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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2006, Seite 17

Israel

Politische Krisen

Momentan gerät die Lage des palästinensischen Volkes gegenüber den Umwälzungen, die gegenwärtig auf der politischen Bühne Israels geschehen, in den Hintergrund. Einerseits gründet Ariel Sharon seine eigene Partei, andererseits tritt Amir Peretz an die Spitze der Arbeitspartei.

Israels Ministerpräsident Ariel Sharon hat den Likud, die Partei, die ihn an die Macht gebracht hat, verlassen und seine eigene Formation gegründet, die «Nationale Verantwortung». «Eine Partei, die eindeutig in der Mitte steht», kündigte Sharon an… Ariel Sharon, ein Mann der Mitte? Die Rechte muss dann schon sehr rechts sein. Der ehemalige Ministerpräsident Benyamin Netanyahu trachtet nun nach der Spitze des Likud. Nicht dass er links wäre, aber seine rechten Exzesse seit einem Jahr sind nur ein Mittel in seinem Kampf um die Macht; er ist eine Art israelischer Sarkozy. Das einzige Ziel, das Netanyahu verteidigt, ist… Netanyahu selbst. In seltener Beharrlichkeit sabotierte er alle politischen Initiativen Sharons.
Sharon hat jedoch ein strategischeres politisches Projekt. Er hat verstanden, dass der permanente Kleinkrieg, den ihm die Opposition im Likud auferlegt hatte, ihn daran gehindert hat, politische Maßnahmen zu ergreifen, die er als notwendig für die Zukunft des Zionismus und der Kolonisierung betrachtet. Um die erforderliche Zeit für die Fortsetzung der Kolonisierung des Westjordanlands zu erhalten, muss Israel politische Maßnahmen ergreifen, durch die die internationale Gemeinschaft beruhigt werden kann. Der einseitige Rückzug aus dem Gazastreifen ist eine davon, der Abbau einiger isolierter Siedlungen im Herzen palästinensischer Städte und Dörfer könnte eine andere sein.
Um sein Projekt entsprechend zu verfolgen, glaubte Sharon, sich von den Saboteuren innerhalb seines eigenen Lagers trennen zu müssen, um so mehr als vorgezogene Wahlen unvermeidlich sind. Sie wurden Sharon durch den neuen Vorsitzenden der Arbeitspartei, Amir Peretz, aufgezwungen, der gefordert hatte, dass die Minister der Arbeitspartei unverzüglich die rechte Regierung verlassen, worin sie sein Vorgänger Shimon Peres hineingeführt hatte.
Die Mitglieder der Arbeitspartei hatten sich — mit allerdings nur knapper Mehrheit — gegen die in der rechten Regierung verfangene alte Garde für die einzige Person entschieden, die in der Lage ist, der Arbeitspartei wieder eine Chance zu geben. Amir Peretz ist ein Vertreter der sog. Peripherie: Aus Marokko stammend war er lange Zeit Bürgermeister einer dieser «Immigrantenstädte» — des israelischen Gegenstücks zu dem, was man in Frankreich «sensible Viertel» nennt —, bevor er Generalsekretär der Gewerkschaftsföderation Histadrut wurde.
An der Spitze der Gewerkschaft hat Peretz einen relativ kohärenten Kampf gegen die ultraliberale Politik diverser Finanzminister geführt, einschließlich derjenigen der Arbeitspartei. Wenn er auch nicht gegen den Liberalismus und die Privatisierungen ist, so fordert er doch eine «ausgewogenere Sozialpolitik», die im besten Fall sozialdemokratisch, aber eher sozialliberal ist. Dennoch hat seine Wahl an die Spitze der Arbeitspartei unmittelbar eine hasserfüllte Offensive der Tageszeitung Haaretz, des traditionellen Sprachrohrs des Großkapitals, ausgelöst, die die «Rückkehr des Bolschewismus der 50er Jahre» verkündete. Denn Peretz ist ein Volkstribun, der nicht gezögert hat, gleich nach seiner Wahl die brennende Frage der Armut zu seinem Steckenpferd zu machen («Fast ein Drittel der israelischen Kinder lebt unterhalb der Armutsgrenze»).
Nicht nur in der sozialen Frage erschüttert der junge Führer der Arbeitspartei den Konsens der politischen Klasse: Er hat eindeutig die Politik der Kolonisierung angeprangert und versichert, er wolle «die von Yitzhak Rabin begonnene Arbeit vollenden».
Wenngleich es offensichtlich ist, dass Amir Peretz sich nicht von den großen Linien des zionistischen Konsenses entfernt — er hat sich wiederholt gegen das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und die Rückgabe von Ost-Jerusalem ausgesprochen —, markiert er dennoch einen Bruch mit der kriegerischen Einseitigkeit der politischen Klasse an der Macht, inkl. der Peres, Barak und Ben Eliezer, die allesamt Komplizen der blutigen Offensive der letzten Jahre sind.

Michel Warschawski, Jerusalem

Aus: Rouge, Nr.2135, 24.11.2005 (Übersetzung: Hans-Günter Mull)



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