SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2006, Seite 17

Das Wahnsinnstor

Die Jamaikanerin, die Frauenfußball in der BRD populär machte

Bei kaum einem Thema gibt es so viele Experten wie beim Fußball. Unter diesem Heer von Spezialisten ragen die heraus, die sozusagen wandelnde Lexika sind. Diese Menschen, genauer gesagt Männer, wissen ungeheure Dinge, etwa sämtlich Halbzeitstände seit Einführung der Bundesliga, die Namen aller Assistenztrainer in der Geschichte der Zweiten Liga, oder jedwede Einwechselung in der Nationalmannschaft nach der 62.Minute seit 1950. Soviel geballte Kompetenz beeindruckt. Dabei ist es ganz einfach, diesen Kapazitäten ihre Grenzen aufzuzeigen.
Man braucht sie nur nach den Namen der wichtigsten Fußballerinnen der 70er Jahre zu fragen. Dann kommen die Jungs echt in Stress, doch wenn sie kurz davor sind zu kapitulieren, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht: Ja sicher, da gab es doch die Schwarze, die dieses Wahnsinnstor geschossen hat, Ranger oder so ähnlich hieß die.
Der Treffer, den die Jamaikanerin Beverly Ranger vom Bonner SC am 26. April 1975 im Spiel gegen die SSG Bergisch Gladbach erzielte, wurde zum ersten Mythos im bundesdeutschen Frauenfußball. In einem grandiosen Sturmlauf hatte sie fünf gegnerische Abwehrspielerinnen und die Torfrau umspielt, ehe sie den Ball einschoss.
Wer alt genug ist und sich noch an den «Fußballdiskurs» der 70er Jahre erinnert, weiß, dass Fußball Männersache war und zum Thema «Damenfußball» (so hieß es damals) meist nur dumme Bemerkungen zu hören waren. Zwar hatte es schon Anfang der 30er Jahre erste Frauenfußballteams in Deutschland gegeben, doch hatten die Nazis 1936 Frauen den Fußballsport untersagt, ein Verbot, das der DFB 1955 noch einmal bestätigte. Erst am 31.Oktober 1970 wurde Frauenfußball im DFB offiziell zugelassen, und auch da nur mit Einschränkungen, wie etwa, dass Spiele nur in der warmen Jahreszeit stattfinden und eine Halbzeit maximal 30 Minuten dauern durfte.
Doch am 27.April 1975 war alles anders. Am Tag zuvor hatte die Sportschau das Tor von Beverly Ranger gezeigt, einen Treffer, wie man ihn höchstens mal von einem brasilianischen Superstar bei einer WM gesehen hatte, aber nie in Deutschland und schon gar nicht von einer Frau. «Das Tor von der Negerin» war an dem Sonntag das Gesprächsthema bei sämtlichen Frühschoppen der Republik. Der Namen Beverly Ranger war kurzfristig in aller Munde. Die Frauenabteilung des Bonner SC erlebte erstmals Zuschauerinteresse, bis dahin waren stets nur ein paar zehn Leute zu den Spielen erschienen. Als das Team am 15.Juni 1975 gegen Bayern München im Endspiel um die Deutsche Damenfußballmeisterschaft stand, kamen 2500 Zuschauerinnen und Zuschauer ins Godesberger Pennefeldstadion. Beverly Ranger war der Publikumsliebling. Als die Bayern 2:1 zu Führung lagen, erzielte sie den Ausgleich und brachte die Bonnerinnen wieder ins Spiel, die am Ende mit 4:2 gewannen.
Wenn auch dunkelhäutige Sportlerinnen und Sportler kurzfristig als «schwarze Perlen» und «braune Bomber» gefeiert werden, sind sie genauso schnell Zielscheiben des latenten Rassismus. Als es im Jahr nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft in Bonn Gerüchte um sexuelle Beziehungen zwischen Trainer und Spielerinnen gab, wurde — man muss fast sagen natürlich — auch der Namen von Beverly Ranger genannt. Sie verließ den Bonner SC in der folgenden Saison und wechselte zur SSG Bergisch Gladbach. Später spielte sie noch bei den Offenbacher Kickers und beim SC Niederkirchen. Heute lebt sie in den USA.
Auch wenn sie keine internationalen Erfolge feierte und mit dem Fußball kaum Geld verdiente, war die Jamaikanerin der erste weibliche «Fußballstar» in Deutschland und hatte einen beträchtlichen Anteil daran, dass Frauenfußball an Popularität gewann. Als das NDR-Fernsehen 2005 die Zuschauer «unvergessene Tore der Fußballgeschichte» wählen ließ, waren unter 53 gekürten Toren nur zwei von Frauen, der Siegtreffer von Nia Künzer in der Verlängerung des WM-Finales 2003 und das Tor von Beverly Ranger vom 26. April 1975!

Gert Eisenbürger

Dieser Beitrag ist ein Vorabdruck aus dem im März erscheinenden und von Dario Azzellini und Stefan Thimmel herausgegebenen Buch Futbolistas. Fußball und Lateinamerika: Hoffnungen, Helden, Politik und Kommerz, Berlin/Hamburg: Assoziation A, 256 Seiten, 18 Euro.



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