SoZ - Sozialistische Zeitung |
Vor über einem Jahr enthüllte Seymour Hersh die Taktik der US-
Neokonservativen im Atomkonflikt mit dem Iran, sie würden zur Tat schreiten "sobald die EU-
Diplomatie scheitert". Nun ist es soweit, die EU-Diplomatie war laienhaft genug, um in diese
längst offensichtliche US-Falle hinein zu tappen. Sie hat Ende Januar die Initiative an den
Sicherheitsrat, im Klartext an die USA, weiter gegeben.
Nun liegt El Baradeis angekündigter Bericht vor, in dem Teheran ganz im Sinne der USA
aufgefordert wird, sich dem "Willen der Weltgemeinschaft", richtiger dem Diktat einer US-
Führung zu unterwerfen, die für Abu Ghraib und Guantánamo mit 14000 Gefangenen die
Verantwortung trägt. Für die US-Neokonservativen ist damit ihr Ziel zum Greifen nah. Jetzt kann
und will George Bush handeln: Zunächst ein befristetes Ultimatum, dann Sanktionen mit dem Ziel, den
Iran in eine Eskalationsdynamik zu treiben, die schließlich in einen Luftkrieg münden
könnte.
Es muss allen Ernstes damit gerechnet
werden, dass sich Bush, Rumsfeld und Cheney den Zenit der Eskalation, auf den sie seit zwei Jahren
akribisch hinarbeiten, nicht werden entgehen lassen und mit oder ohne Sicherheitsratsbeschluss
spätestens im April losschlagen denn die Zeit arbeitet dagegen. Im Juni sollen die russischen
Raketenabwehrsysteme zum Schutz iranischer Atom- und Militäranlagen installiert werden. Dieses Datum
dürften die US-Militärs kaum abwarten wollen.
Auch das mit Europas Schützenhilfe
aufgebauschte Lügengebäude, der Iran trüge für den Konflikt die alleinige
Verantwortung, dürfte alsbald wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, je eingehender europäische
Medien sich mit den Details befassen. Es ist aus Sicht der US-Strategen höchste Eile geboten.
Für die Hegemonialmacht USA steht im
Iran wesentlich mehr für ihr Greater-Middle-East-Projekt als im Irak auf dem Spiel. Zum einen soll
durch die Zerstörung sämtlicher Atomanlagen Israels atomare Vormachtstellung im Mittleren und
Nahen Osten auf Dauer gefestigt werden.
Zum anderen soll von der regionalen
Mittelmacht Iran nach einem Luftkrieg nicht viel mehr bleiben als ein militärisch unbedeutender und
politisch willenloser Staat, der wie nach dem Krieg mit dem Irak (19801988) erneut in die
ruinöse Spirale von Krieg, Wiederaufbau und Wiederaufrüstung getrieben werden soll.
Iranische Atombomben, die selbst nach CIA-
Informationen erst in fünf bis zehn Jahren möglich sein sollen, sind ein noch absurderer Vorwand
als die Lüge über die Massenvernichtungswaffen zur Legitimierung des Irakkriegs. Pakistanische
Atomwaffen, die längst existieren und auch leicht in die Hände der Extremisten in der
pakistanischen Armee gelangen könnten, stellen eine ungemein größere Gefahr dar, die
Washington jedoch nicht weiter interessiert.
Die US-Führung will trotz des
irakischen Desasters koste es, was es wolle nun auch den Schlag gegen Teheran und ist dazu
ob allein oder zusammen mit Israel militärtechnisch, entgegen einer weit verbreiteten
Auffassung, sehr wohl in der Lage. Bodentruppen würden im Unterschied zum Irak nicht
gebraucht. Alle Kapazitäten für einen Luftkrieg sind längst um den Iran herum platziert. Die
USA können von ihren Stützpunkten in Saudi-Arabien und Qatar oder von den in Bahrain ankernden
Kriegsschiffen aus oder mit den auf der Insel Diego Garcia im Indischen Ozean stationierten B52-Bombern
oder von ihren Basen im Irak und in Afghanistan sämtliche Ziele erreichen, die sie bombardieren
wollen.
Auch die psychologische Kriegsvorbereitung
läuft auf vollen Touren. Als notorischer Lügner längst stigmatisiert, sitzt Teheran immer
auf der Anklagebank. Ihre Glaubwürdigkeit könnte die islamische Staatsführung nach dem
Willen des Westens allein dadurch wiedererlangen, dass sie sich einem westlichen Diktat vollends
unterwirft, das den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NVV) in diesem Falle
exklusiv außer Kraft setzt.
Dabei hat die deutsche Kanzlerin als sie
auf der Münchner Sicherheitskonferenz den islamischen Staat mit dem Naziregime und indirekt
Präsident Ahmadinejad mit Hitler verglich, der US-Führung einen großen Gefallen
getan. Zur Erinnerung, auch vor dem Kosovokrieg wurde Milo?sevi´c und vor dem Irakkrieg Saddam mit
Hitler gleichgesetzt.
Zu befürchten ist, dass sich die EU
mit der Parole "Jetzt muss der gesamte Westen zusammenhalten" hinter der US-Regierung verschanzt.
Ein Krieg gegen den Iran wird iranische Atombomben auf Dauer nicht verhindern, aber unter Umständen in
der gesamten Region einen Flächenbrand entfachen.
Eine Intervention gegen Teheran kann zu
einer Blockade der Ölrouten in der Straße von Hormus und zu dramatischen Ölpreissteigerungen
führen. Eine Parteinahme der irakischen Schiiten für den Iran und der endgültige Ausbruch
eines Bürgerkriegs zwischen Sunniten und Schiiten im Irak sind gleichfalls nicht auszuschließen.
Hinzu kommt die Verwicklung Saudi-Arabiens, das die Sunniten gegen die irakischen Schiiten stärken
könnte. Schließlich: wie wird sich Syrien verhalten, das mit dem Iran einen Beistandspakt
geschlossen hat?
Ein Irankrieg, trotz irakischer
Erfahrungen, hätte langfristig gesehen weder mit Logik noch einem Mindestmaß an Vernunft zu tun.
Er ließe sich nur noch durch ideologische Ignoranz erklären. Ein Lernprozess der US-Führung
ist nicht erkennbar. Die hartnäckige Ablehnung von Hamas als Wahlsieger in Palästina und die
Segnung der indischen Bombe ohne Rücksicht auf ein neues regionales Wettrüsten in Asien belegen
das. In Europa wären wir daher gut beraten, uns auf den schlimmsten Fall einen Krieg
einzustellen.
An der Eskalation hat nicht nur die iranische Regierung ihren Anteil, die mit ihrer durchsichtigen
Doppelstrategie, sich auf legalem Weg sicherheitspolitisch relevante, dem NVV aber zuwiderlaufende
Kapazitäten verschaffen zu wollen, in eine Sackgasse geraten ist.
Auch die EU, allen voran Deutschland, hat
sich wider jede politische Logik und entgegen allen eigenen Interessen, ohne Not freiwillig zum
willfährigen Handlanger der rückwärtsgewandten US-Cliquen degradieren lassen, die
missionarisches Zelotentum mit Hegemonialinteressen zu einem explosiven Gemisch vermengen. Die EU hat mit
ihrem perspektivlosen Schwenk auf die konfliktträchtige US-Politik alle mediativen Optionen aus der
Hand gegeben und der US-Strategie eine moralische Legitimation verschafft, ohne die es die US-Regierung
im Unterschied zum Irak kaum wagen würde, sich auf ein noch größeres Abenteuer
einzulassen.
Schließt Angela Merkel eine deutsche
Unterstützung oder gar Beteiligung an einer Aggression gegen den Iran nicht bereits jetzt definitiv
aus, wird sie Bush selbst wenn sie es wollte nie und nimmer ihren Beistand entziehen
können, wenn die Eskalation nach Auslaufen des wahrscheinlichen Ultimatums Anfang April richtig in
Fahrt kommt. Zu befürchten ist, dass sich die EU dann mit der Parole "Jetzt muss der gesamte
Westen zusammenhalten" hinter der US-Regierung verschanzt.
Noch größer könnte für
Deutschland und die EU die Schmach nicht sein, einen Krieg moralisch zu rechtfertigen, der nicht nur
für den Mittleren und Nahen Osten, sondern auch für Europa selbst katastrophale Folgen haben
wird.
Es ist unbegreiflich, dass Europa als
größte Welthandelsmacht mit einem immer noch positiven Image in der Dritten Welt nicht begriffen
hat, die historisch einmalige Chance für eine andere, auf Dialog ausgerichtete Nahostpolitik zu
nutzen. Diese Chance ergibt sich aus dem offenkundig absoluten Tiefpunkt des politischen Ansehens der USA
in der Region.
Es ist wahrlich tragisch, wenn sich das
Europa der Aufklärung an der Leine einer Handvoll zwielichtiger US-Thinktanks führen lässt,
statt seine Nahost- und Iranpolitik von eigener politischer Vernunft herzuleiten. Spätestens Wladimir
Putins Hamas-Initiative hätte Europas Schlafmützen eigentlich die Augen öffnen müssen,
wie weit sie zur Geisel von mafiösen Lobbyistenzirkeln jenseits des Atlantik verkommen sind.
Mohssen Massarrat
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04