SoZ - Sozialistische Zeitung |
Hätte jemand vor etwa zwanzig Jahren den Wissenschaftlerinnen, die im
innovativen, dynamischen und sich zu diesem Zeitpunkt auch institutionell langsam etablierenden Feld der
Frauen- und Geschlechtergeschichte arbeiteten, vorausgesagt, dass in nicht allzu ferner Zukunft
«Männlichkeit(-en)» zu einer zentralen Kategorie progressiver Geschichtswissenschaft zählen
würde… er oder sie hätte wohl nicht allein Verwunderung, sondern entrüsteten Zorn
geerntet.
Ganz so reagierten im Jahre 1991 etwa Leserinnen einer neu gegründeten feministischen
Fachzeitschrift auf den Titel der neuen Publikation. Der Titel LHomme, also «der Mensch» ebenso
wie «der Mann», sei allenfalls «als Ergebnis eines Frauenstammtisch-Witzes» «ganz
passabel», ansonsten aber eher «der Sache» schädlich. Geschichten über Männer
waren nun wirklich mehr als genug geschrieben worden, und selbst wenn die soziale Konstruktion Geschlecht
theoretisch relational zu denken ist, so schien die zu präorisierende Ausrichtung unzweideutig.
Seitdem ist in der akademischen Welt viel
passiert. Die Diskussionen um Geschlecht und Geschlechterverhältnisse in den Gesellschafts- und
Kulturwissenschaften im Allgemeinen und in der Historiografie im Besonderen drehen sich inzwischen nicht mehr
allein um Weiblichkeit, obwohl diese Perspektive ohne jeden Zweifel nach wie vor gesellschafts- wie
wissenschaftspolitisch ebenso einflussreich wie berechtigt ist. Seit nunmehr einigen Jahren sind auch Fragen
nach Männlichkeit oder vielmehr Männlichkeiten in das Blickfeld gerückt. Auch männliches
Denken und Handeln wird als geschlechtlich codiert herausgearbeitet. Man will derart das scheinbar
«Normale», «Allgemeingültige» und trotz seiner Allgegenwärtigkeit in der
Historiografie irgendwie «Unsichtbare» bewusst zum Objekt der Forschung machen.
Ihren Anstoß hat diese Entwicklung im anglo-amerikanischen Raum und dort vor allem in den USA genommen.
Ausgehend vom Gay Liberation Movement einerseits und antisexistischen «Männergruppen»
andererseits wurde dort seit den frühen 70er Jahren über Männlichkeit geforscht und als Zweig
einer sich als relational begreifenden Geschlechtergeschichte wurden derlei Fragestellungen zu Beginn der 90er
Jahre etabliert.
Im deutschsprachigen Raum hat dies ein wenig
länger gedauert. Als 1993 erstmals ein Heft der Fachzeitschrift WerkstattGeschichte zu diesem
Themenkomplex erschien, konnte die Geschichte von Männern im Rahmen der Geschlechterhistorie
tatsächlich noch als «Provokation» bezeichnet werden. Inzwischen aber sind historische
Männerstudien auch hierzulande verbreiteter denn je und regelrecht en vogue.
Die so viel beschworene und mit so auffallend
männlich besetzten Metaphern («Pionier», «Entdeckung», «dark continent»)
charakterisierte erste Phase ist vorüber, und die Zeit der feinen Differenzierungen ist eingetreten. Die
Suche nach einer vermeintlichen essentiellen Männlichkeit wurde zugunsten pluraler Männlichkeiten
aufgegeben, bei denen Geschlechterentwürfe in einem mehrfach aufeinander bezogenen Rahmen mit anderen
gesellschaftlichen Strukturkategorien wie etwa «Rasse», Klasse, Alter oder Region analysiert werden.
Es sind namentlich drei Themen- und Fragekomplexen, denen sich die internationale Geschlechtergeschichte der
Männlichkeiten zugewandt hat: Erstens widmet man sich der Position von Männern zwischen Familie und
Arbeitsplatz; hier sind es in erster Linie die eng miteinander verknüpften Konzeptionen von Vaterschaft
sowie des «Broterwerbs», die beleuchtet werden. Schließlich sei «Broterwerb», so der
US-Historiker Robert Griswold, «das große organisierende Prinzip des Männerlebens».
Ein zweiter Schwerpunkt fragt nach der
Sozialität von Männern außerhalb der Familie. Hier existiert inzwischen ein breites
Literaturspektrum, das von der Figur des «einsamen Helden» über verschiedene Formen homosozialer
Bindungen bis zum modernen Staat als Männerbund reicht. Solche homosozialen Gesellungsformen sind aus
historischer Perspektive mittlerweile häufig als Orte männlicher Selbstvergewisserung thematisiert
worden, als räumliche wie symbolische Strukturen zur (Re-)Produktion gesellschaftlicher
Hegemonialität.
Ein dritter Bereich versammelt schließlich
die Forschung zu männlicher Sexualität. Auch hier wird ein großer Bereich abgedeckt, der
deutlich macht, wie sehr Sexualitätsgeschichte und die Geschichte von Politik, Kultur und Gesellschaft
aneinander gekoppelt sind. Wichtig ist hierbei ferner, dass sich seit einigen Jahren vermehrt der Geschichte
der Heterosexualität zugewandt wird.
Mit diesem letzten Hinweis verbindet sich eine
Beobachtung, die den skizzierten Trend einer Geschlechtergeschichte der Männlichkeiten in einen weiteren
Rahmen zu platzieren vermag. Denn die Wiederkehr eigentlich überwunden geglaubter Kategorien in
verändertem Gewand kennzeichnet auch andere Bereiche der akademischen Geschichtswissenschaft.
Die sich als progressiv betrachtenden Varianten
der Historie hatten sich im Anschluss an die sozialen Revolten der 60er und 70er Jahre jede nur erdenkliche
Mühe gegeben, all jene sozialen Gruppen zum bislang defizitären Bild der Geschichte
hinzuzufügen, die in der herkömmlichen Forschung nicht thematisiert worden waren. Die Frauen- und
Geschlechtergeschichte, die Geschichte von Schwulen und Lesben, die Geschichte von Afro-Amerikanern und anderen
rassifizierten Menschen, die Geschichte von «Behinderten»… Die Marginalisierten konnten sich
aktiv in die Geschichte einschreiben, sich eine gebrauchsfähige Vergangenheit geben.
Seit einigen Jahren nun tauchen die ehemaligen
Zentren, vormals glücklich verabschiedet, aber wieder auf: HistorikerInnen nehmen immer häufiger und
inzwischen auch schon im deutschsprachigen Raum «whiteness» in den Blick, wenn sie die soziale
Konstruktion von Rasse behandeln. Die «Erfindung» der Heterosexualität beschäftigt die
historische Sexualitätsforschung so sehr wie es die Homosexualität getan hat. Und Männlichkeiten
avancieren zu einem Schwerpunktthema der Geschlechtergeschichte.
Zwei Aspekte scheinen diese Entwicklungen zu begründen. Zum einen vollziehen sich Verschiebungen in
wissenschaftlichen Feldern immer auch in Form von Generationswechseln, welcher in diesem besonderen Fall noch
dadurch vertieft wird, dass jüngeren Historikerinnen und Historikern die Sozialisation durch und enge
Verbindung mit den genannten sozialen Bewegungen fehlt.
Wichtiger scheint indes ein zweiter Grund zu
sein, der sich an methodisch-theoretischen Neuorientierungen festmachen lässt. Die unterschiedlichen
Spielarten «postmoderner» Theorie sind inzwischen selbst in einer so konservativ auftretenden
Disziplin wie der Geschichtswissenschaft «angekommen» und ihre bewusst verstörend-provozierenden
Fragestellungen positionieren sich als «Neue Kulturgeschichte» nicht zuletzt gegen das inzwischen
sozialhistorisch bestimmte Establishment.
Ausgestattet mit den begrifflichen Werkzeugen
von so unterschiedlichen TheoretikerInnen wie Michel Foucault oder Judith Butler, von Pierre Bourdieu oder
Donna Haraway nehmen ihre «AnhängerInnen» nun genau das kritisch unter die Lupe, was ihre
Vorgänger erst der Geschichte hinzugefügt hatten. Die so genannte «linguistische Wende»
lies die sprachliche Konstruktion aller Ordnungsschemata sichtbar werden. Und so war der sich verschiebende
Fokus zurück zu den ehemaligen Zentren der Narrative nur eine logische Konsequenz: Wenn Weiblichkeit
historisch sozial konstruiert war und sich in performativen Akten immer wieder neu «erfindet», dann
muss das auch für Männlichkeit gelten. Wenn Weiblichkeit antiessentialistisch zu denken ist, dann
bedeutet dies auch den Abschied von der einen, stabilen, transhistorischen Männlichkeit.
Hier tat sich mithin eine Fülle neuer
Forschungsfragen auf, deren Beantwortung wir gerade als Boom der historischen Männlichkeitenforschung
wahrnehmen. Diese Arbeiten sehen sich keinesfalls in Opposition zur Geschlechtergeschichte, sondern ganz
bewusst als innovativen Teil derselben und des feministischen Projektes insgesamt.
So sehr dieser Wandel im Allgemeinen und der neue Blick auf Männlichkeiten im Besonderen produktiv
sind, haben sie nichtsdestotrotz auch Kritik nach sich gezogen, die zum Teil durchaus berechtigt ist. So hat
beispielsweise der kanadische Kulturwissenschaftler Bryce Traister die Frage aufgeworfen, ob man die neue
«Männergeschichte» nicht als akademisches Viagra bezeichnen müsse, denn sie entspreche
einer «Wiederaufrichtung männlicher Repräsentationsweisen von Männern produziert und
zumeist auch von Männern analysiert im Zentrum der akademischen Kulturkritik».
Hierin sind mehrere kritische Stränge
verknüpft. Zunächst erstens natürlich die Frage nach dem akademischen und auch institutionellen
Rahmen, in dem die neue Forschungsrichtung zu verorten ist. Wie genau «passt» die neue Forschung in
die Geschlechtergeschichte, wie verhält sie sich zu den Gay-/Lesbian Studies oder den Queer Studies? Dies
ist etwas, was gerade in Zeiten knapper Budgets und der gesamtgesellschaftlichen Forderung nach einer
Rückkehr zu traditionellen und unmittelbar verwertbaren Themen zu denen die Geschlechterforschung
insgesamt ja nie wirklich gehörte umso problematischer erscheint.
Zweitens fordert die Namensgebung zum
Nachdenken auf. «Männergeschichte» verbietet sich aus nahe liegenden Gründen und wird
inzwischen hierzulande vornehmlich durch «Historische Männlichkeitenforschung» ersetzt. Der
Begriff «Männergeschichte» hat sich indes als Label zur Kennzeichnung solcher Arbeiten
eingebürgert, die lediglich auf einen fahrenden Zug aufzuspringen versuchen, ohne die methodisch-
theoretischen Grundannahmen der feministischen Geschlechtergeschichte mit zu tragen.
Drittens stoßen die nun wieder in so
großer Zahl angesprochenen weißen, christlichen Männer der Mittelklasse auf Widerspruch. Doch
können die besseren der neuen Arbeiten zu Recht darauf verweisen, dass es in ihren Texten eigentlich gar
nicht um Männer gehe: ihr Thema seien die historisch je spezifischen Männlichkeiten, mithin
Zuschreibungen, Denk- und Handlungsweisen, die gar nicht zwangsläufig an männliche Körper
gebunden seien, sondern ebenso gut Frauen oder auch gesellschaftlichen Institutionen zu Eigen sein
könnten.
Betrachtet man sich die international
beständig wachsende Anzahl von Publikationen und Tagungsbeiträgen zu historischen
Männlichkeiten, dann scheint sich diese Forschungsrichtung zu einem festen Bestandteil der
Geschichtswissenschaft zu etablieren. Doch nur wenn sie sich als Bestandteil einer zu mehreren weiteren
gesellschaftlichen Sturkturkategorien in Bezug stehenden Geschlechtergeschichte begreift und nicht hinter den
dort etablierten methodisch-theoretischen Leistungen zurückfällt, kann sie sich zu einem wirklich
bedeutsamen Feld progressiver Historie entwickeln.
Olaf Stieglitz
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