SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2006, Seite 22

(Bulutlari Beklerken), Türkei 2003, Buch und Regie: Yesim Ustaoglu

Waiting for the Clouds

Mit diesen Worten kommentiert die türkische Regisseurin Yesim Ustaoglu ihren neuen Film Waiting for the Clouds (Bulutlari Beklerken). In dem Film geht es um die Geschichte der pontischen Griechen, die seit dem 8. Jahrhundert v.u.Z. an der Schwarzmeerküste der heutigen Türkei siedelten und die in den 1920er Jahren unter Atatürk im Rahmen des sog. Bevölkerungsaustauschs mit Griechenland vertrieben wurden.
Hauptperson des Films ist Ay¸se, die eigentlich Eleni heißt und Griechin ist. Sie lebt in einem Dorf in Nordostanatolien am Schwarzen Meer. Als Kind wurde sie von ihrer Familie getrennt und von einer türkischen Familie adoptiert, als die Griechen aus der Türkei vertrieben wurden. Dabei musste sie auch ihren kleinen Bruder im Stich lassen. Durch den Tod ihrer Adoptivschwester und das Auftauchen von Tanasis, der ebenfalls als Kind vertrieben wurde, wird Ay¸se/Eleni veranlasst, sich wieder zu ihren griechischen Wurzeln zu bekennen. Sie verlässt die Türkei und reist nach Griechenland, um ihren Bruder zu suchen. Im Dorf hatte zuletzt nur noch der 11-jährige Mehmet zu ihr gehalten.
Der Film versucht, die gesamte türkisch-griechische Geschichte des 20.Jahrhunderts zu verarbeiten. Die Haupthandlung spielt Mitte der 70er Jahre. Es gibt Rückverweise auf den Ersten Weltkrieg, wo das jungtürkische Regime alle nichttürkischen Bevölkerungsgruppen im Osmanischen Reich blutig verfolgte. Höhepunkt war der Völkermord an den Armeniern 1915. Eine große Rolle spielt die Vertreibung der Griechen in den 20er Jahren, für die die neue Türkische Republik unter der Präsidentschaft von Mustafa Kemal, der später Atatürk genannt wurde, verantwortlich war. Gleichzeitig wurden in Griechenland alle dort noch ansässigen Türken vertreiben. Auch die Geschichte des Zweiten Weltkriegs spielt eine Rolle. Pontische Griechen beteiligten sich in Griechenland am Widerstand gegen die deutsche Besatzung. Nach der Niederlage der Kommunisten gegen die Monarchisten im Bürgerkrieg, der dem Zweiten Weltkrieg folgte, mussten sie erneut ins Exil, diesmal in die Sowjetunion. Auch die Konflikte in der Türkei der 70er Jahre werden angedeutet. Im Dorf werden immer wieder von jungen Leuten linke Plakate geklebt.
Ein Problem des Films ist, dass er viel Wissen voraussetzt. Alle historischen Ereignisse werden nur angedeutet und nicht wirklich erzählt. Das macht den Film für westeuropäische Zuschauerinnen und Zuschauer schwer verständlich. Lediglich die Verfolgung der Armenier im Ersten Weltkrieg hat in letzter Zeit größere öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Alle anderen für das Verständnis des Films wichtigen historischen Ereignisse sind hierzulande weitgehend unbekannt.
Der Film wird sehr ruhig erzählt und kommt mit wenigen Schnitten aus. Die beindruckende Landschaft in der Nordosttürkei wird mit wirklich schönen Bildern zu einer weiteren Hauptdarstellerin im Film. Das Alltagsleben der Dorfbevölkerung, die ihr Leben teils an der Küste und teils im Gebirge verbringt, kommt ebenfalls vor. Die Regisseurin erweckt Sympathie für die Dorfbewohner, deren Alltag nicht gerade einfach ist und zeigt gleichzeitig die Zwänge der Dorfgemeinschaft. Als aus Ay¸se wieder Eleni wird und sich die scheinbare Muslimin als orthodoxe Christin zu erkennen gibt, schlägt ihr Misstrauen und z.T. auch Feindschaft entgegen. So wird weder verteufelt noch idealisiert und auch die Vorurteile Europas gegen den werden nicht bedient. Es wird lediglich sowohl die Schönheit als auch die Enge einer ländlich- dörflichen Gemeinschaft gezeigt, die genauso auch in einem nichtislamischen Land existieren könnte. Hauptthema des Films aber sind die unverheilten Wunden der türkischen Geschichte, die durch staatlich verordnetes Verdrängen und Leugnen nur immer tiefer und schwerer heilbar werden und aktuell in der offiziell nicht existierenden Diskriminierung der Kurden ihre Fortsetzung findet. Dieser Wunde hatte Ustaoglu ihren Film Reise zur Sonne im Jahr 1999 gewidmet.
Obwohl der Film manchmal schwer verständlich ist, regt er zur Beschäftigung mit der Geschichte der Türkei im 20.Jahrhundert und allgemein zur Beschäftigung mit der Frage an, wie eine multikulturelle Gesellschaft funktionieren kann. Und das betrifft bestimmt nicht nur die Türkei. Als Appell für Toleranz und Humanität ist dem Film in jedem Land eine weite Verbreitung zu wünschen.
(Derzeit ist der Film leider nur in wenigen Programmkinos zu sehen, deshalb muss man verstärkt auf Ankündigungen achten.)

Andreas Bodden

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