SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2006, Seite 02

Brief an unsere Leserinnen und Leser

Auf der Jahresmitgliederversammlung des Vereins, der sich (wie wohl klein und nicht mit großen Gaben gesegnet) nach wie vor bemüht, der SoZ ein einigermaßen guter Herausgeber zu sein, wurde ein bisschen über unsere Zukunft spekuliert. Bei einigem kam es mehr auf Nachdenkerei, bei anderem mehr auf Anregung an, eher auf weitergehende Fragen, als auf schnelle Antworten.
In der Sammlung von Papier, das immer irgendwo abgelegt ist und sich stapelt, findet sich eine Rede von Eva Demski: "Vom Glück der Vergänglichkeit", wo sie der Arbeit des Zeitungmachens heimleuchtet. Sie sagte auf der Veranstaltung zum 25.Geburtstag des Frankfurter Presseclubs: "Ja, es müsste glücklich machen, immer von neuem anzufangen und jeden Tag die Wahrheit mit Schuhen zu versehen, auf dass sie weit laufen lerne. Macht es aber nicht. Nicht jeder Sisyphos ist glücklich ... Ich treffe zur Zeit auf viel Missmut, auf Traurigkeit, der ein Mützchen aus Zynismus aufgesetzt worden ist, auf Jobangst, auf grantige Hilflosigkeit der Älteren und andererseits, wie zum Trost, auf eine fröhliche Mischung aus Erfahrung und Gelassenheit — auch bei den Älteren. Wenn einem die Sprache endgültig zur verlässlichen Freundin geworden ist und man sich in ihr wieder erkennt, sind wir immer noch in den miserabel beleumdeten Beruf verliebt, wie die Landfahrer, die ja schließlich auch nicht anders leben wollen — sage die Gesellschaft, was sie wolle." Und sie zitiert Alfred Kerrs Regel für Zeitungsherausgeber: "Es verbinde sich eine Handvoll Kerle, die für ein freiheitliches Wunschziel durchs Feuer gehen (und keinen Schutzklüngel für eine ästhetische Richtung!)", was wir zustimmend zur Kenntnis nehmen — wenn‘s auch länger her ist — genau bald 20 Jahre, zumindest was die SoZ angeht.
"Wenn unsere Kampagnen, Debatten, Enthüllungen oder Pamphlete, unsere Reflexionen, Erkenntnisse, Sachverhaltserklärungen und Standortbestimmungen ein paar Wochen alt sind, gedenken wir ihrer mit Nachsicht, Ungläubigkeit, Liebe oder Gelächter. Das macht den Glanz des Vergänglichen aus. Und zum Schluss, als Ermunterung, die nächsten 25 Jahre zuversichtlich in Angriff zu nehmen, wage ich eine Prognose. Die sterbliche Zeitung, das unsterbliche Buch — es wird sie weiter geben. Wie ehedem. Aus Papier. Mit gedruckten Buchstaben darin."
Das sind aber eigentlich nicht unsere Hauptsorgen. Wir stehen weder vor dem "Sozialismus" noch vor der "Barbarei", wie Rosa Luxemburgs bekannte Erkenntnis lautete, aber letztere ist für immer mehr Menschen leider Realität ohne sichtbare Alternative — Kriege innerhalb der Gesellschaften und zwischen Ländern finden statt um Öl und Wasser, Vorherrschaft und Gewinne, mit barbarischen Folgen für die Menschen. Auch bei uns bestimmen viele reaktionäre Tendenzen, zunehmende soziale Spaltung, Überwachung und Verfolgung das Bild, vor allem gegenüber Arbeitslosen und Immigranten.
Dazu muss man ehrlicherweise auch die Bewegungen, seien es Euromärsche, Montagsdemos, betriebliche oder gewerkschaftliche Aktionen und Streiks selbstkritisch Revue passieren lassen, wie wenig bisher an "Alternative" davon ausgeht. Der "Sozialismus" und die "Alternativen" machen sich rar — und wir werden nicht anknüpfen an diejenigen, die unter dem Namen des "Sozialismus" weder revolutionär, noch sozialistisch, noch menschlich daherkamen und kommen. Eine "parlamentarische Alternative", bevor nicht die außerparlamentarische bei Protesten und Widerständen wirksamer wird, mag unsere Zeitung auch nicht ernsthaft als erfolgreich hinstellen. Dies gilt umso mehr, als die parlamentarische Demokratie an den Grundlagen der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse immer weniger regelnde Funktionen, immer mehr Hilflosigkeit präsentiert. "Kommunes" — also gemeinsam wirkende Aktionen — scheint am Rande der Gesellschaft angekommen.
"Alternativen" hätten wir wenige anzubieten. "Die Wahrheit mit Schuhen zu versehen" heißt wohl eher, zu den Verhältnissen im Spiegel der Zeitungszeilen die Fragen aufzuwerfen, die sich aus Protest und Widerstand ergeben. Nicht die "Ewigkeit" der richtigen Antworten ist also anzustreben, sondern die "Vergänglichkeit" der richtigen Fragen, damit dann "Schuhe" zum Laufen auf schwierigem Weg — dafür brauchen wir mehr Unterstützung und Mitmachen durch unsere Leserinnen und Leser.

Rolf Euler

Rolf Euler ist Vorsitzender des Vereins für solidarische Perspektiven e.V. (VsP).



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