediglich unterschiedliche
Varianten des Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach oben.»
Doch der Anpassungsprozess scheint kaum aufhaltbar zu sein. Ein Bericht von zehn Mitgliedern des
Länderrats der WASG vom 8.Dezember über eine Sitzung dieses Länderrats am 3. und 4.12. in
Leipzig, der eine kritische Bilanz dieses Anpassungskurses zog, wurde im Mitglieder-Info der WASG von der
Redaktion abgewatscht. Dabei wird die «Trotzkismus-Keule» geschwungen und argumentiert, die
Kritikerinnen und Kritiker würden «politisch-ideologische Vorbehalte» vortragen und eine
«symbolische Politik» vertreten, «wie sie auch von der SAV betrieben» wird. Ulrich
Maurer, führender WASG-Vertreter in Baden-Württemberg, gleichzeitig Mitglied der Linkspartei, sah
bereits «Trotzkisten» am Werk, bei deren Anblick «sich Trotzki im Grab umdrehen»
würde.
Nun beschränkt sich die bisherige
Debatte zwischen Linken in der WASG und den Bundesvorständen von WASG und Linkspartei keineswegs auf
abstrakte Worte der Anpassung. Sie wurde Ende 2005 recht praktischer Natur. Und dies nicht in Hoyerswerda
oder Kaiserslautern, sondern in der Hauptstadt Berlin, was, wie es Lothar Bisky formulierte, einen
«großen Stolperstein» auf dem Weg der reibungslosen Einheit darstellt.
Man erinnert sich: Die Berliner
Linkspartei.PDS hat es im Vorfeld der Bundestagswahl erfolgreich abgelehnt, dass auf der Berliner
Landesliste ein Mitglied der «Gurkentruppe» WASG Berlin kandidiert. Stattdessen wurde ein Mann in
den Bundestag gehievt, der in der Nähe des türkischen Nationalismus steht. Die Berliner WASG
fasste auf ihrem Landesparteitag am 26./27.November mit Zwei-Drittel-Mehrheiten Beschlüsse, die von
der Linkspartei einen Bruch mit der neoliberalen Regierungspraxis und gegebenenfalls einen Austritt der
Linkspartei aus der Landesregierung verlangen. Ist die Linkspartei in der Hauptstadt nicht zu einer solchen
politischen Umorientierung bereit, so will die WASG bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Oktober
2006 als eigenständige Partei antreten.
Dagegen brachten die Führungen der
Linkspartei in Bund und Land Berlin und der WASG-Bundesvorstand drei schwere Geschütze in Stellung:
Als erstes droht die Berliner Linkspartei
offen mit feindlicher Übernahme. Parteichef Stefan Liebich: «Unser Bundesparteitag
beschließt für den Übergangszeitraum bis zur Vollendung der Fusion Doppelmitgliedschaften.
Wir werden unseren Berliner Mitgliedern nicht verbieten können, diese zu nutzen.»
Sodann behauptet die Fraktionsführung
der Linken im Bundestag, eine Kandidatur der WASG in Berlin gefährde die «Fraktionsgemeinschaft
im Bundestag». Artikel 10 der Geschäftsordnung des Bundestags schreibt vor, dass einer
Fraktionsgemeinschaft nur Mitglieder angehören dürfen, die «in keinem Land miteinander im
Wettbewerb stehen». Tatsächlich so die Süddeutsche Zeitung (30.11.)
erklärt die Bundestagsverwaltung auf Anfrage, dass «Paragraf 10 in diesem Fall nicht
greift», da sich diese Bestimmung auf Fraktionsgemeinschaften zwischen zwei Parteien, wie diejenige
zwischen CDU und CSU, beziehe. Die Linke im Bundestag ist jedoch keine Fraktionsgemeinschaft, sondern die
umbenannte PDS, die auf ihren offenen Listen WASG-Mitglieder kandidieren ließ.
Schließlich gibt es das Argument des
Wählerwillens. Oskar Lafontaine erklärte am 3.Dezember auf dem Landesparteitag der Berliner
Linkspartei.PDS: «Wir sind nicht mehr frei, ob wir zusammengehen wollen. Vier Millionen Wähler
haben gesagt: Ihr sollt zusammengehen.»
Richtig ist: Vier Millionen
Wählerinnen und Wähler wählten die Linkspartei, weil sie in ihrem Wahlprogramm, auf
Plakaten, in Broschüren und mit Rundfunk- und TV-Spots forderte «Weg mit Hartz IV», weil sie
«1-Euro-Jobs» ablehnte und postulierte, dass «Leistungen der Daseinsvorsorge und
öffentliche Dienste von allgemeinem Interesse nicht der privaten Konkurrenz unterworfen werden
dürfen». Weil sie dabei erklärte, insbesondere «den Ausverkauf öffentlichen
Eigentums an Wohnungen und kommunalen Versorgungsunternehmen verhindern» zu wollen. Weil sie eine
«Umverteilung von unten nach oben» propagierte. Weil sie «mehr direkte Demokratie»
forderte und feststellte: «Wir ermutigen die Bürgerinnen und Bürger zu selbstorganisierter
Beteiligung bei der Aufstellung der öffentlichen Haushalte … (Beteiligungshaushalt).» Und
weil sie «die Ablehnung des EU-Verfassungsvertrags in Frankreich und in den Niederlanden» positiv
wertete.*
Das Problem liegt offensichtlich nicht darin, dass die Berliner WASG den Wählerwillen missachten
würde, sondern darin, dass die Berliner Linkspartei seit Bildung des SPD-PDS-Senats 2002 bei allen
diesen Positionen, die sich im Wahlprogramm der Linkspartei, und ähnlich in der politischen
Programmatik der PDS Berlin aus dem Jahr 2002 finden, souverän eine Politik betrieb, die all diesen
Aussagen widerspricht. Hartz IV wird in Berlin umgesetzt; im öffentlichen Sektor wurden ohne Zwang im
großen Umfang 1-Euro-Jobs eingeführt, die nach Feststellung des Hauptpersonalrats reguläre
öffentliche Stellen ersetzen. Seit 2002 wurden 15000 Stellen im Landesdienst abgebaut; weitere 18000
sollen bis 2012 abgebaut werden. Die Daseinsvorsorge wird reduziert und privatisiert so mit der
Novellierung der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe, bei der den privaten Investoren RWE und
Veolia hohe Renditen garantiert wurden, was in deutlich ansteigende Wassergebühren mündet. Der
SPD-PDS-Senat verkaufte 65000 Wohnungen an die US-Heuschreckengesellschaft Cerberus.
Auch auf Kosten der Schwächsten der
Schwachen wird gespart so in Form der massiven Kürzungen bei den Hilfen zur Erziehung (Hilfen
für Kinder von Alkoholikern, psychisch Kranken, Migranten, Gewalttätigen und Armen). Die Politik
von SPD und PDS im Bankenskandal die Risikoabschirmung durch eine Landesbürgschaft, die die
Berliner Bevölkerung zwischen 6 und 8 Milliarden Euro kosten wird stellt eine gewaltige
Umverteilung von unten nach oben dar. Zwei Tage vor dem «Nein» der französischen
Bevölkerung zur EU-Verfassung hatte der Bundesrat den Verfassungsentwurf angenommen mit den
Stimmen Berlins.
Hans-Georg Lorenz, einer der Sprecher des
linken «Donnerstag-Kreises» innerhalb der Berliner SPD, äußerte, der Berliner SPD-PDS-
Senat nähme vielfach in negativer Weise «eine Vorreiterrolle für die ganze Bundesrepublik
ein». So trat Berlin als erstes Bundesland aus dem kommunalen Arbeitgeberverband aus und konnte den
Gewerkschaften einen Anwendungstarifvertrag mit deutlichen Einkommensminderungen abpressen bzw. den Beamten
das Weihnachts- und Urlaubsgeld kürzen.
Seither macht das Berliner Vorbild
bundesweit Schule. Berlin war führend bei der Abschaffung der Lernmittelfreiheit an den Schulen. Nach
der Risikoübernahme für die Bankgesellschaft wurde beschlossen, die Bankgesellschaft und damit
auch die Berliner Sparkasse zu verkaufen Berlin wird als erstes Bundesland sparkassenfreie Zone.
Selbst dort, wo es eine Basismobilisierung
gab, auf die man sich hätte im Interesse einer fortschrittlichen Politik (Stichwort:
Beteiligungshaushalt) stützen können, wurde eine entgegengesetzte Politik verfolgt: Ein breites
Bürgerbündnis hatte mehr als 37000 Unterschriften (25000 waren nötig) gesammelt und die
Rückabwicklung der Bürgschaft für die Bankgesellschaft verlangt. Der SPD-PDS-Senat
untersagte die zweite Stufe des Volksbegehrens, weil das Begehren «in unzulässiger Weise in die
Haushaltshoheit des Parlaments» eingreifen würde.
Es stellt sich die Frage, ob es irgendwo
ein Ende der fortgesetzten Tabubrüche und Brüche mit der eigenen Programmatik gibt. In diesem
Sinn fragte Jürgen Elsässer für die Junge Welt Marian Krüger, Mitglied der Linkspartei
im Abgeordnetenhaus: «Wo verläuft für die Linkspartei.PDS der Rubikon, den sie nicht
überschreiten wird? Welche soziale Kürzungen würde sie nicht mittragen?» Antwort
Krüger: «Falsche Frage. Der Rubikon verläuft in Italien. Wir aber sind in Berlin. Es ist
absurd, Regierungspolitik über Ausstiegsszenarien zu definieren.» Dass diese Position auch in der
WASG geteilt wird, machte Oskar Lafontaine auf dem Landesparteitag der Linkspartei Berlin am 4.Dezember
deutlich, wo er ausdrücklich das rot-rote Bündnis in Berlin verteidigte und erklärte, dieses
habe «angesichts knapper Kassen soziale Errungenschaften verteidigt und erstritten».
In Berlin droht eine Entwicklung, die für die gesamte bundesdeutsche Linke negative Folgen hat.
Eine junge Partei mit 11000 Mitgliedern, die WASG, die ein wichtiges soziales Protestpotenzial und eine
Linksdifferenzierung zum Ausdruck bringt, wird zur Anpassungspartei zugerichtet. Am exponierten Ort soll
der Linken ein weiteres Mal TINA demonstriert werden: There is no alternative es gibt keine
Alternative zu Sozialabbau und Privatisierung. Eine Hoffnung von Hunderttausenden Menschen auf eine
neue linke Einheit im Interesse von Lohnabhängigen, Erwerbslosen und sozialen Bewegungen wird
schwer beschädigt: Die Einheit soll unter stillem Zwang herbeigeführt werden, gleichzeitig aber
soll eine hierarchische Partei entstehen, die im herrschenden System die klassische Funktion
übernimmt, Proteste zu kanalisieren.
Im Berliner Tagesspiegel (4.12.) wurde dies
wie folgt kommentiert: «Die Linkspartei.PDS spielt ein doppeltes Spiel. Und das ist richtig so, denn
die Partei hat eine wichtige Funktion im Parteiensystem. Wo sie nicht regiert, wie im Bund, bündelt
sie Oppositionskräfte und vertritt jene, die sich durch andere nicht vertreten fühlen. Wo sie
mitregiert, wie in Berlin, dient sie als soziales Korrektiv und vermittelt die Politik auch gegenüber
Bevölkerungsgruppen, die mit den Folgen unzufrieden sind.»
Winfried Wolf
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