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Es war eine Premiere: Erstmals fand das Weltsozialforum in einem Land des
afrikanischen Kontinents statt. Oder jedenfalls ein Teil der Veranstaltungen des in diesem Jahr auf drei
unterschiedliche Orte Caracas, Bamako und Karachi aufgeteilten, internationalen Treffens
«für eine andere Welt». Dieses hatte bisher, seit seiner ersten Auflage im Januar 2001,
überwiegend im brasilianischen Porto Alegre stattgefunden, einmal (2004) auch in der indischen
Metropole Mumbai.
Es ist der erste richtig heiße Nachmittag seit einer Woche, die Wolkendicke ist beiseite
gezogen und das Thermometer übersteigt deutlich die 30° Celsius. Zehnjährige in den
landestypischen, bedruckten Schuluniformen graben eifrig die Erde um und warten darauf, die bereit
liegenden Palmsetzlinge einpflanzen zu dürfen. Nicht weit entfernt davon kommen kurz darauf
Europäer ins Schwitzen, die darum gebeten wurden, ihrerseits insgesamt 60 Eukalyptusbäumchen
einzupflanzen.
Mit diesem symbolischen Akt, der unter
anderem den Kampf gegen das Vordringen der Wüste in dem bitterarmen Land der Sahelzone verkörpern
soll, endet die erste «Runde» des diesjährigen Weltsozialforums in Bamako, Hauptstadt des
westafrikanischen Staates Mali. Es trat vom 19. bis 23. Januar 2006 zusammen, dicht gefolgt von der
Eröffnung der zweiten «Runde» im venezolanischen Caracas.
Doch es bleibt nicht nur bei der
symbolischen Handlung: Rund um diese Szene und vor laufenden Kameras haben mehrere Gruppen protestierender
Männer und Frauen aus Mali mit Transparenten Aufstellung genommen, die auch über das Ende des
Weltsozialforums hinaus einen handfesten politischen Protest zu Gehör bringen wollen. «Gebt dem
malischen Volk die Eisenbahn zurück. Stellt die Hoffnung wieder her», ist darauf zu lesen, in
Französisch und Englisch, und daneben: «Gebt dem Doktor Tiecoura Traoré seine Rechte
zurück.» Die Protestierenden sind vom «Bürgerrechtskollektiv für die
Wiederherstellung und Entwicklung der Eisenbahn in Mali» (COCIDIRAIL), das gegen die Privatisierung
und Zerschlagung des Schienennetzes kämpft.
Letzteres war 2003 durch das
französisch-kanadische Konsortium «Transrail» aufgekauft worden, das seitdem 26 von 36
Bahnhöfen geschlossen hat und den Personenverkehr abbaut, um eine Konzentration auf den
Containertransport für den Weltmarkt bestimmter Waren vor allem Baumwolle durchzusetzen.
Der Ingenieur Tiecoura Traoré gehört zu den profiliertesten Kritikern dieser Politik, er wurde
ohne Angabe von Gründen entlassen. Vielfach wurde sein Porträt in der Auftaktdemonstration zum
WSF mitgeführt.
Dass das Programm in diesem Jahr auf drei Länder und damit auch auf drei Kontinente gesplittet
worden war, hatte neben anderen Motiven vor allem dem Wunsch, den Aufwand für das Organisieren
der «Riesenmaschine» vor Ort zu reduzieren auch den Grund, dass man das Forum näher
an die Akteure und Betroffenen heran bringen wollte. Also an die in sozialen Bewegungen aktiven Menschen,
an Gewerkschafter, Frauengruppen, Umweltschutz- oder Antikriegsaktivisten. Bei weitem nicht alle potenziell
Interessierten können auch nur daran denken, sich einmal pro Jahr eine Reise (für wenige Tage)
nach Südbrasilien zu leisten erst recht gilt dies für afrikanische und asiatische
Teilnehmende.
Nur teilweise dürfte es gelungen sein,
diese vor allem ökonomische Barriere durch «Auslagerung» und Aufteilung des WSF abzubauen
oder zumindest zu verringern. Zweifelsohne konnten noch nie so viele Menschen vom afrikanischen Kontinent
überhaupt an einem Weltsozialforum teilnehmen wie am diesjährigen, das ist bereits ein wichtiger
Erfolg. Dennoch führten finanzielle Zwänge im Vorfeld zu Abstrichen: 1,8 Milliarden Francs-CFA
(Francs der französischen Gemeinschaft in Afrika), das sind umgekehrt knapp 3 Millionen Euro, wollten
die Veranstalter in Bamako ursprünglich ausgeben. 700900 Millionen CFA-Francs, also gut eine
Million Euro, sind es real geworden.
Der Plan, tief im Landesinneren Malis
Menschen für das Sozialforum zu mobilisieren, musste deshalb reduziert werden, statt den acht Regionen
des Landes durchzog die «Karawane» der Veranstalter nur fünf. Dennoch kamen auch einige arme
Bauern, Landarbeiter, Frauen aus Dörfern und Städten zum Forum nach Bamako.
85% der Teilnehmenden an der afrikanischen
«Runde» des diesjährigen WSF kamen schätzungsweise vom afrikanischen Kontinent, davon
der Löwenanteil aus Mali selbst und aus den unmittelbaren Nachbarländern. Augenfällig waren
vor allem Delegationen aus dem benachbarten Senegal (überwiegend Gewerkschafter und Menschen aus
Bildungseinrichtungen), aus Guinea (vor allem aus Frauengruppen und NGOs) und aus dem östlichen
Nachbarstaat Niger (Gewerkschaften und sozialen Bewegungen). Auch das französischsprachige Togo war
mit Aktiven der dortigen Protestbewegung gegen die 38-jährige Diktatur und die gefälschten Wahlen
vom Vorjahr relativ stark vertreten. Kaum repräsentiert war dagegen das französischsprachige
Zentral- und Äquatorialafrika sowie das englischsprachige Afrika, mit Ausnahme der Republik
Südafrika, aus der eine stärkere Delegation aller Hautfarben angereist war.
Dass zumindest die geografisch näher
gelegenen Staaten Vertreter nach Bamako schicken konnten, war bereits ein Erfolg: Man muss sich vorstellen,
dass etwa Teilnehmende aus dem benachbarten Guinea-Conakry über 24 Stunden mit dem Bus in die malische
Hauptstadt unterwegs waren und dafür einen durchschnittlichen Monatslohn hinblättern mussten.
Inhaltlich dominierten vor allem drei Themen: die Rechte der Frauen, die Kritik an der europäischen
Migrationspolitik mit zahlreichen Arbeitsgruppen und Augenzeugenberichten etwa zum Drama von Ceuta
und Melilla im Herbst vorigen Jahres sowie die Aktivitäten der «Fair Trade»-Bewegung.
Dies sind auch die Themen, bei denen es am wenigsten Konflikte zwischen eher institutionell orientierten
Kräften, die an staatliche Institutionen angebunden sind und/oder Geld von größeren
europäischen NGOs erhalten bzw. erhoffen, und radikaleren sozialen Basiskräften zu geben drohte.
Denn auch die Regierung von Mali, das seit
einer Revolte der Bevölkerung von 1991 demokratisch geführt wird, unterstützt im Prinzip die
Interessen ausgewanderter Staatsbürger in Europa und von Migrationswilligen, die an den Grenzen des
Kontinents mit der «Festung Europa» konfrontiert werden. Die Überweisungen malischer
Emigranten bilden in vielen, v.a. in den abgelegenen Landesteilen einen wichtigen ökonomischen
Entwicklungsfaktor. Aus ihnen wird etwa die Bohrung eines Brunnens oder ähnliche Projekte in der
Herkunftsregion finanziert.
Und: Auch die Regierungen Malis und
vergleichbarer Länder betonen oft die Bedeutung der Frauen in Bereichen wie Gesundheitsvorsorge
und HIV-Bekämpfung, aber auch in der Wirtschaft für die Entwicklung des Landes und
befürworten eine bessere Bildung für Frauen und Mädchen. Die Arbeit sozialer
Basisinitiativen gegen die Mädchenbeschneidung die in weiten Kreisen der Gesellschaft nach wie
vor im Kindesalter praktizierte Genitalienverstümmelung wird vom Staatsfernsehen
unterstützt.
Auf dem Sozialforum gab es ein eigenes
«Frauenuniversum», auf dem drei Tage hindurch über die drängendsten Probleme der
Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen auf dem Kontinent und über ihn hinaus diskutiert
wurde. Bei einigen Debatten kam es dabei auch zu interessanten Ansätzen internationaler Kooperation
bspw. anlässlich einer gemeinsamen Podiumsdiskussion zwischen der Leiterin eines Frauenhauses
im ostdeutschen Oranienburg, einer Feministin aus dem libanesischen Beirut, der Leiterin der Kommission
für werktätige Frauen beim größten Gewerkschaftsbund in Niger und eine Aktivistin aus
einem Lager für Flüchtlinge aus der marokkanisch besetzten Westsahara.
Stärkere Konfrontation zwischen institutionalisierten Gruppen und den Interessen sozialer
Basisbewegungen gab es dagegen bei der Thematisierung der unmittelbaren Verteilungskonflikte in Mali
selbst. Auf dem Gelände des Weltsozialforums hielten der Sender «Radio Kayira»
(Eigenbezeichnung: «Stimme der Stimmlosen») und die kommunistische Bewegung SADI
(«Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit», sie stellt den
Kultusminister von Mali, den Filmemacher Oumar Cissoko) ein Sozialforum im besten Sinne ab, ohne dass diese
Veranstaltungen im offiziellen Programm aufgetaucht wären: Arme Bauern, Landlose und Arbeiter aus den
Goldminen in Mali berichteten von heftigen sozialen Konflikten, von Zusammenstößen mit
Großgrundbesitzern und Umweltvergiftung mit Quecksilber aus dem Goldabbau. Unterstützung
erhielten sie von französischen Basisgruppen wie «Droits Devant!», die seit Jahren Kontakt
zu diesen Bewegungen in Mali haben.
Die ehemals maoistisch und proalbanisch
orientierte SADI, die heute für andere linke Kräfte offen ist, konnte sich in den letzten Jahren
gut in der malischen Gesellschaft verankern. Dazu trug nicht zuletzt die Persönlichkeit ihres
Generalsekretärs, des Arztes Oumar Mariko bei, der damals als Anführer der rebellierenden
Studenten agierend im März 1991 eine entscheidende Rolle beim Sturz der Militärdiktatur
von Moussa Traoré spielte. Seitdem ist er bei vielen Maliern aus den unteren Gesellschaftsschichten
als «der lebende Märtyrer» bekannt, nachdem sein Leben mehrfach bedroht wurde.
Auch aus anderen Anlässen gab es
Zusammenstöße zwischen der eher institutionell orientierten Logik der staatsnahen Kräfte und
der großen, mit bedeutenden Finanzmitteln ausgestatteten NGOs einerseits und den kämpferischen
Basisbewegungen andererseits freilich stets in softer Form. So sollte am Sonntag eine Demonstration
ehemaliger Sans papiers also «illegaler» Immigranten aus Frankreich, die abgeschoben
worden waren stattfinden und vor die französische Botschaft führen. Doch auf
persönliche Intervention von Aminata Traoré, ehemalige Kultusministerin von Mali und eine der
Prominenten der «globalisierungskritischen» Bewegungen auf internationaler Ebene, ging die
Hälfte der Demonstration gar nicht erst los. Die andere Hälfte wurde durch die malische
Bereitschaftspolizei blockiert, die die paar hundert Demonstrierenden daran hinderte, die Botschaft der in
Mali immer noch stark präsenten früheren Kolonialmacht zu erreichen.
Ärgerlich war im Gesamtbild vor allem,
dass sich auch Organisationen, die nicht einmal richtige Nichtregierungsorganisationen sind wie die
Friedrich-Ebert-Stiftung und die regierungsnahe US-amerikanische Entwicklungsagentur US-AID ungestört
als angebliche «Akteure der Zivilgesellschaft» auf dem Sozialforum breitmachen konnten. Anstatt
mit ihnen über eine bessere Ausgestaltung des Welthandels zu diskutieren, wäre es sinnvoller
gewesen, einen klaren Trennstrich zu ziehen.
Wie man richtigen Umgang mit solchen und
ähnlichen Kräften pflegen kann, machte das «Jugendcamp Thomas Sankara» vor (Thomas
Sankara war ein antiimperialistisch eingestellter, die Korruption bekämpfender Offizier, der von 1983
bis 1987 in Burkina Faso regierte und sich nach seiner Ermordung weiter großer Popularität
erfreut). Bei einer Debatte über das Verhältnis zwischen Afrika und Europa meldete sich auch eine
Vertreterin der französischen Regierung aus der dritten oder vierten Garnitur zu Wort und bot einige
Sprüche nach dem Motto feil: «Frankreich liebt doch die Afrikaner, Jacques Chirac persönlich
liebt die Afrikaner». Die aufwallende Empörung, die diesen Äußerungen folgte,
veranlassten die Dame, sich nach fünf Minuten Diskussion fluchtartig in Sicherheit zu bringen.
Bernhard Schmid
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