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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2006, Seite 7

Neue Linke und Regierungsbeteiligung

Geht die WASG den Weg der PDS?

Auf ihrem Landesparteitag Ende November hat die WASG Berlin — trotz heftigen Drucks seitens des Bundesvorstands und seitens der PDS — ihren Entschluss bekräftigt, eigenständig zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im September 2006 anzutreten, wenn die PDS ihre Regierungsbeteiligung in Berlin nicht aufgibt. Ein Landesparteitag Ende Februar soll über die Anmeldung einer WASG-Kandidatur beschließen.
Was anfänglich eine besondere «Berliner Marotte» schien, nimmt nach der Bekräftigung der «Option Rot-Rot» bei den kommenden Landtagswahlen durch Parteitage der PDS den Charakter einer grundsätzlicheren Auseinandersetzung mit der Orientierung der PDS an. Dieser Streit ist überfällig. Sein Ausgang wird darüber entscheiden, ob aus der WASG mehr wird als die endlich gelungene Westausdehnung der PDS und ob eine linke Alternative zum Neoliberalismus in diesem Land mehr sein kann als eine salbungsvolle Begleitung von unverrückbaren «Sachzwängen». Wir dokumentieren dazu nachstehend einen Diskussionsbeitrag von Joachim Bischoff und Björn Radke und eine Replik von Thies Gleiss. Alle drei sind Mitglieder des Bundesvorstands der WASG. Die Beiträge mussten aus Platzgründen gekürzt werden und sind in voller Länge nachlesbar auf www.w-asg.de.

Beitrag von Joachim Bischoff und Björn Radke


Für wenige Monate vor und nach der Bundestagswahl erwies sich die neue Linke als Hoffnungsträger. Mit der abgesprochenen Kandidatur und der Zusage, nach den Wahlen eine gemeinsame politische Organisation der sozialistisch-demokratischen Linken anzustreben, schien die politische Rechthaberei und die Tendenz zur Spaltung in kleine Richtungsgruppen überwunden…
Seit wenigen Wochen schiebt sich jedoch erneut Trennendes in den Vordergrund und die Medien greifen begierig die Möglichkeit des politischen Scheiterns auf. Die Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS in Berlin und die kommunale Regierungsverantwortung in einigen Städten Ostdeutschlands geben Anlass zu heftigem Streit…
Innerhalb der WASG wird gefordert, die Kooperation mit der Linkspartei zu beenden bzw. den Prozess der Formierung einer umfassenden politischen Organisation der Linken solange auszusetzen, bis die Regierungsbeteiligungen beendet werden. Kennzeichen der Linken müsse die prinzipielle Gegnerschaft zum Neoliberalismus sein; neoliberale Politik könne nicht durch kleine Verbesserungen akzeptabel werden, da sie in ihrer Substanz sozial ungerecht und gesamtwirtschaftlich unvernünftig ist. Die Linke in Deutschland stehe vor der Herausforderung, durch konsequente Opposition die Vorherrschaft des Neoliberalismus zu überwinden.
Unstrittig ist: Die Haushaltssituation in den Kommunen, Ländern und Stadtstaaten — insbesondere in Berlin — ist desaströs. Die Regierungskoalitionen unter Beteiligung der Linkspartei haben eine Reihe von Entscheidungen … getroffen, die zu Recht Kritik und Protest hervorrufen. Bislang haben die Landesorganisationen der Linkspartei.PDS, die an den Regierungen beteiligt sind, nicht deutlich gemacht, in welche Zukunftskonzeption oder Stadtentwicklung ihre Konsolidierungs- und Sparpolitik einzuordnen ist. Mehr noch: Es gibt PolitikerInnen der Linkspartei.PDS, die sich offensiv für die weitere Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie einsetzen, weil nur so bis zu den nächsten Bundestagswahlen eine möglicherweise entscheidende Änderung des politisch-gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zu erreichen sei.
Die Linke wird mit ihrer alternativen Politik in Zeiten des Neoliberalismus immer auf mehr oder minder heruntergewirtschaftete Gemeinwesen treffen. Viele linke Kritiker des Neoliberalismus verweigern deshalb die Übernahme politischer Verantwortung. Wir sagen: Es macht keinen politischen Sinn, auf absehbare Zeit die Aufgaben des Regierens auf kommunaler, auf Landes- und Bundesebene immer nur den neoliberalen Parteien zu überlassen. Dafür werden wir nicht gewählt. Eine solche Haltung ist zwar in ihrem Fundamentalismus klar, aber — aus unserer Sicht — gleichwohl unpolitisch. Es wird unterstellt, dass man unter solchen Rahmenbedingungen nur neoliberale Politik machen könne.
Dagegen setzen wir: Es gibt Alternativen nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Ländern und Kommunen. Die Handlungsspielräume sind enger, weil z.B. die Steuereinnahmen auf diesen Ebenen nicht verändert werden können und weil Bundesgesetze zu respektieren sind. Verweigert die Linke hier jedoch die Verantwortung, wird das in der Bevölkerung den falschen Eindruck verstärken, dass es zur neoliberalen Politik konkret eben doch keine Alternativen gibt.
Deshalb muss sich die Neue Linke für eine ungeschminkte Bilanz der Regierungspolitik unter Beteiligung der Linkspartei.PDS einsetzen. Es muss darüber geredet werden, welche Gründe bspw. für die Privatisierungspolitik vorlagen. Es geht um eine nüchterne Überprüfung der Unterstützungsangebote für die Ausgegrenzten und Armen wie z.B. das Sozialticket oder den verbilligten Zugang zu kulturellen Institutionen.
Wer sich an der Regierung beteiligt, muss den Nachweis antreten, dass sich die Lebenslage gerade der sozial Schwächeren durch diese Politik positiv entwickelt hat. Kann dieser Nachweis nicht erbracht werden, muss die Linke die Konsequenzen ziehen und sich aus Koalitionen zurückziehen. […]
Schlussfolgerung aus unserer Sicht: Es gibt durchaus begründete Argumente für die Position, dass die Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS in Berlin unzureichende Ergebnisse erzielt hat. In Sachen Privatisierung, Einhaltung von Tarifverträgen und Gestaltung sozialer Mindeststandards sind gravierende Fehlentscheidungen zu verzeichnen. Aber diese Kritik ist aus unserer Sicht kein prinzipielles Argument gegen Regierungsbeteiligung auf kommunaler und Länderebene. […]
Wir sollten den Blick in die Zukunft richten und uns darüber verständigen, was in den nächsten Jahren in Berlin, Mecklenburg- Vorpommern und anderswo zu geschehen hat. Wir wenden uns strikt dagegen, die Kritik an der Regierungsbeteiligung der Linkspartei. PDS zu benutzen, um die Anstrengungen zur Schaffung einer gemeinsamen politischen Organisation der neuen Linken einzustellen.
Das Ergebnis der Bundestagswahlen ist die Aufforderung, die Bildung einer gemeinsamen Organisation der politischen Linken konsequent voranzutreiben. Sie ist die Perspektive und der Rahmen, in dem die weiteren Auseinandersetzungen auch um die Frage der Konditionen alternativer Regierungspolitik stattzufinden haben. Es muss künftig möglich sein — wie heute in der Linkspartei —, dass eine Minderheit das konkrete Regierungsprojekt ablehnt und durch innerparteiliche Auseinandersetzung eine entsprechende politische Veränderung herbeizuführen sucht. […]
Die Kritik an einer gemeinsamen, pluralistischen Linkspartei hat vielfach den Hintergrund, dass es grundlegende politisch-ideologische Vorbehalte gegen «Links» oder gegen einen vermeintlichen Verzicht auf die Idee des «demokratischen Sozialismus» gibt, also einer Politik, die über die kapitalistische Gesellschaftsordnung hinausgreift.
Umgekehrt gibt es aber eine breite Unterstützung für einen politischen Umgruppierungsprozess in Richtung einer «Neuen Linken». Viele Bürgerinnen und Bürger unterstellen bereits, dass diese gemeinsame Partei existiert. Sie hätten wenig Verständnis für eine politische Blockade. Wenn die Linke sich erneut in ideologische Strömungen aufsplittert, ist sie wirkungslos. Gerade in der Ära des Neoliberalismus wird die neue Linke gebraucht: zur Organisation des Widerstandes im und außerhalb des Parlaments. Deshalb wollen wir mit vielen anderen die politische Formation der neuen Linken schaffen.
Wir werden uns um möglichst breite Zustimmung und Unterstützung für diese politische Option bemühen. Aber wir werden uns nicht von prinzipiellen Gegnern der Kooperation und des Zusammengehens der linken Kräfte und Strömungen aufhalten lassen.

Replik von Thies Gleiss



Der aktuelle Streit in WASG und Linkspartei.PDS [geht] nicht um eine generelle und abstrakte Antwort auf die Frage der Regierungsbeteiligung. Er geht noch nicht einmal um eine konkrete mögliche Regierungsbeteiligung in der nächsten Zukunft, sagen wir mal bis 2009 oder 2013. Diese spannende und wichtige Diskussion steht den Kräften, die eine neue, große, gesamtdeutsche und internationalistische Linkspartei bilden wollen, noch bevor und wird mit Sicherheit noch hohe Wellen schlagen. Die Kontroverse von heute aber dreht sich um eine real erfahrene, in den letzten Jahren mitgetragene und zur Verlängerung anstehende Regierungsbeteiligung. Es ist kein Streit, wo die Beteiligten noch am Nullpunkt ständen oder gar politisch jungfräulich wären. Es geht um Tagespolitik von gestern und heute.
In diesem Zusammenhang sind zwei Dinge völlig unstrittig und in Hunderten von Diskussionsbeiträgen, Entschließungen und Bilanzpapieren der jeweils Betroffenen — also nicht nur von der «Gegenseite» in der Debatte behauptet — dokumentiert.
Erstens haben die Regierungsbeteiligung der PDS, die politische Gesamtausrichtung der Partei auf diese Art «Realpolitik» und das Hinausdrängen von Kritikern dieses Kurses aus der Partei maßgeblich zur tiefsten Parteikrise der PDS seit ihrer Gründung und zum sehr schlechten Abschneiden bei den Bundestagswahlen 2002 geführt. Die Wahlergebnisse und die Mitgliederzahlen gingen rapide zurück…
Zweitens war diese lebendige Erfahrung der PDS einer der Gründe, warum Tausende von Linken, insbesondere in Westdeutschland, keine glaubwürdige Grundlage mehr dafür sahen, in der PDS mitzuarbeiten, sondern sich nach einer neuen, die Fehler der PDS nicht wiederholenden Partei sehnten. Unter diesen politisch Aktiven gab es vor allem einen großen Teil gewerkschaftlicher Linker, die schon lange auf eine politische Kraft hofften, die sie in ihren betrieblichen aber auch gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen unterstützte. Sie erlebten, und erleben noch heute, täglich die furchtbare Politik der SPD und der gewerkschaftlichen Elite, die sich ihr unterordnet… Stattdessen wünschten sie eine gewerkschaftliche Strategie, die auf eine stärker konfliktorientierte Politik setzt, und eine politische Kraft, die sie genau darin durch Gesetzesinitiativen und politische Aufklärung unterstützt. Gerade in diesen Kreisen erntete die Regierungsbeteiligung der PDS in Landesregierungen nur Kopfschütteln, Ärger und Verbitterung.
Die Gründung der WASG war deshalb fast eine Reaktion auf die als völlig falsch bewertete Politik der PDS. Die Ablehnung der Regierungsbeteiligung in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gehört geradezu zum Gründungsselbstverständnis der WASG. Das ist auch heute noch so. Eine breite Mehrheit der WASG lehnt diese konkreten Regierungsbeteiligungen ab. Da muss nicht mehr viel bilanziert und erörtert werden, die Gründung der WASG ist die Verkörperung der Kritik an der PDS-Regierungspolitik.
Weniger unstrittig wird sicherlich die Frage beantwortet, welche alternative Politik sinnvoll ist, ob die Linke zuweilen solch großen politischen Preis zahlen muss wie die PDS, und ob die klitzekleinen «Erfolge» solchen Preis rechtfertigen. Aber das relativiert in keiner Weise eine simple Feststellung: Wenn WASG und PDS den Kern einer neuen linken Partei in Deutschland bilden wollen, dann muss zuvor und möglichst mit politischem Gewinn für das Gesamtprojekt die Regierungsbeteiligung in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern beendet werden.
Es ist komplett ausgeschlossen, dass dieses «Privatvergnügen» der PDS zu einer gemeinsamen Erfahrung mit der WASG wird. Tausende werden zuvor die WASG verlassen, die politischen Erwartungen der Wähler müssten zuvor komplett umgedreht und verraten werden. Tausende von Sozialdemokraten, die gerade dabei sind, ihrer politischen Heimat den Rücken zu kehren, würden vor den Kopf gestoßen und zu einer Aussöhnung mit den Verhältnissen gezwungen, mit denen sie sich gerade nicht aussöhnen wollen. Es somit paradoxerweise selbst für die Anhänger der Position, die von der Existenz einer «Mehrheit links von der Mitte» und einer baldigen Regierungsbeteiligung der neuen Linkspartei ausgeht — vielleicht sogar gerade für diese — erforderlich, die bestehenden Regierungsbeteiligungen zu beenden, um mit dem neuen Linksprojekt über neue Regierungsbeteiligungen zu streiten.
Es ist deshalb sinnvoll, diese politische Bedingung zum Gelingen des Parteibildungsprozesses nicht zu verschweigen. Es wird kein Aussitzen und kein Umschiffen des Problems möglich sein. Die Regierungsbeteiligungen werden beendet werden müssen, und es ist besser, man tut dies selbstbewusst und mit einer politischen Kampagne gegen die neoliberale Politik und damit auch gegen die SPD, als wenn dies durch Maßnahmen der SPD oder aufgrund der Wahlergebnisse erfolgen muss.
Wer sich dieser Konsequenz verweigert, züchtet geradezu sektiererische und Verzweiflungsreaktionen. Eine solche ist zweifellos die Entscheidung des Berliner Landesverbands der WASG, gegen die PDS bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus anzutreten. Eine Eigenkandidatur in Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern ist eine zum Scheitern verurteilte Reaktion auf eine ebenso zum Scheitern verurteilte Regierungsbeteiligung der PDS. Die Dopplung der Niederlage sozusagen.
Aber die Kritik an der Entscheidung der Berliner WASG ist nur lauter, wenn zuvor von der PDS die Beendigung ihrer Regierungsbeteiligung gefordert wird. Wenn die Berliner PDS unbelehrbar bleibt und auch unter Verweis auf die Bedeutung dieser Frage für das bundesweite Parteibildungsprojekt nicht zu einem Rückzug ihrer Senatoren und Minister bereit ist, dann hat die WASG keine andere Wahl, als sich an einer Kandidatur der PDS nicht zu beteiligen. Eigene Kandidaten sollte sie aber auch nicht aufstellen. Das bundesweite Parteibildungsprojekt würde dadurch zwar belastet, aber wahrscheinlich nur wenig Schaden nehmen. Lehrgeld würden nur die Berliner PDS und alle, die sie unterstützen, bezahlen müssen.X2

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