SoZ - Sozialistische Zeitung |
Seit dem 20.Februar streiken die Beschäftigten der sechs Uni-Kliniken in
Nordrhein-Westfalen. Das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern auch eine vollkommen neue Erfahrung in
der Bundesrepublik. Bisher galt eigentlich immer, dass Krankenhausbeschäftigte ihren Beruf
"ernst" nehmen und die Patienten nicht alleine lassen.
Alle hielten die Opferbereitschaft der Pflegerinnen, Pfleger und Ärzte für so groß,
dass ihnen schon allerhand Härten zugemutet werden können. Der Alltag an den Kliniken
unterscheidet sich kaum noch von rein kapitalistischen Unternehmen: Arbeitsplatzabbau, Arbeitsverdichtung,
Ausweitung der Arbeitszeiten (teils ohne Bezahlung oder Freizeitausgleich), Diktat der Kosten usw. Allein
die ständige die Diskussion über die Rufbereitschaft von Ärzten und die Handhabung durch die
Politik zeigt, wie der Hase läuft. Doch nicht nur von den zuständigen "Arbeitgebern"
wurde die Gefühlslage der Beschäftigten falsch beurteilt, sondern auch von großen Teilen der
veröffentlichten Meinung das zeigt ihr Verhalten seit Streikbeginn.
Sowohl die Tarifgemeinschaft der
Länder (TdL) als auch Presseorgane wie Rheinische Post, Bild, Express, Kölner Stadtanzeiger oder
Focus sind sich einig, dass diese Beschäftigten eigentlich herzlose Wesen sind, die ihre Patienten
nicht versorgen und schlimmstenfalls sogar dem Tod aussetzen, da sie nicht dafür sorgten, dass
lebensrettende Operationen durchgeführt würden. Den Vogel schoss da mal wie immer
Bild ab. Die Zeitung war sich nicht zu blöd, einen Jungen abzubilden, dessen Leben durch den Streik
auf dem Spiel stünde. Vergessen wurde hierbei zu erwähnen, dass die Gewerkschaft Ver.di mit den
Klinikleitungen Notdienstvereinbarungen abgeschlossen hatte, die zusichern, dass Patienten mit akuten
gefährlichen Erkrankungen auch versorgt werden. So sind besonders sensible Bereiche, wie z.B. die
Unfallchirugie, von den Streikmaßnahmen ausgenommen.
Bisher lief für die Prediger der
Arbeitszeitverlängerung und Lohndrückerei alles nur zu gut: die Arbeitszeit der Beamten wurde in
fast allen Bundesländern verlängert, die Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld wurden
gekürzt oder ganz gestrichen.
Zwei Länder sind aus dem Tarifverbund schon ganz ausgetreten, nämlich das SPD/PDS-regierte
Berlin und das CDU/FDP-Land Hessen. Der im vergangenen Jahr abgeschlossene neue Tarifvertrag
öffentlicher Dienst, der den BAT abgelöst hat, wird von der TdL nicht anerkannt, und der alte BAT
hat nur noch Nachwirkungen. Das bedeutet, dass für neu eingestellte Beschäftigte kein
Tarifvertrag Anwendung findet. Auch Arbeiter und Angestellte haben keine 38,5-Stunden-Woche mehr, sie
bekommen kein Urlaubsgeld und nur ein gekürztes Weihnachtsgeld. Wie sie eingruppiert werden, bestimmt
der "Dienstherr".
So haben es die Gewerkschaftshasser aus CDU
und FDP am liebsten. Wie im Frühkapitalismus bestimmen sie allein, unter welchen Bedingungen die
Beschäftigten zu arbeiten haben. Leider bestehen die vorhandenen Differenzen zur SPD nur in der Frage,
wie mit den Gewerkschaften umgegangen werden soll, bei der Arbeitszeitverlängerung und
Lohndrückerei sind diese aber verschwindend gering.
In der Öffentlichkeit wird selten
darauf hingewiesen, wie es zur jetzigen Situation gekommen ist. Eigentlich stand überhaupt keine
Tarifrunde im öffentlichen Dienst an.
Anfang 2003 hatte Ver.di im Rahmen des
damaligen Tarifabschlusses mit den Arbeitgeberverbänden des öffentlichen Dienstes eine
Prozessvereinbarung zur Modernisierung der Tarifverträge beschlossen. In dieser Prozessvereinbarung
wurde festgehalten, dass sich die Parteien einig sind, bis Januar 2005 die Tarifverträge neu zu
gestalten, um u.a. die Unübersichtlichkeit in diesen Verträge zu beseitigen. Dazu wurden in der
Folge Kommissionen gebildet, die bald ihre Arbeit aufnahmen.
Beide Seiten gingen mit ihren Vorstellungen
in die Verhandlungen, die im großen und ganzen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden.
In der Zwischenzeit kam Schröders Regierungserklärung zur Agenda 2010, die eigentlich alles in
Frage stellte, einschließlich die für selbstverständlich erachtete Position der
Gewerkschaften in der Bundesrepublik als geachteter "Sozialpartner". Die Agenda 2010 war nicht
nur eine Kampfansage an die erwerbslosen Teile der Lohnabhängigen, wie manche vielleicht meinten. Die
Gewerkschaftsführungen haben aber leider vor diesem "rot-grünen" Wandel die Augen
verschlossen.
Schon drei Monate nach der
Regierungserklärung verkündete die Landesregierung von Nordrhein Westfalen ihr
"Düsseldorfer Signal", indem genau das vorweg genommen wurde, worum es heute geht: Die
Beamten sollten 41 Stunden arbeiten und weniger Weihnachtsgeld und gar kein Urlaubsgeld mehr bekommen. Da
ließen sich natürlich auch die CDU-geführten Bundesländer nicht lange bitten, eine
Regierung nach der anderen kopierte das Programm der NRW Regierung. Zum Teil wurde die Arbeitszeit sogar
auf 42 Stunden erhöht.
Folgerichtig erklärten dann auch die
Länder, dass sie sich nicht mehr an den Verhandlungen zur Modernisierung des Tarifrechts im
öffentlichen Dienst beteiligen würden und stiegen aus. Aber auch das beunruhigte die Ver.di-
Führung nicht. Sie hielten unbeirrt an der Prozessvereinbarung fest.
Die Ver.di-Linke NRW hat damals den
Vorstand aufgefordert, aus den Verhandlungen auszusteigen. Dies wurde von diesem zurückgewiesen.
Stattdessen einigte sich Ver.di auf gewisse KO-Kriterien, wozu natürlich die Arbeitszeit gehörte.
Im Januar 2005 gab es dann sowohl mit dem Bund als auch mit den Kommunen einen neuen Tarifvertrag. Dieser
wurde mit einer deutlichen Mehrheit der Ver.di-Tarifkommission angenommen, obwohl er sicherlich mehr als
eine Kröte enthielt: eine Öffnungsklausel in der Frage der Arbeitszeit und eine neue
"Leichtlohngruppe" mit einem Lohn von 1286 Euro wurde vereinbart, und es gab für 2,5 Jahre
nur noch Einmalzahlungen statt Tariferhöhungen, um nur die größten Kröten zu nennen.
Dies ist die Grundlage für die jetzige
Situation. Die Länder wollen nach wie vor den neuen Tarifvertrag nicht anwenden, und die kommunalen
Arbeitgeberverbände aus Niedersachsen, Hamburg und Baden-Württemberg wollen von der
Öffnungsklausel bei der Arbeitszeit Gebrauch machen.
Im letzten Jahr haben die
Beschäftigten der Uni-Kliniken in Baden-Württemberg durch einen sehr kreativen Arbeitskampf einen
Tarifabschluss erreicht. Wenn dort auch nicht generell die 38,5-Stunden-Woche erhalten blieb, so wurde doch
im Durchschnitt die Arbeitszeit gehalten. Es gibt Gruppen, die eine halbe Stunde mehr und andere, die
entsprechend weniger arbeiten. Das will Ver.di auch für die Uni-Kliniken in NRW erreichen.
Da dies aber nur ein Teil der
Gesamtauseinandersetzung im öffentlichen Dienst ist, zählt natürlich auch jedes Ergebnis.
Bis jetzt liegen zwei Ergebnisse vor, aus Hamburg und Niedersachsen. In Hamburg ist ein Ergebnis zwischen
38 und 40 Stunden pro Woche vereinbart worden, wobei nach Eingruppierung, Alter und Kinderstatus
unterschieden wird. In Niedersachsen wird im Wesentlichen nach Belastung bei der Arbeit unterschieden.
In Hamburg haben ganze 42% der
Gewerkschaftsmitglieder für das Ergebnis gestimmt, was eine große Unzufriedenheit ausdrückt.
In Niedersachsen steht als besondere "Feinheit" im Abschluss, dass die Beschäftigten
zwischen 1 bis 3 Tage Weiterbildung aus ihrem Zeitvolumen tragen müssen, d.h. dass die
Beschäftigten Überstunden machen müssen, um die Weiterbildungstage ableisten zu können,
wenn nicht, müssen Urlaubstage geopfert oder Lohnabzüge hingenommen werden.
Das ist die Folge der fehlenden oder
falschen Strategie der Ver.di-Führung in diesem ganzen Prozess: ohne eigene Forderungen lässt
sich heute noch nicht einmal eine 38,5-Stunden-Woche halten. Auf die Provokationen der Arbeitgeber
hätte mit eigenen Forderungen geantwortet werden müssen, bspw. damit: Schluss mit dem
Arbeitsplatzabbau Schluss mit der Arbeitshetze Für neue Arbeitsplätze Her
mit dem schönen Leben Kampf aller Gewerkschaften für die 4-Tage-Woche.
Helmut Born
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