SoZSozialistische Zeitung |
EU-Handelskommissar Peter Mandelson hatte sich gefreut: Während der
Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) erhielt er zahlreiche Weihnachtspäckchen. Auch er und
sein US-Kollege kamen nicht mit leeren Händen nach Hongkong. Sie hatten eine
«Entwicklungspaket» für die ärmsten Länder der Welt geschnürt. Doch beim
Öffnen der Weihnachtspäckchen musste Mandelson feststellen: Sie waren leer. Genauso leer wie die
Versprechungen seines Entwicklungspakets, so die Globalisierungskritiker, die ihm die Weihnachtspakete
überreicht hatten.
Die längst überfällige Beendigung der Subventionen für Agrarexporte in der EU
und den USA konnten die Entwicklungs- und Schwellenländer in der WTO nur mit äußerster
Mühe durchsetzen, weil sie an einem Strang gezogen haben. Dafür mussten sie weiteren
Liberalisierungen im Dienstleistungs- und Industriesektor zustimmen. Dieser Kuhhandel stellt die Weichen
für zugespitztes Sozialdumping und Umweltverschmutzung im globalen Maßstab.
Wenn alle Länder zu gleichen
Bedingungen die Waren dieser Welt handeln könnten, würde es allen besser gehen. Rechtzeitig vor
Beginn des Treffens der WTO in Hongkong sprang die Weltbank ihrer Schwesterorganisation mit einer Studie
bei. Den zusätzlichen Gewinn bei einer völligen Liberalisierung des Welthandels bezifferte sie
auf mehr als 250 Milliarden Euro. Mit dem weltweiten Freihandel, so die Weltbank-Experten, könnten
unzählige neue Arbeitsplätze geschaffen und die Armut in der Welt reduziert werden. Dieses
Glaubensbekenntnis hat sich tief in die Hirne der Multiplikatoren der westlichen Welt eingegraben, bei
Medien wie Politikern. Eine «Win-Win-Situation», so der Slogan der Global Player, eine Situation,
in der alle nur gewinnen können, ein ebenes Spielfeld, bei dem alle von den gleichen Voraussetzungen
ausgehen.
Mit dieser Rhetorik von der schönen
neuen Welt lockte man die Entwicklungsländer 1995 in die neu gegründete WTO und versprach ihnen
demokratische Entscheidungsstrukturen. Mit der Devise «Ein Land, eine Stimme» sollte ihnen
suggeriert werden, dass sie tatsächlich ein Mitspracherecht hätten anders als bei der
Weltbank oder dem IWF, wo sich die Stimmverteilung strikt an den gezahlten Einlagen der Mitgliedstaaten
orientiert.
Doch es kam anders: Das Regelwerk der WTO
und deren Entscheidungsfindung wurde derart kompliziert gebaut, dass es nur mit riesigen Expertentrossen
beherrschbar ist. Über solche Expertentrosse verfügen aber nur die reichen Länder, besonders
die EU und die USA; die wenigen Vertreter der Entwicklungsländer haben gegen sie keine Chance.
Schon deshalb setzen sich die
Handelsinteressen der westlichen Industrieländer in der WTO durch: EU und USA erheben weiterhin
Schutzzölle auf viele Agrarprodukte und Rohstoffe, die Exportprodukte der Entwicklungsländer. Die
Entwicklungsländer hingegen werden gezwungen, ihre Märkte für Importe und Investitionen aus
dem Westen immer weiter zu öffnen. Die Folge: Der Einkommensunterschied zwischen den ärmsten und
den reichsten 10% der Weltbevölkerung hat sich seit Bestehen der WTO vervielfacht. Heute haben die 500
reichsten Individuen zusammen ein höheres Einkommen als die 440 Millionen Ärmsten der Welt.
Dort, wo die WTO allein nicht weiterkommt, helfen der IWF und die Weltbank nach. Zum Beispiel in der
tanzanischen Hauptstadt Daressalaam. Dort knüpfte der IWF Bedingungen an einen partiellen
Schuldenerlass: er verlangte unter anderem den Verkauf der Wasserversorgung der Millionenmetropole an
private Investoren. Die Global Players im Wassergeschäft standen Schlange. Sie wollten sich das
lukrative Geschäft mit dem blauen Gold nicht entgehen lassen. Ein britisch-deutsches Joint Venture
erhielt den Zuschlag und macht nun Gewinne.
Die Bevölkerung in Daressalaam, die
bis dato gewohnt war, dass das Wasser allen gehört, ist nun um eine Erfahrung reicher: Die
Wasserpreise sind in die Höhe geschnellt, und wer nicht zahlt, bekommt kein Wasser mehr. Eine
«Win-win-Situation» für WTO und IWF: Die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen
im Interesse der Global Player ist erzwungen und die Kreditgeber sacken den Verkaufspreis ein, weil ihr
Schuldner wieder zahlungsfähig ist.
Als Brecheisen für Privatisierung und
Freihandel wirkte auch die Asienkrise Ende der 90er Jahre. Der IWF hatte die Öffnung des Marktes
für die Agrar-, Banken- und Versicherungsbranche verlangt und so den Global Players den lang ersehnten
Zugang zu den Ökonomien Südostasiens verschafft, bevor er den zahlungsunfähigen Staaten neue
Kredite einräumte. Die betreffenden Länder unterzeichneten vor der Überweisung ein
entsprechendes «Liberalisierungsabkommen» im Rahmen der WTO.
Nach so viel einseitiger Vorteilsnahme
scheiterte schließlich der Verhandlungsgipfel der WTO in Seattle 1999. Vor allem die Vertreter der
afrikanischen Staaten weigerten sich, weitere Zugeständnisse gegenüber den westlichen
Industrieländern zu machen. Daraufhin kamen die Lenker der WTO auf die Idee, ihre Politik zu einer
sog. Entwicklungsrunde umzutaufen.
Aber diese Kosmetik kann nicht über
die weiterhin gültigen Prioritäten hinwegtäuschen: die Exportwirtschaft forcieren, die
Verschuldung der meisten Entwicklungsländer verewigen. Damit wird die ungerechte internationale
Arbeitsteilung zementiert: Der Süden produziert weiterhin für den Norden, weil er für Zinsen
und Abzahlung der Schulden Devisen braucht. Dafür stellen die Länder des Südens mehr und
mehr Ressourcen zur Verfügung. Damit reproduzieren sie das Elend ihrer eigenen Bevölkerung, die
den Reichtum ihrer Länder immer weniger für sich nutzen können.
Das gilt im Übrigen auch für die
Erfolg versprechenden Ökonomien Indiens und Chinas. Die größten Profiteure sind auch hier
wieder die transnationalen Konzerne, die dort die komparativen Kostenvorteile nutzen: niedrige Löhne,
keine Sozialabgaben und fehlende Umweltschutzbestimmungen. Zwischen 1993 und 2003 entfielen allein in China
65% des Exportzuwachses auf die Niederlassungen westlicher Konzerne.
Die Stimmen des Südens zählen
nichts in der globalisierten Welt der WTO. Der ägyptische Entwicklungstheoretiker Samir Amin nennt die
aktuelle Weltwirtschaftsordnung ein «System globaler Tributzahlungen». Die unmittelbare
Ausplünderung des Südens während der Kolonialzeit wurde durch die indirekte
Ausplünderung der Dritten Welt unter EU und US-Regie abgelöst. In vielen Ländern Asiens,
Lateinamerikas und Afrikas nennen kritische Wissenschaftler das Kind beim Namen. Es heißt Neo-
Kolonialismus.
Solange das Weltwirtschaftssystem auf dem
Prinzip der Konkurrenz und nicht auf dem der Kooperation fußt, haben diese Länder nur eine
Möglichkeit, wenigstens das Überleben ihrer Bevölkerung zu sichern: die Abschottung ihrer
Märkte vor der Dumpingkonkurrenz aus dem Norden und die gemeinsame Verhängung eines einseitigen
Schuldenmoratoriums. Aber das ist bei der WTO nicht vorgesehen: Einmal abgebaute Zölle dürfen
nicht wieder angehoben werden. Das ist ein Grundprinzip der WTO. Deshalb werden die Stimmen lauter, die die
Auflösung der WTO fordern. Diese vor allem zivilgesellschaftlichen Stimmen verweisen auch darauf, dass
die heute mächtigen Nationen ihre Wirtschaftsmacht vor langer Zeit ebenfalls mit einer gehörigen
Portion Protektionismus aufgebaut haben. Doch die Leiter, die die mächtigen Nationen einst selbst
erklommen, wollen sie nun mit Hilfe der WTO ein für allemal entfernen.
Gerhard Klas
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04