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Im Januar 1993 hatte ich mit einer Kollegin in Montevideo die Gelegenheit,
ein Interview mit Hugo Batalla, dem damaligen Präsidenten der Asociación Uruguaya de Futbol (AUF)
und späteren Vizepräsidenten Uruguays, zu führen. Wir sprachen über die Krise des
uruguayischen Fußballs, das Phänomen, dass sich junge Talente gar nicht entwickeln können,
weil sie schon als Schüler zu europäischen Clubs wechseln, und über die Rolle der
Spielvermittler in diesem Geschäft. Am Ende des Gesprächs fragte meine Kollegin nach der
Situation des Frauenfußballs und was die AUF für dessen Förderung tue. Batalla legte die
Stirn in Falten und erklärte dann, es gäbe zwei Bereiche, in denen sich die AUF stärker
engagieren müsse, im Frauenfußball und im Kleinfeldfußball.
Als er beim Wort
«Kleinfeldfußball» einen fragenden Ausdruck auf unseren Gesichtern bemerkte, nutzte er
freudig die Gelegenheit, einen fünfminütigen Vortrag über die Regeln des
Kleinfeldfußballs zu handeln, die enormen pädagogischen Möglichkeiten, die diesem im Rahmen
des Schulsports zukommen könnten und weitere reichlich uninteressante Details. Als er endlich zum
Schluss kam, hatte er leider, leider den nächsten Termin. Zum «wichtigen
Thema» Frauenfußball konnte er nur noch sagen, dass es den bestimmt eines Tages in Uruguay geben
werde und dass er dann sicher einen wichtigen Stellenwert haben würde.
Wie wir später von uruguayischen
Freundinnen erfuhren, hätte er auch mit mehr Zeit nicht mehr sagen können, weil
Frauenfußball für die AUF schlicht kein Thema war. Diese kleine Anekdote mag illustrieren,
welches Mauerblümchendasein der Frauenfußball in den lateinamerikanischen
Fußballverbänden lange führte bzw. bis in die Gegenwart führt. Nun ist das freilich
nichts Besonderes, namentlich der Deutsche Fußballbund (DFB) hielt sich in Sachen Förderung des
Frauenfußballs lange vornehm zurück.
Aus Lateinamerikas Frauenfußball wurden international lange nur die Brasilianerinnen wahrgenommen.
Sie nahmen seit 1991 an allen Weltmeisterschaften und olympischen Turnieren teil. Seit einigen Jahren
gehören sie zur absoluten Weltspitze. Bei den Weltmeisterschaften 1999 kamen sie bis ins Halbfinale,
wo sie den Gastgeberinnen aus den USA unterlagen. Im Spiel um den dritten Platz schlugen sie Norwegen im
Elfmeterschießen. Bei den Olympischen Spielen 2000 erreichten sie ebenfalls das Halbfinale, wo sie
erneut an den USA scheiterten. Im Spiel um die Bronzemedaille verloren sie gegen Deutschland mit 0:2. Bei
der WM 2003 mussten sie sich im Viertelfinale von den späteren Finalistinnen aus Schweden geschlagen
geben.
Ihren bislang größten
internationalen Erfolg erzielten die Brasilianerinnen bei den Olympischen Spielen 2004 in Sydney, wo sie
das Endspiel erreichten. Da warteten wieder die US-Amerikanerinnen. Nach Ende der regulären Spielzeit
stand es 1:1. In der Verlängerung erzielte Abby Wambach in der 112.Minute den Siegtreffer für das
US-Team. Brasiliens Fußballfrauen gewannen die Silbermedaille. Ihre offensive und technisch elegante
Spielweise begeisterte Publikum und Presse. Natürlich wurde gleich wieder das Klischee vom Samba-
Fußball hervorgeholt als ob deutsche Fußballerinnen Ländler- oder Schuhplattler-
Fußball spielen würden.
In Südamerika sind die
Brasilianerinnen eine Klasse für sich. 16mal standen sie bislang Teams aus der Region in WM-
Qualifikationsspielen gegenüber. Sie gewannen all diese Spiele und erzielten dabei die unglaubliche
Tordifferenz von +133, d.h., sie siegten im Schnitt mit mehr als acht Toren Unterschied. Deshalb
veranstaltete der südamerikanische Fußballverband CONMEBOL für das Olympische Turnier in
Sydney 2004 erst gar keine Qualifikation, sondern meldete die Brasilianerinnen gleich.
Deren Spielstärke hat inzwischen zum
gleichen Phänomen wie bei ihren männlichen Kollegen geführt, nämlich der Abwanderung
von Spitzenspielerinnen. Für die Frauen sind allerdings weniger die europäischen Clubs
interessant, als vielmehr die Profiliga der Womens United Soccer Association (WUSA) in den USA. So
spielen die beiden herausragenden brasilianischen Stürmerinnen Marta Viera da Silva und Katia Cilene
da Silva Teixeira gemeinsam bei den Cyper Rays im kalifornischen San José. Die
Torschützenkönigin des Olympischen Turniers von Sydney, Cristiane Rozeira de Souza Silva, kam
dagegen nach Europa, sie spielt seit 2005 beim 1.FFC Turbine Potsdam. In Brasilien existiert keine
nationale Profiliga für Frauen, es gibt nur regionale Ligen, in denen die Teams nicht unter
professionellen Bedingungen arbeiten und vom Fußballspielen leben können.
Während dem südamerikanischen
Verband CONMEBOL bei Weltmeisterschaften bis 1999 nur ein Platz zustand, gab es 2003 zwei Startplätze.
Erstmals kam bei der Qualifikation Spannung auf, denn es galt als offen, wer die Nummer Zwei in
Südamerika wäre. Aus zwei Vorrundengruppen erreichten Brasilien, Argentinien, Kolumbien und Peru
das Ausscheidungsturnier im April 2003 in Perus Hauptstadt Lima. Hinter der souveränen brasilianischen
Auswahl erreichten die Argentinierinnen Platz zwei. Ihnen genügte ein knappes 3:2 über Kolumbien
und ein 1:1 gegen Peru, um erstmals an einer Weltmeisterschaft teilnehmen zu können. Beim WM-Turnier
vom 20.September bis zum 12.Oktober 2003 in den USA, zeigte sich aber, dass die Argentinierinnen noch weit
von der Weltspitze entfernt sind. In der Vorrunde unterlagen sie den Teams aus Japan mit 0:6, Kanada mit
0:3 und Deutschland mit 1:6 und mussten mit 0 Punkten und 1:15 Toren die Heimreise antreten.
Für den lateinamerikanischen
Fußball gibt es keinen gemeinsamen Verband. Während die zehn südamerikanischen Länder
die CONMEBOL bilden, gehören die zentralamerikanischen Staaten, Mexiko und die karibischen Länder
dem Nord- und Mittelamerikanischen Verband CONCACAF an. Beim Frauenfußball stehen der CONCACAF bei
Weltmeisterschaften und Olympia zwei Startplätze zu. Stärkstes Team waren stets die US-
Amerikanerinnen, den zweiten Platz sicherten sich meist die Kanadierinnen. Bei der Qualifikation für
das Olympische Turnier in Sydney erwies sich die mexikanische Auswahl als sehr stark. Die Mexikanerinnen
besiegten im Halbfinale die favorisierten Kanadierinnen und qualifizierten sich damit erstmals für
Olympia. Dort wurden sie zusammen mit den Teams von Deutschland und China in die Vorrundengruppe F gelost.
Nach einer 0:2 Niederlage gegen die deutschen Frauen, genügte ihnen ein 1:1 gegen die Chinesinnen um
aufgrund des besseren Torverhältnisses Platz zwei in der Gruppe F zu belegen und überraschend das
Viertelfinale zu erreichen. Hier unterlagen sie den starken Brasilianerinnen dann aber deutlich mit 0:5.
Anders als bei den Männern, wo jedes Team, das sich auf der Ebene des südamerikanischen bzw.
des nord- und mittelamerikanischen Fußballverbands für eine WM oder ein olympisches Turnier
qualifiziert, potenziell auch in der Lage ist, dort die Vorrunde zu überstehen (auch wenn dies nicht
immer gelingt), haben die lateinamerikanischen Fußballfrauen mit Ausnahme der Brasilianerinnen bislang
noch nicht den Anschluss an das internationale Niveau gefunden. Hierfür ist sicher maßgeblich das
mangelnde Interesse in den nationalen Fußballverbänden verantwortlich, zusammenhängend damit
auch das weitgehende Desinteresse der Medien und potenzieller Sponsoren. Die Förderung des
Frauenfußballs bewegt sich vielerorts auf niedrigstem Niveau, sofern sie überhaupt stattfindet.
Auf einem FIFA-Symposium über
Frauenfußball am 9./10.Oktober 2003 in Long Beach, USA, stellte die Chilenin Alexandra Benado Vergara
die Probleme der Fußballerinnen in ihrem Land dar. In Chile gab es zu diesem Zeitpunkt überhaupt
keine Frauenligen, nicht einmal auf lokaler Ebene. Der chilenische Fußballverband habe lediglich
einige Regionalturniere organisiert. Die Frauenteams in den Vereinen seien keine professionell
geführten und trainierten Einheiten, sondern würden eher informell in Familienregie betrieben.
Weder die Clubs noch der Verband betrieben eine systematische Jugendarbeit.
Ein Auswahlteam wurde bisher immer nur vor
den WM-Qualifikationen einberufen, zwischen den Weltmeisterschaften gab es weder Länderspiele noch
Trainingslager für die Spielerinnen. So könnten auch keine neuen Frauen an den Kader
herangeführt werden. Deshalb sei das chilenische Team bei der Qualifikation für die WM 2003
überaltert gewesen, die meisten Spielerinnen waren älter als 30 Jahre. Angesichts dieser Defizite
überrasche es kaum, dass die chilenischen Kickerinnen das Schlusslicht in Südamerika bildeten.
Zweifellos sind die Bedingungen in Chile
wegen der Diktaturvergangenheit besonders schwierig Frauenfußball wurde erst 1992 formal
anerkannt. Doch die genannten strukturellen Probleme wie fehlender Ligabetrieb, vor allem auf nationaler
Ebene, zu wenige ausgebildete Trainer im Frauenbereich, die mangelnde Bereitschaft der Verbände, den
Frauenfußball zu fördern und der Medien, darüber ernsthaft zu berichten, gelten für
viele Länder. Solange daran nichts geändert wird, werden die lateinamerikanischen
Fußballerinnen mit Ausnahme der Brasilianerinnen international zweitklassig bleiben.
Gert Eisenbürger
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