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Der Autor, Jahrgang 1965, studierte Geschichte in Cambridge. In den 90er Jahren reiste er mehrfach durch
die ehemalige Sowjetunion, wo er in Gesprächen mit Zeitzeugen und in neu geöffneten Archiven
Material für seine Biografie über Stalin sammelte. Doch bereits der Titel seines Buches
lässt eine Analogie erwarten, deren Berechtigung problematisch ist. Wenn Stalin ein «roter
Zar» gewesen ist, war Hitler dann ein brauner Kaiser?
Der russische Zar war nach den 1848er
Revolutionen in ganz Europa der große Garant für den Schutz der reaktionären Aristokratie
gewesen. «Keine Revolution in Westeuropa kann endgültig siegen», schrieb Engels,
«solange der jetzige russische Staat neben ihr besteht.» Als 1849 in Ungarn die bürgerliche
Demokratie zu erstarken drohte, zerschlug sie der Zar mit seiner Armee. Die Großgrundbesitzer, die
ihren Fron aus den leibeigenen Bauern pressten, bildeten die Grundlage für den Zarismus, der erst zu
zerbrechen drohte, als sich die neue Klasse der Bourgeoisie und mit ihr die Arbeiterklasse, entwickelte.
Doch was war die Grundlage für den
«roten Zaren»? Was unterschied Stalins blutige Herrschaft von den russischen Zaren und von der
faschistischen Diktatur Hitlers? Montefiore setzt zwischen alle einfach ein Gleichheitszeichen. Doch mit
dieser simplen Analogie lässt sich der Stalinismus nicht erklären. Stalin ging immerhin aus einer
Revolution hervor, die den Zarismus stürzte und sich zum Ziel setzte, die Ausbeutung und
Unterdrückung von Menschen durch Menschen zu vernichten. Stalins Programmatik unterschied sich
deutlich vom Zarismus und von Hitler, dessen arischer Rassismus auf dem Nürnberger Parteitag deutlich
den Kurs seiner völker- und menschenverachtenden Politik bestimmte.
Montefiore schildert in seinem akribisch
recherchierten Buch einen hochneurotischen Stalin, der durchaus liebevoll zu seiner Frau Nadja sein konnte,
deren Selbstmord er nie habe überwinden können. Keiner habe sich getraut, diesem intelligenten
und mit einem hervorragendem Gedächtnis ausgestatteten Stalin zu widersprechen. Stalin sei umgeben
gewesen von bolschewistischen Saufbolden, Schürzenjägern und Kriechern, die bei der geringsten
Abweichung von der Meinung ihres Führers mit der Erschießung rechnen mussten. «Seit 1937
hatte sich das Klima der Angst um Stalin immer mehr verdichtet. Allein Molotow sprach mit seinem Chef wie
unter seinesgleichen.»
Der Autor zeigt Stalin als simplen
Hitlerfan. «Hitler versteht sein Handwerk», murmelte Stalin. Als Hitler trotz des
Nichtangriffpakts die Sowjetunion überfiel, soll sich Stalin wie ein naiver Trottel aufgeführt
haben. «Ich glaube, dass Hitler uns bloß zu provozieren versucht», soll er gesagt haben. Als
die Reichswehr drohte, Moskau zu bezwingen, soll sich Stalin einige Tage eingeschlossen haben. Doch als der
Sieg immer gewisser wurde, sei «ein selbstsicherer, eingebildeter Stalin und ein mit Gold und Orden
behängtes imperiales bolschewistisches Russland» nach Europa gezogen. Montefiore hat mit diesem
Buch eine Operninszenierung, aber keine Biografie vorgelegt.
«Der Marxismus fasst die Gesetze der
Wissenschaft ganz gleich, ob es sich um Gesetze der Naturwissenschaft oder der politischen
Ökonomie handelt als solche objektiver, unabhängig vom Willen der Menschen vor sich
gehende Prozesse auf.» In diesem programmatischen Satz Stalins schimmert eine der geistigen Quellen
für die brutale Liquidierung von Hunderttausenden von Menschen durch. Denn wenn er die Ökonomie
analog zu den kausal sich vollziehenden Naturgesetzen setzt, also ohne Subjekt, dann bleibt doch zu fragen,
wer oder was setzte die Kausalität der Ökonomie in Schwung? Stalin? Die Partei?
Stalins Tote wiegen sehr schwer in der
Geschichte des Sozialismus, doch wer diese vielen Toten einfach dem Irrsinn eines Diktators zuschreibt,
trägt nicht zur Klärung dieser Katastrophe bei, sondern zu deren Banalisierung. Die
Menschenverachtung des Stalinismus zu ergründen ist eine wichtige Aufgabe. Montefiore, der beste
Quellenforschung für sein Buch betrieben hat, hat leider eine Chance vertan, um dem Gespenst des
Stalinismus auf die Schliche zu kommen.
Jürgen Meier
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