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Die Belegschaft des Essener Alfried Krupp Krankenhauses wurde
überrumpelt. Am 3.Januar teilte die Geschäftsführung erst dem Betriebsrat und Stunden
später den Beschäftigten mit: Seit Jahresbeginn gelte im bislang frei-karitativen Krankenhaus nun
ein kirchliches Sonderrecht; der Betriebsrat sei erloschen; ein Streikrecht gäbe es für die rund
1250 Beschäftigten auch nicht mehr. Heimlich und von langer Hand hätten sie den Wechsel vom
Paritätischen Wohlfahrtsverband in das Diakonische Werk Rheinland durchgezogen.
Die Entscheidung, welche Konfession
günstiger ist, haben die Strategen in der Betriebsleitung reiflich abgewogen: «In der
katholischen Kirche wird von oben nach unten durchgestellt und im Bereich der Diakonie kann sich jede
Einrichtung selber organisieren.» Nun bereiten sie sich und die einzelnen Beschäftigten vor, Zug
um Zug arbeitsvertraglich in die Welt der kirchlichen Tarife zu wechseln.
Die Branche horcht auf. Kann es so einfach
sein, einen unbequemen Betriebsrat aufzulösen? Was sind all die Betriebsvereinbarungen über
Arbeitszeiten und Sozialeinrichtungen noch wert, nachdem mit der Betriebsverfassung auch deren
Geschäftsgrundlage verlassen wurde? Müssen die Kommunalen Arbeitgeberverbände die Diakonie
als gefährlichen Konkurrenten fürchten, der die Flucht aus dem Betriebsverfassungsgesetz gleich
noch mit einem Angebot des Tarifdumpings krönt? Kurz: Kann dieser Handstreich ein Modell sein für
aggressive Angriffe auf die Arbeitsbedingungen in Gesundheitsunternehmen?
Die Antworten werden wir vergleichsweise einfach in den unmittelbaren Auseinandersetzungen
finden. Noch ist nichts entschieden. Der Geschäftsführer, Dr.Hartwig, versuchte sich
gegenüber den Medien für den Coup über die Köpfe der Belegschaft hinweg zu
entschuldigen: «Aufgrund der bisherigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat hatten
wir die Einschätzung: Wenn das im Vorfeld mit dem Betriebsrat diskutiert wird, wird er probieren, es
kaputt zu machen.»
Damit hat er sich aber den Betriebsrat
nicht etwa vom Hals geschafft, sondern umso wütender zum Gegner. Die Instanzen der Arbeitsgerichte
müssen über den bislang einmaligen Fall urteilen. Der Wechsel in das Diakonische Werk selbst ist
unbestreitbar. Doch verlangt die bisherige Rechtssprechung zumindest wesentliche Spuren kirchlicher
Einflussnahme. Und da werden die Gerichte mühsam suchen müssen.
Das Krankenhaus ist im alleinigen Besitz
der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung geblieben, die als Hauptaktionärin des Thyssen-
Krupp-Konzerns ihre Millionen steuerlich günstig in der Welt verteilt. Die Kirchen haben keinen
einzigen Sitz in der Unternehmensführung. Nicht die Kirche zahlt an das Krankenhaus sondern umgekehrt.
An die Diakonie fließen je Bett und Jahr 35 Euro, gerade einmal 20000 Euro Beitrag für eine
jeweils zum Jahresende kündbare Mitgliedschaft. Offensichtlich versuchen die cleveren Klinikmanager,
rechtsmissbräuchlich unter den billigen Deckmantel der Kirche zu schlüpfen.
«Kirche bestimmt selbst, was Kirche
ist», werden nun die Rechtsanwälte des Arbeitgebers nicht müde, ihr Mantra aufzusagen. Und
wenn das Krupp-Krankenhaus kaum eine der Mindestbedingungen erfüllt, die die Diakonie von ihren
Mitgliedern abverlangt, bringt sie das nicht um ihre Seelenruhe: «Dies entzieht sich der Prüfung
der weltlichen Gerichte!»
Die arbeitsrechtlichen Folgen sind für
alle auch für den Arbeitgeber chaotisch. In den «alten» Arbeitsverträgen
fehlt ja die Unterwerfung unter kirchliche Tarife. Eine erst noch zu wählende
Mitarbeitervertretung mag erpressbar sein. Ihre Dienstvereinbarungen können aber die
Arbeitsverträge nicht ohne weiteres demontieren. Und auch die «Tarife» mit den
kircheneigenen «Arbeitsrechtlichen Kommissionen» sind nicht echten Tarifverträgen
gleichgestellt. Auch sie eignen sich nicht als Hebel, um die Arbeitsverträge auszuhebeln.
Solche Nachteile soll offenbar der
Raumgewinn wieder Wett machen, der durch diesen tarifpolitischen Ausbruchversuch winkt. Nun war das Krupp-
Krankenhaus bislang überhaupt nicht tarifgebunden. Doch die punktuelle «Anlehnung» an den
BAT ist längst dabei zu kippen. Einerseits ist der BAT ein Auslaufmodell, bereits ein Drittel der
Krankenhäuser ist mitten im Umstieg auf den TVöD. Andererseits bereitet Ver.di offen
Erzwingungsstreiks vor, um die restlichen «freien Radikalen» bei den Klinikarbeitgebern wieder
einzufangen.
Die Krupp-Geschäftsführer sehen das eher schlicht: «Da wir in Essen fast
ausschließlich mit kirchlichen Krankenhäusern im Wettbewerb stehen, war es uns sinnvoll, weil es
auch zur Ausrichtung des Krupp-Krankenhauses passt als gemeinnützige Einrichtung, uns einem
kirchlichen Verband anzuschließen, weil wir dann auch die dort geltenden kirchlichen
Tarifverträge für uns haben.»
Tatsächlich aber sind die
Tarifregelungen der Kirchen wirklichen Tarifverträgen nicht gleichgestellt. Denn sie sind eben keine
frei ausgehandelten Verträge. Damit können sie keine betrieblichen Regelungen ablösen. Und
sie schützen auch nicht vor Arbeitskämpfen mit der Gewerkschaft.
Eine Interessenvertretung nach diakonischem
Sonderrecht verliert gegenüber einem Betriebsrat wertvolle Handlungsmöglichkeiten. Das tut weh.
Der Arbeitgeber im Kruppschen hat unverzüglich die Wahl für so eine Mitarbeitervertretung
eingeleitet. Doch tatendurstige Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter lassen sich so nicht ausbremsen.
Erst im vergangenen Juni hatte sich der Betriebsrat in einer vorgezogenen Wahl die breite
Unterstützung der Belegschaft gesichert. Nun wurde der Betriebsratsvorsitzende von der
Belegschaftsversammlung eindrucksvoll mit 220 Stimmen in den Wahlvorstand geschickt. Wenige Tage
später wedelte die letzte im Betriebsratsteam triumphierend mit ihrem Beschied über den
Kircheneintritt. Dies ist die persönliche Voraussetzung, um zur Wahl für die
Mitarbeitervertretung anzutreten.
Fatal wird es für den Arbeitgeber.
Denn noch lange ist nicht gerichtsfest entschieden, ob seine Auflösung des Betriebsrats überhaupt
rechtswirksam war. Müssen alle beteiligungspflichtigen Entscheidungen im Betrieb wieder
zurückgenommen werden?
Der Überfall in Essen taugt also
allenfalls als Modell für verzweifelte Krankenhausmanager. Der Vernichtungswettbewerb lässt
für einige keine vernünftigen Auswege mehr. Wer sich in die schützenden Arme der Diakonie
wirft, ist für betriebswirtschaftliche Erwägungen meist nicht mehr zugänglich.
Rechtsfragen sind Machtfragen nur notfalls vertrauen wir auf die Weisheit der Gesetzgeber und
ihrer Arbeitsgerichte. Das gehört zu den Binsenweisheiten gewerkschaftlicher Seminare. Doch dieser
Konflikt wirft tiefergehende Fragen auf.
Wenn privates Kapital nach
öffentlichen Krankenhäusern greift, dann ist unsere Kampflosung klar: Gesundheit ist keine Ware!
Doch in diesem Fall boxt sich ein privates Krankenhaus ja in einen öffentlichen Raum zurück, der
scheinbar unter der Aufsicht einer Volkskirche steht. Warum begrüßen weder die Beschäftigten
noch die Patienten diesen Schritt?
In NRW sind fast 75% der Krankenhäuser
in kirchlicher Hand. Verwundert fragen die Journalisten uns Ver.di-Aktive: «Was ist so empörend
an Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung, wie sie die evangelischen und katholischen Krankenhäuser
nebenan seit Jahrzehnten praktizieren?»
Zwar zahlen die Arbeitgeber keine
Kirchensteuer. Doch Religionsfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht. Welche Belegschaft, welches Gericht
darf ihnen verwehren, sich vom Profit ab- und der Nächstenliebe zuzuwenden? Und sollen denn wirklich
ein Kloster oder ein Kirchentag das Arbeitszeitgesetz beachten und einen Betriebsrat mitbestimmen lassen?
Die Beschäftigten und ihre
Gewerkschaft Ver.di können die Antworten nicht den Deutungsversuchen der Rechtsdogmatiker
überlassen. Wo soll die Grenze gezogen werden zwischen allgemeinen Mindeststandards und kirchlichen
Sonderrechten? Das Gesundheitswesen wurde in den vergangenen Jahren gezielt marktwirtschaftlich zersetzt.
Insbesondere die Diakonie als Träger von Zehntausenden Einrichtungen ist bemüht, in dieser Welt
der Waren, der Preise und Kapitalströme anzukommen. Ihre kirchlichen Manager nutzen geschickt die
Privilegien der Kirche als Vorteile gegenüber den privaten Konkurrenten. Das Diakonische Werk
Rheinland entwickelt da Appetit: «Eine Klinik passt immer ins kirchliche Konzept.»
Es geht hier also nicht um die Verteidigung
von Schutzrechten für die Entfaltung von Religion, die sich aus gutem Grund nicht nur auf das
Spirituelle verweisen lassen will. Es geht um die Verteidigung von Schutzrechten der Beschäftigten,
die zum Spielball von Fusionsbewegungen am Gesundheitsmarkt werden.
Auf einer Informationsveranstaltung im Krupp-Krankenhaus stellte Moritz Linzbach, Vorstand des
Diakonischen Werks Rheinland, das überkommene Selbstverständnis vor. Es fasse die Träger mit
«diakonisch-missionarischer» Aufgabe zusammen und rufe «zum Dienst der Liebe in der
Nachfolge Christi» auf. Eine Kollegin hielt es da kaum ruhig auf dem Stuhl: «Wir machen hier
keine Nächstenliebe, wir pflegen Kranke!»
Nicht alles, wofür Kliniken heute
investieren, verdient gleich den Stempel «gemeinnützig». Der Satzungszweck des Kruppschen
Krankenhauses schreibt noch: «Hierbei hat das Unternehmen in besonderem Maße der
minderbemittelten Bevölkerung zu dienen.» Tatsächlich richten sich die ausgedehnten Angebote
von Schönheitsoperationen und Premiummedizin in First-Class-Ambiente eher an die Reichen und
Gutversicherten im Essener Nobelviertel Rüttenscheid. Die Gemeinnützigkeit bedeutet ganz
handfeste steuerliche Vorteile gegenüber der Konkurrenz. Gibt Kirche den Tarnmantel, der vor
argwöhnischen Augen schützt?
Helfen und Heilen ist eine professionelle
Aufgabe, die vom Staat sichergestellt wird. Die neoliberalen Insolvenzverwalter reißen
rücksichtslos Lücken in diesen Versorgungsauftrag. Die kirchlichen und privaten Ketten entdecken
und öffnen sich hier Märkte. Doch unsere Alternative liegt nicht in der Wahl zwischen Aufopferung
und Ausbeutung.
Die Überdehnung des Freiraums eines
kirchlichen Selbstbestimmungsrechts schafft nicht Gerechtigkeit, sondern Ungleichheit. Viele, auch
langjährig Beschäftigte, befürchten, dass sie zukünftig in ihrer beruflichen
Fortentwicklung gehindert sind. Denn bei gleicher Qualifikation können diejenigen bevorzugt werden,
die sich als evangelisch ausweisen. Die «Loyalitätsrichtlinie» der EKD erhebt dies sogar zum
Grundsatz.
Diakonie-Vorstand Linzbach goss da Öl
ins Feuer: «Wenn jemand, der eingetreten ist und dann in einem feindlichen Akt sich von ihr abwendet,
dann kann das Folgen haben. Ein feindlicher Akt ist, wenn man ostentativ an einer hervorgehobenen leitenden
Stellung sich abwenden würde von der Kirche. Das wird dies Krankenhaus im Einzelfall
prüfen.»
In die neue Interessenvertretung
dürfen sich nur noch Beschäftigte wählen lassen, die Mitglied in bestimmten christlichen
Kirchen sind. Dies schließt mehr als ein Viertel von wichtigen betrieblichen Rechten aus Juden
wie Muslime, die Angehörige aller übrigen Weltreligionen und Konfessionen sowie die zahlreichen
Konfessionslosen unter den Beschäftigten.
Tobias Michel
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