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Er ist als bulliger Choleriker bekannt, der gern auch mal seine Ellenbogen
benutzt, um in die erste Reihe zu kommen. Er ist der vielleicht eitelste Sack aus der Feuilletonredaktion
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und lässt sich für seine bösartig, aber langweilig
geschriebenen Verrisse von Theateraufführungen auf den einschlägigen Feiern herumreichen. Als er
mal keine Premierenkarte für eine Inszenierung erhielt, zeterte der Herr mit allem, was ihm zu eigen
ist, gegen dieses «Berufsverbot» durch die Theaterkasse.
Aber nun hat sich Gerhard Stadelmaier sogar
mächtig für das noch höhere Gut der Pressefreiheit verdient gemacht. Fünf Minuten nach
Beginn der Erstaufführung von Ionescos Das große Massakerspiel oder Triumph des Todes im
Frankfurter Schauspiel wurde er gegen seinen Willen in das Stück mit einbezogen. Bis dahin war schon
viel passiert: «Neben mir wurde einer hochschwangeren Frau die Fruchtblase zerstochen, zwei
Männer masturbierten. Dann gebar die Frau einen totenVogel.» Der Schauspieler Thomas Lawinsky
rief sodann «Gebt dem da doch das Kind! Schreiben Sie doch, dass es ein schönes Kind ist!»
Aber der nach Selbsteinschätzung meist
gefürchtete «Kritiker» Deutschlands lehnte den toten Vogel nicht etwas aus Angst vor der
Vogelgrippe, sondern mit der prinzipienfesten Begründung ab: «Als Kritiker wollte ich an dem
Stück nicht teilnehmen.» Was für ein Mann, der so tapfer seine Unabhängigkeit
verteidigt. Daraufhin soll Lawinsky dem Stadelmaier seinen Notizblock entrissen haben, um ihn wenig
später wieder zurückzugeben: «Schreib weiter Junge, der Abend wird noch schrecklich!»
Die ungewollte Einbeziehung in das Theaterstück brachte den Kritiker aber völlig aus der Fassung,
sodass er zunächst vorzeitig das Theater verlassen musste. Der Vorfall sei eine «ganz klare
Grenzüberschreitung, eine Frechheit und beispielloser Vorfall» gewesen. «Vielleicht gehe ich
damit in die Theatergeschichte ein, wenn auch nicht als Schreiber».
Für Stadelmaiers Chef, Frank
Schirrmacher, war die Sache ein Eklat erster Ordnung. Als Zeuge der Vorfälle meldete sich auch der
Kulturchef des Mannheimer Morgen zu Wort, an dem besagten Abend, Sitznachbar vom FAZ-Kollegen. Aber
irgendwie muss er die Sache etwas bizarrer erlebt haben: «Es war absolut peinlich und dreist, dass
Stadelmaier zur Zielscheibe des Publikums wurde.» Des Publikums? Merkwürdige Sichtweise. Nach der
eindringlichen Premiere wurde es hochpolitisch. Schirrmacher und Stadelmaier schrieben einen Brief an die
Intendantin des Schauspiels und an die Frankfurter Oberbürgermeisterin Roth und forderten
Konsequenzen. Die Bürgermeisterin sah in dem «unentschuldbaren Zwischenfall» einen
«Eklat» der «sofortige Konsequenzen erfordere. Der Herr Lawinsky müsse sofort entlassen
werden und die Intendantin sich «unverzüglich, unzweifelhaft und umfassend» bei Herrn
Stadelmaier und der FAZ entschuldigen.
Die Freiheit der Kunst scheint hinter der
der Presse zu verschwinden. Und wenn in diesem Land Hunderte von Journalisten durch Staatsorgane
abgehört werden dürfen, wenn Fotografen und Berichterstatter auf Dutzenden von Demonstrationen
vom Polizeiknüppeln vertrieben werden können und wenn kleine unabhängige Magazine von der
erdrückenden Marktmacht der Pressegiganten verschluckt oder zerschlagen werden, dann höhlt dies
nicht die Pressefreiheit aus. Aber wenn der Herr Stadelmaier schlecht geschlafen hat und sich abends im
Theater angemacht fühlt, dann ist es gleich der Supergau und die ganze Kolonne steht stramm: die
Intendantin entschuldigt sich, der Schauspieler wird entlassen. Und der Kritiker hat wieder freie Bahn in
die erste Reihe.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
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