SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2006, Seite 8

Metalltarifrunde

In wie viel Schritten zu mehr Geld?

Der Vorstand der IG Metall hat am 20.Januar 2006 die Forderungen für die Metalltarifrunde beschlossen. Demnach sollen die Einkommen um 5% steigen. Darüber hinaus will die IG Metall einen Tarifvertrag zur Qualifizierung und Innovation und den Neuabschluss eines Tarifvertrags über vermögenswirksame Leistungen durchsetzen. Für Nordwürttemberg-Nordbaden sollen die Bestimmungen des Tarifvertrags Lohnrahmen II wieder gelten.
In der vorangegangenen Diskussionsperiode wurde in den einzelnen Tarifgebieten eine Entgeltforderung von 4—5% anvisiert. Dass der IG-Metall-Vorstand sich nun für die 5% entschieden hat, begründet er mit der wirtschaftlichen Entwicklung im letzten Quartal des vergangenen Jahres.
Unterstützt wird diese Position durch die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts: In den letzten drei Monaten des Jahres 2005 hat die Metallverarbeitung noch einmal mächtig zugelegt. Die Produktion stieg im November gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat um 8,2%, die Produktivität je Beschäftigtenstunde sogar um 8,7%.
Dieser Leistungssteigerung der Belegschaften stand keine entsprechende Steigerung der Entgelte gegenüber, deshalb sanken die Lohnstückkosten — also die Lohnkosten für eine Produkteinheit — um 7,7%. Diese Zahl reiht sich nahtlos in die langfristige Entwicklung ein. Seit drei Jahren steigt die Stundenproduktivität in der Metallverarbeitung kräftig an, während im Gegenzug die Lohnstückkosten ebenso kräftig fallen. Seit 1995 sind sie um 20 Prozentpunkte gesunken.
Die schwache Binnennachfrage, vor allem bedingt durch sinkende Einkommen (Reallohnverlust von 3,5% seit 1993) und permanentem Abbau sozialstaatlicher Leistungen, hat es der IG Metall bislang relativ leicht gemacht, ihre Forderung in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Selbst aus CDU/CSU-Kreisen hörte man zum Jahresende den Ruf nach höheren Einkommen, die die Konjunktur beleben sollen.

«Entlassungsproduktivität»

Die Metallarbeitgeber lehnen es dagegen ab, einen Ausgleich für die allgemeine Verteuerung zu akzeptieren und bestreiten die Höhe der Produktivitätsentwicklung. Die Geschäftsführerin von Gesamtmetall, Heike Maria Kunstmann, forderte in der Welt am Sonntag: «Wir müssen uns am Produktivitätsfortschritt der Gesamtwirtschaft orientieren, abzüglich der Entlassungsproduktivität.» Mit dem neuen Unwort des Jahres «Entlassungsproduktivität» wird unterstellt, dass durch die Kündigung von «unproduktiven Beschäftigten» sich zwar die betriebliche Produktivität statistisch erhöht, es aber nicht zu einem höheren Leistungsgrad der verbliebenen Arbeiter und Angestellten kommt.
Darüber hinaus haben sich die Metallarbeitgeber vorgenommen, den von ihnen gekündigten Tarifvertrag zu vermögenswirksamen Leistungen mit einem Prozent in Anrechnung zubringen. Für NRW erklärte Metall- Arbeitgeberpräsident Michael Jäger, man strebe einen kostenneutralen Abschluss an und wolle dazu eine variable Gestaltung von Sonderzahlungen wie etwa dem Weihnachtsgeld sowie längere und flexiblere Arbeitszeiten erreichen, ohne dabei die 40-Stunden-Woche generell einzuführen. Zudem erklärte sich der Verband vor der ersten Verhandlungsrunde bereit, über eine Einmalzahlung zu verhandeln.
In Baden-Württemberg hat die Aufkündigung des Lohnrahmen II, besser bekannt unter dem Begriff «Steinkühlerpause», zu einer zusätzlichen Verschärfung der Tarifrunde geführt. Auf der tarifpolitischen Konferenz im Oktober des letzten Jahres hatten Beschäftigte von DaimlerChrysler, Porsche und John Deere gegen den Wegfall der Erholzeiten für Bandarbeiter und den Angriff auf die Mitbestimmung bei Taktzeiten und Taktgestaltung protestiert. Berthold Huber betonte auf der Konferenz, es werde ohne Inkraftsetzung des Lohnrahmen II in allen seinen Punkten keinen Abschluss in irgendeinem Tarifgebiet geben.
Wegen der Aufkündigung des Lohnrahmens II beginnt die heiße Phase der Tarifrunde in Baden-Württemberg schon Anfang März, da die bisherigen Verhandlungen zu diesem Thema zu keinem Ergebnis geführt haben und die Friedenspflicht bezüglich dieses Tarifvertrags am 28.Februar endet.
Zu Beginn der ersten Verhandlungsrunde hatten die Bezirksleiter der IG Metall unisono erklärt, man strebe einen Abschluss vor Auslaufen der Friedenspflicht Ende März an, wohl wissend, dass es dazu nicht kommen wird. Trotz der zurückhaltenden Propaganda von Gesamtmetall setzen die Unternehmer ihre Politik der letzten Jahre zielstrebig fort, in den Verhandlungen Kompensationsforderungen zu stellen und nicht, wie in der Vergangenheit, nur um das Maß der Einkommenserhöhungen zu streiten. Als Drohszenario schwenken sie dabei den Knüppel «Verlagerung ins Ausland».

Verlagerung auf Betriebsebene

Spätestens die letzte Tarifrunde 2004 machte deutlich, dass Abschlüsse in einem Tarifgebiet von den Unternehmern in anderen Gebieten nicht unbedingt übernommen werden. Im Metallarbeitgeberverband NRW gab es nach dem Pforzheimer Abkommen ziemlichen Krach über die Höhe des Abschlusses und die Kontrollregelungen, die Abweichungen von den Tarifverträgen nur nach genauer Prüfung durch die IG- Metall-Bezirksleitungen und — in einzelnen Fällen — den IG-Metall-Vorstand ermöglichen.
Die Konstruktion einer Verbandssparte OT (Ohne Tarifvertrag) ermöglicht es einzelnen Unternehmern, die Verpflichtungen der Tarifverträge aufzukündigen, ohne den Arbeitgeberverband verlassen zu müssen. Damit werden Tarifverhandlungen auf die Betriebsebene heruntergezogen mit dem Problem, dass nur gewerkschaftlich gut organisierte Betriebe in der Lage sind, alte tarifvertragliche Regelungen zurückzukämpfen. Darüber hinaus hat es in letzter Zeit um sich gegriffen, Tariferhöhungen mit übertariflichen Leistungen jeder Art zu verrechnen.
Zu Beginn der Tarifrunde ist die Stimmung unter den Mitgliedern der IG Metall gut: Der Streik bei AEG-Electrolux im Produktionswerk in Nürnberg und den Auslieferungsbetrieben Dormagen genießt bundesweit hohe Sympathie und stellt einen kämpferischen Hintergrund für die langsam anlaufende Auseinandersetzung dar. Auch wenn jüngste Presseveröffentlichungen einen Wettlauf der Bezirksleiter Detlev Wetzel (NRW) und Armin Schild (Frankfurt) um einen bezirklichen Abschluss und damit um eine gute Ausgangsposition um die Nachfolge im IG-Metall-Vorstand nach einem Ausscheiden von Jürgen Peters suggerieren: Eine erfolgreiche Tarifrunde, deren Ergebnis in den Betrieben ankommt, kann nicht in einem Tarifgebiet durchgesetzt werden. Alle Bezirke müssen kampffähig sein und auch einzelne Belegschaften müssen sich rüsten, das Tarifergebnis im Konflikt auf den Betrieb runter zu brechen. Die Zeit der Stellvertreterauseinandersetzungen ist endgültig vorbei.

Udo Bonn

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