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«Mehr Freiheit wagen» beglückt uns die Parole, die
Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung ausgegeben hat? Was bedeutet sie? Mehr Freiheit für
wen? Mehr Freiheit wovon? Mehr Freiheit wozu?
Wenn ich Angela Merkel richtig verstanden
habe, verheißt sie mehr Freiheit den Konzernen und den Reichen, die ihr Geld möglichst profitabel
anlegen wollen: möglichst viel Freiheit, Beschäftigte freizusetzen (weniger
Kündigungsschutz), möglichst viel Freiheit von Verantwortung für die soziale Sicherheit der
Beschäftigten (weniger Lohnnebenkosten), mehr Freiheit von Verantwortung für die Umwelt, mehr
Freiheit von Verantwortung für die Jugend, mehr Freiheit von Verantwortung für die Alten,
Kranken, Schwachen, mehr Freiheit von Steuerpflichten, mehr Freiheit zur Bereicherung, Wildwestfreiheit zur
Aneignung dessen, was irgendwelchen Eingeborenen gehört. «Ich bin so frei», sagt Nobelmann
und nimmt, was er nur kriegen kann.
Der Staat soll sich aus der Wirtschaft
heraushalten was freilich nicht heißt, dass sich die Wirtschaft aus dem Staat heraushält,
im Gegenteil. Aber wir, das Volk, sollen glauben, die regierenden Politiker hätten die Absicht, uns
von staatlichem Druck zu befreien. Das suggeriert die Kanzlerin mit ihrer Parole «Mehr Freiheit
wagen»: Mehr Freiheit, weniger Staat. Ist das wünschenswert?
Mag ja sein, dass einst im Urwald jeder
Einzelne seines Glückes Schmied war. Aber empfahl es sich nicht schon damals, Schweres und Schwieriges
zu zweien oder zu mehreren anzupacken? Der Einzelne hätte es nicht geschafft, ein fruchtbares
Ufergebiet einzudeichen. So war es vernünftig, den Deichbau und die Instandhaltung der Deiche als
Gemeinschaftsaufgabe mit gleichen Rechten und Pflichten zu vereinbaren. Was herauskommt, wenn
solche Gemeinschaftsaufgaben vernachlässigt werden, haben dieses Jahr die armen Menschen in New
Orleans erlebt (und viele haben es nicht überlebt).
Es ist gefährlich,
Gemeinschaftsaufgaben privaten Unternehmern zu überlassen vor allem, wenn sie darum
konkurrieren sollen, ihre Leistungen zu möglichst niedrigen Preisen anzubieten und möglichst hohe
Profite zu erwirtschaften. Umso strenger müssten sie vom Staat kontrolliert werden. Aber das
missfällt ihnen. Sie wünschen weniger Aufsicht, weniger Auflagen, mehr Freiheit. Und sparen sich
gern die Kosten für die Instandhaltung des Stromnetzes, das dann beim ersten Schnee zusammenbricht wie
kürzlich im Münsterland.
Die neue Regierung will Bundesvermögen
(Gemeinschaftseinrichtungen) im Wert von rund 50 Millionen Euro von uns und unseren Vorfahren
geschaffen privatisieren, also gemeinschaftlicher, demokratischer Verfügung entziehen. Mehr
Freiheit weniger Demokratie. Der Merkel-Satz, der an Willy Brandts Verheißung «Mehr
Demokratie wagen» anzuknüpfen scheint, widerspricht ihr.
Die Vorsitzenden der beiden
Koalitionsfraktionen, Kauder und Struck, haben inzwischen auch schon den ersten kräftigen Schritt und
Tritt in Richtung weniger Demokratie gewagt: Sie einigten sich darauf, dass wir, das Volk, künftig nur
noch alle fünf Jahre wählen dürfen. Werden wir es still und brav hinnehmen?
Wenn ich bei Amtsantritt der Regierung
Merkel, die zur ausdrücklichen Genugtuung Gerhard Schröders seine Politik fortsetzt, die
Ergebnisse der Regierung Schröder zu resümieren versuche, muss ich nicht lange forschen und
grübeln, um festzustellen: Es ist durchweg das Gegenteil dessen herausgekommen, was uns verheißen
war, also kein Aufschwung, sondern Stagnation (jedenfalls auf dem Binnenmarkt), kein Schuldenabbau, sondern
weitere Verschuldung (sogar in solchem Maße, dass die Bundesrepublik nun Jahr für Jahr gegen die
EU-Verpflichtungen verstößt), keine Halbierung der Arbeitslosenzahl, sondern
Vergrößerung und Verstetigung der Massenarbeitslosigkeit und drastische Verschlechterung der
Lebensverhältnisse der Arbeitslosen.
Erinnern Sie sich noch, dass
Gesundheitsministerin Schmidt (nach wie vor im Amt) uns versprach, ihre Gesundheitsreform werde dazu
führen, dass unsere Krankenkassenbeiträge sinken? Jetzt kündigen die Kassen
Beitragserhöhungen an trotz aller Einschränkungen der Kassenleistungen. Ein Beispiel von
vielen. Wenn sich eine Politik als grundfalsch erwiesen hat, sollten vernünftige Menschen sich
für eine andere entscheiden. Ganz und gar töricht ist es, die verkehrte, schädliche Politik,
statt sie zu beenden, noch zu forcieren was jetzt geschieht.
Eckart Spoo ist Herausgeber der Zweiwochenzeitschrift Ossietzky.
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