SoZ - Sozialistische Zeitung |
Nürnberg, Anfang Februar 2006: Solidarität mit den Streikenden von
Electrolux/AEG, tiefes Bedauern für die betroffenen Menschen und für die wirtschaftlichen Folgen.
Doch schon wenige Tage später scheint dies vergessen: Durch den Bundestag geistert das 560-Seiten-
Gutachten von Booz Allen Hamilton. Diskutiert wird die Frage, ob die Deutsche Bahn AG den globalen
Investoren mit oder ohne Schienen angeboten werden kann. Es scheint, als wäre der Börsengang der
Deutschen Bahn bereits beschlossene Sache. Dagegen ist nur die Fraktion Die Linke.
Das Gutachten von Booz Allen Hamilton es trägt auch den Titel «Primon»,
Privatisierung mit und ohne Netz wurde vom Verkehrsausschuss des Bundestags eingefordert. Es sollte
der einseitigen Sicht des Morgan-Stanley-Gutachtens, das 2004 im Auftrag der Deutschen Bahn erstellt wurde,
eine differenziertere Sicht entgegenstellen. Das Morgan-Stanley-Gutachten hatte im Sinne des
Auftraggebers für einen baldigen Börsengang der Deutschen Bahn plädiert.
Nun kann das neue Gutachten offenbar kaum als neutral gelten. Erneut ist im Gutachter-Team Morgan
Stanley vertreten, eine Investmentgesellschaft, die ein vitales Interesse daran hat, den Börsengang
der Bahn finanziell zu begleiten. Sie ist mit der Deutschen Bahn auf vielfältige Weise verbandelt:
durch Beratung beim Verkauf der Fährschiffgesellschaft Scandlines, als Mitglied im Konsortium für
eine 800-Millionen-Euro-Anleihe der Deutschen Bahn zum Kauf des US-Transportunternehmens Bax oder beim
Monitoring der Bundesregierung bezüglich der Quartalsabschlüsse der Deutschen Bahn.
Wie kam Morgan Stanley in das Gutachter-
Team? Durch die Hintertür, wie im Wirtschaftsmagazin Euro nachzulesen war: «Zwölf Konsortien
bewarben sich für das Gutachten. Insider kolportieren, dass das Verkehrsministerium Bewerber
aufgefordert hatte, mit Morgan Stanley zu kooperieren. So wollte es die Investmentbank doch noch mit ins
Boot holen … Im März erteilte es der Gruppe um Konsortialführer Booz Allen Hamilton den
Auftrag für das Zusatzgutachten. Unterauftragnehmer für Kapitalmarktfragen: Morgan Stanley.»
Sensible Teile des Primon-Gutachtens dürften aller Wahrscheinlichkeit nach von Morgan Stanley erstellt
worden sein, denn dieses Unternehmen hatte den Zugang zu «sensiblen» Daten der Bahn, andere und
das Primon-Team als Ganzes offensichtlich nicht.
Für den Bundeshaushalt wären die Einspareffekte interessant, die bei einem Börsengang der
Bahn zu erlösen sind. Aber das Resultat der Gutachter fiel zur Enttäuschung vieler nur gering
aus: Der «Haushaltseffekt» liegt, über einen Zeitraum von zehn Jahren betrachtet, zwischen
rund 8 und gut 23 Milliarden Euro (je nach Modell). Dies ist wenig, angesichts von mindestens rund 300
Milliarden Euro, die der Bund für Verpflichtungen gegenüber Bahn und Eisenbahnern im vergangenen
und im nächsten Jahrzehnt insgesamt aufwenden muss.
Jeder Börsengang der Deutschen Bahn
wäre vor diesem Hintergrund eine Verhöhnung der Steuerzahler: Bund, Bahn und nicht zuletzt die
Eisenbahner selbst mussten nach der Bahnreform teilweise tief in die Taschen greifen oder
Arbeitsplätze opfern, damit die Bahn auf neuen Kurs gebracht werden konnte. Nun kommen andere, um die
Renditen zu schöpfen?
Absehbar ist auch, dass die finanziellen
Verpflichtungen des Bundes für Investitionen in die Schienenwege und für die Bestellungen von
Nahverkehrsleistungen noch auf Jahre in ähnlichen Größenordnungen liegen werden wie bisher
trotz Börsengang! Der feine Unterschied wäre jedoch der, dass Milliardenbeträge an
Steuergeldern dann letztlich mehr oder weniger in private Taschen fließen würden. Damit
unmittelbar verbunden wäre der Ertragsdruck. Der nähme zu, die Arbeitsbedingungen würden
schlechter. Die Eisenbahnergewerkschaft Transnet nennt den Verlust von 5000 Arbeitsplätzen, falls
Fahrbetrieb und Schienennetz getrennt werden sollten!
Eine der möglichen Gefahren: Die
Veräußerung von Unternehmensteilen könnte scheibchenweise und auf Raten stattfinden. Der DB-
Konzern hätte als «Kaufhaus» einiges im Angebot: immerhin fünf Aktiengesellschaften
DB Station und Service, DB Netz, DB Fernverkehr, DB Regio, die Gesellschaft Railion für
Güterverkehr und internationale Transportlogistik sowie ein stattliches Gemenge von mehr als
300 Tochterunternehmen, darunter durchaus lukrative Immobilien- oder S-Bahn-Gesellschaften, aber auch
Omnibusunternehmen oder kleinere Versorgungsunternehmen.
Mit jedweder Kapitalprivatisierung gäbe der Bund nicht nur Geld aus der Hand. Auch seine
Gestaltungsmöglichkeiten für eine vernünftige Umweltpolitik könnten aus dem Gleis
geraten. Nach einem Börsengang hätte der Bund allemal deutlich weniger Einfluss auf die
Verkehrsentwicklung. Trotz Klimakatastrophe: Für viele gilt im Alltagsleben heute mehr denn je, dass
Zeit Geld ist. Weit fahren bringt Geld, warten kostet! Verkehr legt kontinuierlich dort zu, wo er schnell,
direkt und vor allem billig von der Quelle ans Ziel führt. Umsteigen, Umladen, Linienverkehr und
Wartezeiten gelten als lästig, daher entwickeln sich die Verkehrsanteile von Straße und
Flugverkehr weit rasanter als der der Eisenbahn. Mehr Verkehr auf die Schiene? Der beliebte Slogan
könnte schnell Schnee von gestern sein.
Erste Alarmsignale für gravierende
Veränderungen im Eisenbahnfernverkehr werden schon gemeldet: In Sachsen werden in den Bahnhofshallen
die Info-Points geschlossen und abgebaut. Offen wird hier und da der Verzicht auf Fernzüge diskutiert.
Im Gespräch sind die Verbindungen zwischen Berlin und Ostseeküste oder zwischen Hessen und
Thüringen. Hier fehlt es an Reisenden. Die öffentliche Hand scheint die Gemeinwohlverpflichtung
des Grundgesetzes besonders zu beherzigen: Versucht sie doch, Investoren «beim Einsteigen zu
helfen». «Bahn für alle», das kann im Bahnbörsenzeitalter auch heißen:
Bestellt von den Bundesländern und mit Steuergeldern gemäß Regionalisierungsgesetz bezahlt,
fahren Regional- statt Fernzüge.
Keine Silbe ist im Primon-Gutachten
über ein privatwirtschaftliches Eisenbahnunternehmen zu finden, das ein größeres Gesamtnetz
bedient, den allgemeinen Verkehrsbedarf deckt und sich längerfristig selbst trägt. Ein solches
Unternehmen gibt es weltweit nicht. Die Gutachter verweisen zwar auf eine Reihe internationaler
Unternehmungen. Doch diese werden falsch skizziert. Nicht einmal die herausragende Riesenpleite der
englischen Railtrack wird genannt. Um das Schienennetz in England wieder auf Vordermann zu bringen, sind
rund 75 Milliarden Euro aufzuwenden; die britische Regierung springt zurzeit mit jährlich etwa
67 Milliarden Euro ein.
Erfolgreiche Eisenbahnen in Europa sind
dagegen in staatlicher Hand: Die Schweizer Bundesbahn SBB oder die französische SNCF. Beide legen im
Personenverkehr zu und haben einen geringeren Bedarf an staatlicher Kostendeckung als das deutsche Netz.
Die SBB kann mit 2,4 Cent pro Kilometer glänzen das ist der geringste spezifische Wert in
Europa für staatliche Ausgaben im Schienenverkehr, Deutschland hat annähernd das Dreifache.
Somit gibt es gute Gründe, den
Börsengang abzublasen und der Umwelt und der Gemeinwohlverpflichtung zuliebe eine weitere Variante
aufzulegen: Die Deutsche Bahn AG kann nämlich sehr wohl ohne Börsengang vorankommen. Dazu
müsste der Bund nur tun, was zwecks Börsenfähigkeit der Bahn für ihn im letzten
Jahrzehnt tabu war: Er muss als Eigentümer der Deutschen Bahn wieder Einfluss auf die
Aktiengesellschaften nehmen.
Dorothée Menzner
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