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Seit langem ist es im Gange. Nun endlich wird deutlich, wie unter den alten
Häuten einer Anstalt mit dem anspruchsvollen Namen «Universität» eine Gestalt gewachsen
ist, wenngleich kaum Gestalt zu nennen, die geeignet ist, das Omen, den «Geist der
Universität», restlos auszutreiben. Das, was sich bildungspolitisch allgemein und
universitätspolitisch speziell tut, kann nur angemessen bezeichnet werden, wenn man das nazistische
Unwort «Gleichschaltung» entbräunt und totalisiert in einem.
Was in den unionseuropäischen Ländern seit Anfang des 21.Jahrhunderts unter dem Stichwort
«Bologna-Prozess» geschieht, anderwärts jedoch ähnlich zu beobachten ist, ist durch
folgende, dynamisch wirksame Um- und Aufrüstungen freilich seit längerem ruinöser
«höherer» Bildungs- und formell freier Forschungsanstalten ausgezeichnet:
Statt Wissenschaft primär am
unverstellten Erkenntnis- und Wahrheitsziel auszurichten, wird ökonomisch profitable technologische
Innovation in der Konkurrenz zu gleichgerichteten Forschungswettrennen weltweit zum zentralen Bezug. Die
längst weithin eingeebnete Differenz zwischen «Grundlagen»- und «angewandter
Forschung» wird zugunsten angewandter Forschung als Grundlage aufgehoben. Wissenschaften, von
früh an zu einem Teil militärisch, staatlich und seit dem Beginn des Maschinenzeitalters
kapitalistisch funktionalisiert, werden insgesamt ein Teil der Durchkapitalisierung sozialen Daseins.
Wissenschaften und ihre Adepten
als Einbahnstraßen und verkümmerte Habitus geformt bauen am modernen Turm der allgemeinen
Erkenntnis- und Praxisblockade im Fortschrittspathos ökonomisch-technologischer Machbarkeit.
Lehr- und Lernprozesse, längst
forschungsentkoppelt, werden zum gespaltenen Trimm-Dich fachbornierter Fertigkeiten und ungleicher
Fähigkeiten. In der Bundesrepublik Deutschland wird eine der wenigen Merkmale, die es erweiternd zu
bewahren gilt, die Einheit der Fachstudien, geteilt in sechssemestrige Bachelorstudiengänge und ein
ca. zehnsemestriges Studium, das durch eines Master-Grad gekrönt wird. Die Mehrheit der Studierenden,
etwa 6070% soll geschwind durch das Bachelor-Studium geschleust werden. Nur eine neu gebildete
Funktionselite soll ein seither als normal geltendes Studium absolvieren;
Um die neue Formierung von
Bildungsklassen zu bewältigen und qualitativ für beide Klassenteile zu verändern, sollen
Lehre und Studium «modularisiert» werden. «Module», prinzipiell vorgefertigte und
standardisierte Ausbildungshappen zur lernenden Ernährung der Bildungsbeflissenen, sollen die in zwei
Typen der Studierenden geteilte Einübung in fachlich vorgegebenen Gehorsam zu einer Kette von
Prüfungen und weiteren Disziplinierungen werden lassen, die die ansonsten nach wie vor je nach Fach
lehrbeliebigen Schaschlikteile im durchgehenden Akkreditierungsspieß zusammenhält.
Diese vier mit vielen feinen Unterschieden
versehenen Veränderungsstöße haben nicht nur zur Folge, dass im Zeichen der Innovation(en)
Forschung und Bildung vollends getrennt und Forschung emphatisch gegen alles Kreativitäts- und
Erfindungs-/Entdeckungsgerede auf eine Innovations-Form und -Funktion reduziert wird entgegen allen
Notwendigkeiten institutionalisierter Reflexion und interdisziplinärer Zusammensicht (die
wissenschaftlich-technologisch produzierten normalen Katastrophen harren jeweils morgen und
übermorgen). Diese vier Veränderungen bedingen inmitten sog. demokratischer Wissensgesellschaften
eine geradezu systematische Verdummung der Studierenden. Unter diesen kann sich die Master-Elite noch
einbilden, «leistungsgerecht» auf die positions- und geldmächtigere Seite gewechselt zu
sein.
Die Verdummung im kantschen Sinne, dass der
Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, sowohl in Sachen «Mut» wie in Sachen
«eigener Verstand» zurückgebildet, frühzeitig verkürzt und wahrhaft enteignet
werden, begleiten eine Reihe weiterer Maßnahmen, die das wenigstens innerhalb der Universität
noch verhältnismäßig freie Studium disziplinierend vertäuen. Zuerst wird das Studium
verpreist. Dann wird die Studienwahl verfassungswidrig versperrt. Das dann gewollte oder nicht gewollte
Studium wird mit Hilfe dessen, was sich z.B. an der Freien Universität Berlin «Campus
Management» nennt, in eins mit der Studienspaltung und seiner durchgehenden Modularisierung und
Verprüfung bestenfalls zu einer ungleich gehandhabten und von der Prüfungsmaschinerie
aufgeherrschten, bei knappen Berufschancen im Durchschnitt ängstlich eingehaltenen Trimm-dich-Strecke.
Nicht so heiß gegessen würde all
dieser Bologna-Blödsinn, sagte mir ein befreundeter linker Kollege, den ich vor drei Jahren sachzornig
zum Mitprotest überreden wollte. Ja, zuweilen wird das bürokratisch gemanschte Essen negativ noch
nachhaltiger gegessen, als es erhitzt wird, orientiert an stolz verkündeter europäischer
Mobilität und Flexibilität. Diese gehorcht ihrerseits dem neoliberalen Globalisierungspostulat,
dem starken Hintergrundmotor insgesamt.
Immerhin werden die Spaghetti Bolognese in
den einzelnen Unionsländern mit diversen Traditionen sehr verschieden verspeist. Immerhin sperren sich
in der BRD just eher konservative Fächer wie Jurisprudenz und Medizin dagegen. Sie müssten beide
den hohen Preis bisheriger Professionalität zahlen so sehr diese, freilich nahezu radikal
anders als bachelorisiert und gemastert erforderlich wäre. Erfreulich ist jedoch vor allem, dass sich
an allen möglichen deutschen Uniecken und Unienden Studierende zu wehren beginnen. Sie tun dies als
eine Minderheit unter der verängstigten Mehrheit der Studierenden, die sich schon vor-geschult gar
kein anderes Studium denn den bornierten Fächerkanon mit dauerndem Notendressing denken kann.
Auf die Proteste derjenigen freilich harrt
man vergebens, die Wissenschaft als Beruf betreiben, die von Wissenschaft in Forschung und Lehre, wenn
schon häufig nicht für sie leben. Lebten sie nämlich für ihre beruflichen Inhalte und
deren nicht willkürlich abzumagernden Ziele, dann müsste geradezu ein einziger Proteststurm seit
Jahren diese Republik wenigstens zum publizistischen Rauschen und politischen Schwingen bringen. Von raren,
meist allzu nostalgisch orientierten Ausnahmen abgesehen nostalgisch, weil sie so tun, als sei es
mit den Universitäten vordem, wenn nicht bequem, so doch prinzipiell in Sachen Forschung, Lehre,
Lernen und ihren Freiheiten und Gleichheiten in Ordnung gewesen , von wenigen Ausnahmen abgesehen,
sage ich, haben sich die berühmt-berüchtigten professoral gewordenen «68er» auf
Tauchstation und rasch in «emeritierte» Pension begeben. Sie belegen ihrerseits, dass nicht sie
durch die Institutionen, sondern die Institutionen und hier die negativen Privilegien der
Universitäten und ihre habituellen Effekte durch sie «marschiert» sind. Die jüngeren
Profs aber essen begeistert die universitär arme Spaghettikost. Sie forschen lieber zum
Reputationsgewinn und sie lehren, offenkundig, lieber stiefelstramm bei gesteigertem elitärem
Leistungsgefühl. Das steigt, je hohler es röhrt.
Um der Studierenden willen und zwar aller,
auch derjenigen, die nicht rebellieren, was ich politisch-soziologisch gut verstehen kann, will ich
wenigstens noch andeuten, dass und wie wichtig es ist, dass sich die Proteste an der Idee einer
Universität ausrichten, die den demokratisch menschenrechtlichen Anforderungen des 21.Jahrhunderts
entspricht. Ungenügend wäre es, die Protestierenden orientierten sich am Zustand der
Universitäten der letzten 30 Jahre vor Bologna. Die Kritik der herkömmlichen, in fast keiner
Hinsicht mehr zureichenden Universität ist vielmehr die Voraussetzung einer im Ziel gründlichen,
im Verfahren allmählichen Neuerung, die dringend anstünde (eine kleine Publikation wird 2006
differenzierender darüber informieren).
Da der Bedarf aller Menschen zunimmt, die
komplexe und eher noch komplexer werdende Wirklichkeit zu verstehen und sich in ihr verhalten zu
können, sind folgende Minima unabdingbar, deren Organisierbarkeit ich hier nur noch behaupten kann.
Ich konzentriere mich nur aufs Studium, obgleich Forschung nicht weniger wichtig ist.
1. Universitäten sind prinzipiell
allen, vor allem allen heranwachsenden Menschen zu öffnen. Darum ist die Zahl der Universitäten
drastisch zu vermehren. Um sie als differenzierte soziale und kognitive Einheiten zu ermöglichen, sind
sie auf eine Größe von ca. 3000 Studierende zu begrenzen.
2. Sollen Universitäten demokratisch
funktional sein und sollen sie rudimentären wissenschaftlichen Forderungen sokratischer Qualität
entsprechen diese besteht in der Begriffs- und Methodenkritik , dann müssen sie selbst
radikaldemokratisch organisiert sein. Erst dann können kritisch offene Lehr-, Lern- und
Forschungsprozesse stattfinden. Erst dann können unvermeidliche Gefällstrecken verschiedener
Erfahrung und Kompetenz balanciert und kontrolliert werden. Nur eine demokratische Universität
ermöglicht Studienabgänger, die sich selbst und anderen gegenüber die Grundrechte einhalten.
3. Die Fachstudiengänge bei
veränderter Schulbildung sieben Studienjahre lang , die grundrechtsgemäß keine
Zugangsschranken besitzen, sind so anzulegen, dass sie über Kerncurricula in allmählicher
Ausweitung interdisziplinäre Kompetenzen vermitteln. Nur wenn solche Kompetenzen allen erreichbar
sind, tragen die fachlichen und überfachlichen Lehr- und Lernprozesse dazu bei, das alles
entscheidende personale und kollektive Lernziel zu erreichen: die Fähigkeit zur Urteilskraft. Sie
schließt die Kritik der eigenen Urteilsbildung und ihrer Grenzen ein.
4. Damit Lehr-, Lernprozesse solcherart
stattfinden können, sind neue Formen des Lehrens und Lernens erforderlich, die endlich die besten
Funde jahrtausendelanger pädagogischer Tradition nutzen: à la exemplarisches Lernen; à la
learning by doing; à la Blockkurse und Team-teaching u.v.a.
Allein Institutionen, die in dieser
Richtung angelegt sind und werden, verdienen den Namen Universitäten. Will man stattdessen
pseudoeuropäisch, allein dem Herrschaftsmamon Weltmarkt konkurrenzblöde untertan, klassenteilende
Fitnesscenters, dann schreite man katastrophenmutig und heute schon schuldig an der Enteignung vor allem
jugendlicher Menschen ihr Leben lang borniert stark voran.
Wolf-Dieter Narr
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