SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2006, Seite 7

Dämon PRIMON

Die Bahn geht an die Börse

Nürnberg, Anfang Februar 2006: Solidarität mit den Streikenden von Electrolux/AEG, tiefes Bedauern für die betroffenen Menschen und für die wirtschaftlichen Folgen. Doch schon wenige Tage später scheint dies vergessen: Durch den Bundestag geistert das 560-Seiten- Gutachten von Booz Allen Hamilton. Diskutiert wird die Frage, ob die Deutsche Bahn AG den globalen Investoren mit oder ohne Schienen angeboten werden kann. Es scheint, als wäre der Börsengang der Deutschen Bahn bereits beschlossene Sache. Dagegen ist nur die Fraktion Die Linke.

Das Gutachten von Booz Allen Hamilton — es trägt auch den Titel «Primon», Privatisierung mit und ohne Netz — wurde vom Verkehrsausschuss des Bundestags eingefordert. Es sollte der einseitigen Sicht des Morgan-Stanley-Gutachtens, das 2004 im Auftrag der Deutschen Bahn erstellt wurde, eine differenziertere Sicht entgegenstellen. Das Morgan-Stanley-Gutachten hatte — im Sinne des Auftraggebers — für einen baldigen Börsengang der Deutschen Bahn plädiert.

Primon = Privatisierung mit und ohne Netz

Nun kann das neue Gutachten offenbar kaum als neutral gelten. Erneut ist im Gutachter-Team Morgan Stanley vertreten, eine Investmentgesellschaft, die ein vitales Interesse daran hat, den Börsengang der Bahn finanziell zu begleiten. Sie ist mit der Deutschen Bahn auf vielfältige Weise verbandelt: durch Beratung beim Verkauf der Fährschiffgesellschaft Scandlines, als Mitglied im Konsortium für eine 800-Millionen-Euro-Anleihe der Deutschen Bahn zum Kauf des US-Transportunternehmens Bax oder beim Monitoring der Bundesregierung bezüglich der Quartalsabschlüsse der Deutschen Bahn.
Wie kam Morgan Stanley in das Gutachter- Team? Durch die Hintertür, wie im Wirtschaftsmagazin Euro nachzulesen war: «Zwölf Konsortien bewarben sich für das Gutachten. Insider kolportieren, dass das Verkehrsministerium Bewerber aufgefordert hatte, mit Morgan Stanley zu kooperieren. So wollte es die Investmentbank doch noch mit ins Boot holen … Im März erteilte es der Gruppe um Konsortialführer Booz Allen Hamilton den Auftrag für das Zusatzgutachten. Unterauftragnehmer für Kapitalmarktfragen: Morgan Stanley.» Sensible Teile des Primon-Gutachtens dürften aller Wahrscheinlichkeit nach von Morgan Stanley erstellt worden sein, denn dieses Unternehmen hatte den Zugang zu «sensiblen» Daten der Bahn, andere und das Primon-Team als Ganzes offensichtlich nicht.

Der Bund braucht Geld

Für den Bundeshaushalt wären die Einspareffekte interessant, die bei einem Börsengang der Bahn zu erlösen sind. Aber das Resultat der Gutachter fiel zur Enttäuschung vieler nur gering aus: Der «Haushaltseffekt» liegt, über einen Zeitraum von zehn Jahren betrachtet, zwischen rund 8 und gut 23 Milliarden Euro (je nach Modell). Dies ist wenig, angesichts von mindestens rund 300 Milliarden Euro, die der Bund für Verpflichtungen gegenüber Bahn und Eisenbahnern im vergangenen und im nächsten Jahrzehnt insgesamt aufwenden muss.
Jeder Börsengang der Deutschen Bahn wäre vor diesem Hintergrund eine Verhöhnung der Steuerzahler: Bund, Bahn und nicht zuletzt die Eisenbahner selbst mussten nach der Bahnreform teilweise tief in die Taschen greifen oder Arbeitsplätze opfern, damit die Bahn auf neuen Kurs gebracht werden konnte. Nun kommen andere, um die Renditen zu schöpfen?
Absehbar ist auch, dass die finanziellen Verpflichtungen des Bundes für Investitionen in die Schienenwege und für die Bestellungen von Nahverkehrsleistungen noch auf Jahre in ähnlichen Größenordnungen liegen werden wie bisher — trotz Börsengang! Der feine Unterschied wäre jedoch der, dass Milliardenbeträge an Steuergeldern dann letztlich mehr oder weniger in private Taschen fließen würden. Damit unmittelbar verbunden wäre der Ertragsdruck. Der nähme zu, die Arbeitsbedingungen würden schlechter. Die Eisenbahnergewerkschaft Transnet nennt den Verlust von 5000 Arbeitsplätzen, falls Fahrbetrieb und Schienennetz getrennt werden sollten!
Eine der möglichen Gefahren: Die Veräußerung von Unternehmensteilen könnte scheibchenweise und auf Raten stattfinden. Der DB- Konzern hätte als «Kaufhaus» einiges im Angebot: immerhin fünf Aktiengesellschaften — DB Station und Service, DB Netz, DB Fernverkehr, DB Regio, die Gesellschaft Railion für Güterverkehr und internationale Transportlogistik — sowie ein stattliches Gemenge von mehr als 300 Tochterunternehmen, darunter durchaus lukrative Immobilien- oder S-Bahn-Gesellschaften, aber auch Omnibusunternehmen oder kleinere Versorgungsunternehmen.

Arbeitsplätze und Umwelt futsch?

Mit jedweder Kapitalprivatisierung gäbe der Bund nicht nur Geld aus der Hand. Auch seine Gestaltungsmöglichkeiten für eine vernünftige Umweltpolitik könnten aus dem Gleis geraten. Nach einem Börsengang hätte der Bund allemal deutlich weniger Einfluss auf die Verkehrsentwicklung. Trotz Klimakatastrophe: Für viele gilt im Alltagsleben heute mehr denn je, dass Zeit Geld ist. Weit fahren bringt Geld, warten kostet! Verkehr legt kontinuierlich dort zu, wo er schnell, direkt und vor allem billig von der Quelle ans Ziel führt. Umsteigen, Umladen, Linienverkehr und Wartezeiten gelten als lästig, daher entwickeln sich die Verkehrsanteile von Straße und Flugverkehr weit rasanter als der der Eisenbahn. Mehr Verkehr auf die Schiene? Der beliebte Slogan könnte schnell Schnee von gestern sein.
Erste Alarmsignale für gravierende Veränderungen im Eisenbahnfernverkehr werden schon gemeldet: In Sachsen werden in den Bahnhofshallen die Info-Points geschlossen und abgebaut. Offen wird hier und da der Verzicht auf Fernzüge diskutiert. Im Gespräch sind die Verbindungen zwischen Berlin und Ostseeküste oder zwischen Hessen und Thüringen. Hier fehlt es an Reisenden. Die öffentliche Hand scheint die Gemeinwohlverpflichtung des Grundgesetzes besonders zu beherzigen: Versucht sie doch, Investoren «beim Einsteigen zu helfen». «Bahn für alle», das kann im Bahnbörsenzeitalter auch heißen: Bestellt von den Bundesländern und mit Steuergeldern gemäß Regionalisierungsgesetz bezahlt, fahren Regional- statt Fernzüge.
Keine Silbe ist im Primon-Gutachten über ein privatwirtschaftliches Eisenbahnunternehmen zu finden, das ein größeres Gesamtnetz bedient, den allgemeinen Verkehrsbedarf deckt und sich längerfristig selbst trägt. Ein solches Unternehmen gibt es weltweit nicht. Die Gutachter verweisen zwar auf eine Reihe internationaler Unternehmungen. Doch diese werden falsch skizziert. Nicht einmal die herausragende Riesenpleite der englischen Railtrack wird genannt. Um das Schienennetz in England wieder auf Vordermann zu bringen, sind rund 75 Milliarden Euro aufzuwenden; die britische Regierung springt zurzeit mit jährlich etwa 6—7 Milliarden Euro ein.
Erfolgreiche Eisenbahnen in Europa sind dagegen in staatlicher Hand: Die Schweizer Bundesbahn SBB oder die französische SNCF. Beide legen im Personenverkehr zu und haben einen geringeren Bedarf an staatlicher Kostendeckung als das deutsche Netz. Die SBB kann mit 2,4 Cent pro Kilometer glänzen — das ist der geringste spezifische Wert in Europa für staatliche Ausgaben im Schienenverkehr, Deutschland hat annähernd das Dreifache.
Somit gibt es gute Gründe, den Börsengang abzublasen und der Umwelt und der Gemeinwohlverpflichtung zuliebe eine weitere Variante aufzulegen: Die Deutsche Bahn AG kann nämlich sehr wohl ohne Börsengang vorankommen. Dazu müsste der Bund nur tun, was zwecks Börsenfähigkeit der Bahn für ihn im letzten Jahrzehnt tabu war: Er muss als Eigentümer der Deutschen Bahn wieder Einfluss auf die Aktiengesellschaften nehmen.

Dorothée Menzner

Dorothée Menzner ist Mitglied des Bundetags für die Fraktion Die Linke.



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