SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2006, Seite 06

Der Streik der weißen Engel

Unmut in den nordrhein-westfälischen Uni-Kliniken

Seit dem 20.Februar streiken die Beschäftigten der sechs Uni-Kliniken in Nordrhein-Westfalen. Das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern auch eine vollkommen neue Erfahrung in der Bundesrepublik. Bisher galt eigentlich immer, dass Krankenhausbeschäftigte ihren Beruf "ernst" nehmen und die Patienten nicht alleine lassen.

Alle hielten die Opferbereitschaft der Pflegerinnen, Pfleger und Ärzte für so groß, dass ihnen schon allerhand Härten zugemutet werden können. Der Alltag an den Kliniken unterscheidet sich kaum noch von rein kapitalistischen Unternehmen: Arbeitsplatzabbau, Arbeitsverdichtung, Ausweitung der Arbeitszeiten (teils ohne Bezahlung oder Freizeitausgleich), Diktat der Kosten usw. Allein die ständige die Diskussion über die Rufbereitschaft von Ärzten und die Handhabung durch die Politik zeigt, wie der Hase läuft. Doch nicht nur von den zuständigen "Arbeitgebern" wurde die Gefühlslage der Beschäftigten falsch beurteilt, sondern auch von großen Teilen der veröffentlichten Meinung — das zeigt ihr Verhalten seit Streikbeginn.
Sowohl die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) als auch Presseorgane wie Rheinische Post, Bild, Express, Kölner Stadtanzeiger oder Focus sind sich einig, dass diese Beschäftigten eigentlich herzlose Wesen sind, die ihre Patienten nicht versorgen und schlimmstenfalls sogar dem Tod aussetzen, da sie nicht dafür sorgten, dass lebensrettende Operationen durchgeführt würden. Den Vogel schoss da mal — wie immer — Bild ab. Die Zeitung war sich nicht zu blöd, einen Jungen abzubilden, dessen Leben durch den Streik auf dem Spiel stünde. Vergessen wurde hierbei zu erwähnen, dass die Gewerkschaft Ver.di mit den Klinikleitungen Notdienstvereinbarungen abgeschlossen hatte, die zusichern, dass Patienten mit akuten gefährlichen Erkrankungen auch versorgt werden. So sind besonders sensible Bereiche, wie z.B. die Unfallchirugie, von den Streikmaßnahmen ausgenommen.
Bisher lief für die Prediger der Arbeitszeitverlängerung und Lohndrückerei alles nur zu gut: die Arbeitszeit der Beamten wurde in fast allen Bundesländern verlängert, die Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld wurden gekürzt oder ganz gestrichen.

Hintergründe...

Zwei Länder sind aus dem Tarifverbund schon ganz ausgetreten, nämlich das SPD/PDS-regierte Berlin und das CDU/FDP-Land Hessen. Der im vergangenen Jahr abgeschlossene neue Tarifvertrag öffentlicher Dienst, der den BAT abgelöst hat, wird von der TdL nicht anerkannt, und der alte BAT hat nur noch Nachwirkungen. Das bedeutet, dass für neu eingestellte Beschäftigte kein Tarifvertrag Anwendung findet. Auch Arbeiter und Angestellte haben keine 38,5-Stunden-Woche mehr, sie bekommen kein Urlaubsgeld und nur ein gekürztes Weihnachtsgeld. Wie sie eingruppiert werden, bestimmt der "Dienstherr".
So haben es die Gewerkschaftshasser aus CDU und FDP am liebsten. Wie im Frühkapitalismus bestimmen sie allein, unter welchen Bedingungen die Beschäftigten zu arbeiten haben. Leider bestehen die vorhandenen Differenzen zur SPD nur in der Frage, wie mit den Gewerkschaften umgegangen werden soll, bei der Arbeitszeitverlängerung und Lohndrückerei sind diese aber verschwindend gering.
In der Öffentlichkeit wird selten darauf hingewiesen, wie es zur jetzigen Situation gekommen ist. Eigentlich stand überhaupt keine Tarifrunde im öffentlichen Dienst an.
Anfang 2003 hatte Ver.di im Rahmen des damaligen Tarifabschlusses mit den Arbeitgeberverbänden des öffentlichen Dienstes eine Prozessvereinbarung zur Modernisierung der Tarifverträge beschlossen. In dieser Prozessvereinbarung wurde festgehalten, dass sich die Parteien einig sind, bis Januar 2005 die Tarifverträge neu zu gestalten, um u.a. die Unübersichtlichkeit in diesen Verträge zu beseitigen. Dazu wurden in der Folge Kommissionen gebildet, die bald ihre Arbeit aufnahmen.
Beide Seiten gingen mit ihren Vorstellungen in die Verhandlungen, die im großen und ganzen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. In der Zwischenzeit kam Schröders Regierungserklärung zur Agenda 2010, die eigentlich alles in Frage stellte, einschließlich die für selbstverständlich erachtete Position der Gewerkschaften in der Bundesrepublik als geachteter "Sozialpartner". Die Agenda 2010 war nicht nur eine Kampfansage an die erwerbslosen Teile der Lohnabhängigen, wie manche vielleicht meinten. Die Gewerkschaftsführungen haben aber leider vor diesem "rot-grünen" Wandel die Augen verschlossen.
Schon drei Monate nach der Regierungserklärung verkündete die Landesregierung von Nordrhein Westfalen ihr "Düsseldorfer Signal", indem genau das vorweg genommen wurde, worum es heute geht: Die Beamten sollten 41 Stunden arbeiten und weniger Weihnachtsgeld und gar kein Urlaubsgeld mehr bekommen. Da ließen sich natürlich auch die CDU-geführten Bundesländer nicht lange bitten, eine Regierung nach der anderen kopierte das Programm der NRW Regierung. Zum Teil wurde die Arbeitszeit sogar auf 42 Stunden erhöht.
Folgerichtig erklärten dann auch die Länder, dass sie sich nicht mehr an den Verhandlungen zur Modernisierung des Tarifrechts im öffentlichen Dienst beteiligen würden und stiegen aus. Aber auch das beunruhigte die Ver.di- Führung nicht. Sie hielten unbeirrt an der Prozessvereinbarung fest.

... und Hintertüren

Die Ver.di-Linke NRW hat damals den Vorstand aufgefordert, aus den Verhandlungen auszusteigen. Dies wurde von diesem zurückgewiesen. Stattdessen einigte sich Ver.di auf gewisse KO-Kriterien, wozu natürlich die Arbeitszeit gehörte. Im Januar 2005 gab es dann sowohl mit dem Bund als auch mit den Kommunen einen neuen Tarifvertrag. Dieser wurde mit einer deutlichen Mehrheit der Ver.di-Tarifkommission angenommen, obwohl er sicherlich mehr als eine Kröte enthielt: eine Öffnungsklausel in der Frage der Arbeitszeit und eine neue "Leichtlohngruppe" mit einem Lohn von 1286 Euro wurde vereinbart, und es gab für 2,5 Jahre nur noch Einmalzahlungen statt Tariferhöhungen, um nur die größten Kröten zu nennen.
Dies ist die Grundlage für die jetzige Situation. Die Länder wollen nach wie vor den neuen Tarifvertrag nicht anwenden, und die kommunalen Arbeitgeberverbände aus Niedersachsen, Hamburg und Baden-Württemberg wollen von der Öffnungsklausel bei der Arbeitszeit Gebrauch machen.
Im letzten Jahr haben die Beschäftigten der Uni-Kliniken in Baden-Württemberg durch einen sehr kreativen Arbeitskampf einen Tarifabschluss erreicht. Wenn dort auch nicht generell die 38,5-Stunden-Woche erhalten blieb, so wurde doch im Durchschnitt die Arbeitszeit gehalten. Es gibt Gruppen, die eine halbe Stunde mehr und andere, die entsprechend weniger arbeiten. Das will Ver.di auch für die Uni-Kliniken in NRW erreichen.
Da dies aber nur ein Teil der Gesamtauseinandersetzung im öffentlichen Dienst ist, zählt natürlich auch jedes Ergebnis. Bis jetzt liegen zwei Ergebnisse vor, aus Hamburg und Niedersachsen. In Hamburg ist ein Ergebnis zwischen 38 und 40 Stunden pro Woche vereinbart worden, wobei nach Eingruppierung, Alter und Kinderstatus unterschieden wird. In Niedersachsen wird im Wesentlichen nach Belastung bei der Arbeit unterschieden.
In Hamburg haben ganze 42% der Gewerkschaftsmitglieder für das Ergebnis gestimmt, was eine große Unzufriedenheit ausdrückt. In Niedersachsen steht als besondere "Feinheit" im Abschluss, dass die Beschäftigten zwischen 1 bis 3 Tage Weiterbildung aus ihrem Zeitvolumen tragen müssen, d.h. dass die Beschäftigten Überstunden machen müssen, um die Weiterbildungstage ableisten zu können, wenn nicht, müssen Urlaubstage geopfert oder Lohnabzüge hingenommen werden.
Das ist die Folge der fehlenden oder falschen Strategie der Ver.di-Führung in diesem ganzen Prozess: ohne eigene Forderungen lässt sich heute noch nicht einmal eine 38,5-Stunden-Woche halten. Auf die Provokationen der Arbeitgeber hätte mit eigenen Forderungen geantwortet werden müssen, bspw. damit: Schluss mit dem Arbeitsplatzabbau — Schluss mit der Arbeitshetze — Für neue Arbeitsplätze — Her mit dem schönen Leben — Kampf aller Gewerkschaften für die 4-Tage-Woche.

Helmut Born

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