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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2006, Seite 19

100 Jahre Naturfreunde Deutschland

Berg frei !

Am 4.August 1905 gründete sich in München-Schwabing die erste deutsche Gruppe der Naturfreunde

Beim Wandern oder «Kraxeln» sich begegnende Naturfreunde grüßen «Berg frei», sich erinnernd an die Gründungszeit ihrer Organisation, als der Zugang zu Berggipfeln und in die meisten Wälder noch verboten war. Der freie Zugang in die Berge und an die Seen war eine der frühen Forderungen der Arbeiterbewegung , gerichtet noch gegen die adeligen Grundbesitzer des vorvergangenen Jahrhunderts.
Im Jahr 1895 wandten sich ein Lehrer und ein Arbeiter per Anzeige in der Wiener Arbeiterzeitung an die Öffentlichkeit, um eine «touristische(n) Gruppe» von Freunden der Natur zu gründen. Die Gründer erhofften sich, Wiener Arbeiter «von der Geißel der Schänke und des Spießertums zu befreien».
Die Verbindung von Entspannung und Erholung vom Arbeitsalltag mit Arbeiterbildung und -kultur ist die Essenz des Gründungsgedankens der Naturfreundebewegung. 1905 sprang der Funke über die Alpen, und in München gründete sich die erste Ortsgruppe in Deutschland.
Rasend schnell entstanden in den folgenden Jahren überall in Deutschland Ortsgruppen und Fachgruppen zu den unterschiedlichsten Themen. Der Bau von Berghütten und kleinen Heimen in Wandergebieten, in denen Gruppen und Familien zu Erholung absteigen konnten, war in diesen Jahren einer der Arbeitsschwerpunkte der meisten Ortsgruppen. Dabei wurde das Baumaterial oft über viele Kilometer auf dem Rücken zu den Häusern geschleppt.
Es war dieser Enthusiasmus, diese gelebte Solidarität, die in vielen Arbeiterorganisationen wie Konsumgesellschaften, Arbeitersportvereinen etc. zu finden war, um die die Naturfreunde von den bürgerlichen Wanderverbänden beneidet wurden.
Das Wandern und Bergsteigen war in den 20er Jahren eine Mode wie heutzutage Jogging und Nordic Walking. Zahlreiche Gebirgs- und Wandervereine buhlten um Mitglieder und Einfluss. Zusätzlich bildete sich praktisch zur gleichen Zeit die «Wandervogelbewegung», die stark bürgerlich geprägt war und — im Gegensatz zu den an der Aufklärung und an einem sozialistischen Menschenbild orientierten Naturfreunden — die blaue Blume der Romantik hochhielt.
In den letzten Jahren der Weimarer Republik wurde der Verband stark von den Auseinandersetzungen zwischen den großen Arbeiterparteien geprägt. Die Mehrheit, die sozialdemokratisch orientiert war, setzte Anfang der 30er Jahre einen rigiden Ausgrenzungskurs gegen die kommunistisch geführten Ortsgruppen durch. Diese Spaltung konnte nicht in allen Ortsgruppen durchgeführt werden, insbesondere die Mitglieder kleiner linkssozialistischer Gruppen verfügten in der Bewegung über großen Einfluss und stemmten sich gegen die Scharfmacher auf beiden Seiten.
Exemplarisch geschildert werden der Ausschluss (und die späteren Aktivitäten im antifaschistischen Widerstand) einer trotzkistisch- kommunistischen Ortsgruppe der Naturfreunde Sachsen im Buch Rote Bergsteiger von B.Weinhold, das vor kurzem im Neuen ISP Verlag erschienen ist.
Verbot und Zerschlagung der Organisation, Enteignung der Hütten und Häuser ließen in der Nazi-Zeit viele Mitglieder resignieren. Einige wenige versuchten, die Strukturen auf lokaler Ebene zu reorganisieren. Die meisten Versuche wurden aufgedeckt und niedergeschlagen. Der bekannteste Widerstandskämpfer aus den Reihen der Naturfreunde war Georg Elser, dessen Anschlag Hitler 1939 nur knapp verfehlte.
In den Nachkriegsjahren konzentrierte sich die Organisation auf den Ausbau und Erhalt der zurückerhaltenen Häuser. Die politischen Aktivitäten der Naturfreundebewegung konzentrierten sich in den 50er und 60er Jahren im wesentlichen auf Aktionen gegen die Remilitarisierung und die Beteiligung an der Ostermarschbewegung. Schon vor Entstehung der Ökologiebewegung betrieben die Naturfreunde Aufklärung über die Folgen der Umweltzerstörung. Die Häuser wurden zu Anziehungspunkten für günstige Ferienaufenthalte für Reisegruppen und vor allem Familien. Das gemeinsame Naturerlebnis beim Wandern, Klettern oder Paddeln stand im Vordergrund. Die Ausbildung von Wander- und Kletterführer, die über soziale und ökologische Kompetenz verfügen, ist noch immer eine wichtige Aufgabe.
Ein Austausch mit den sog. Neuen Sozialen Bewegungen, der inhaltlich mehr als geboten erschien, konnte nicht realisiert werden, weil die Ressentiments auf beiden Seiten zu groß waren. Der Prozess des schleichenden Niedergangs, der einhergeht mit einer zunehmenden «Vergreisung» des Verbandes, hält bis dato an.
Innerhalb der Linken werden die Naturfreunde nur noch als Servicedienstleister zur Organisierung von Kinder- und Jugendfreizeiten bzw. von Seminaren genutzt. Der Verband wird nicht genutzt als Auseinandersetzungsfeld für politisches Eingreifen. Dass in der Mitgliedschaft ein reges Interesse an linken Debatten besteht, kann man im Verbandsorgan Naturfreundin nachlesen. Immer dann, wenn sozialdemokratische Funktionäre versuchen, ihre Linie durchzusetzen, hagelt es Leserbriefe mit kritischem Inhalt. Bei den Festveranstaltungen im vergangenen Jahr war eines wirklich deutlich zu spüren: Für die Naturfreunde ist die Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen, und auf welcher Seite Naturfreunde sich positionieren, kann man seit 100 Jahren sehen.

Michael Barg

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