SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2006, Seite 06

Lidl-Kampagne — eine Zwischenbilanz

"Geist ist geiler"

Am 13. und 14.März fand im Kölner Gürzenich der bundesweite "Unternehmertag Lebensmittel" statt. Da ging es nicht um die Interessen der Verbraucher oder Beschäftigten, sondern ums unternehmerische Überleben an einem der am härtesten umkämpften Märkte in Europa. Discounter konkurrieren um Profitmargen und Umsatzanteile mit Mitteln, die Beschäftigte, aber auch Verbraucher und Schnäppchenjäger, das Fürchten lehren sollten.
600 Unternehmer aus Lebensmittelhandel und Ernährungsindustrie nahmen an der Konferenz teil, unter ihnen die ganz großen der Branche: Nestlé, Metro, Rewe und Walmart. Auch der Handelskonzern Schwarz mit seinen Ketten Kaufland und Lidl ist dabei. Die Supermarktkette Lidl stand im vergangenen Jahr unter großem öffentlichen Druck von Greenpeace, Gewerkschaften, Bauernorganisationen und Globalisierungskritikern.
Die letztgenannten haben eine vorläufige Bilanz ihrer Kampagnen gezogen. Weil sich bisher kaum etwas geändert hat, mussten die Konferenzteilnehmer am Eingang durch eine Wand von Protestpostkarten hindurch. Eigentlich sollten 10000 Postkarten an Richard Lohmiller, den Lidl-Kommanditisten, übergeben werden. Aber der hatte kurzfristig abgesagt.
Pestizide in Lebensmitteln, krebserzeugende Ausdünstungen bei den Non-Food-Produkten; Bespitzelung der Mitarbeiter, Arbeitshetze und fehlende Betriebsräte, so lauten die Vorwürfe an den Lidl-Betreiber Schwarz. Die Liste ist damit noch nicht zu Ende. Der Schwarz-Konzern übt mit seinen 7000 Lidl- und Kaufland-Filialen erheblichen Druck auf die Zulieferer aus, z.B. die Wasser-, Bananen- und Milchlieferanten.
Die Konsequenzen des Preisdrucks spüren vor allem die letzten in der Produktionskette: Grundwasserspiegel sinken, weil zuviel Wasser aus Mineralbrunnen geschöpft wird; die ohnehin schlecht bezahlten Pflücker auf den Bananenplantagen in der Dritten Welt verdienen noch weniger, und Milchbauern in Europa müssen ihren Bankrott anmelden, weil die Produktion eines Liters Milch teurer wird als der Preis, den sie dafür beim Verkauf an die Molkerei erzielen. "Den Discountern sind die Arbeits- und Umweltbedingungen völlig egal, nur der Preis zählt", so Bettina Burkert von BanaFair.
Im vergangenen Jahr haben die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, die Globalisierungskritiker von Attac, die entwicklungspolitische Organisation BananaFair und der alternative Bauernverband AbL, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, zahlreiche Aktionen in und vor Lidl-Filialen organisiert. Sie haben Kühe vor den Liefereingängen postiert, Straßentheater gespielt und Kunden befragt. Auf eigens eingerichteten Internetforen schreiben sich Lidl-Beschäftigte ihr Leid und ihre Wut von der Seele. Allein die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat drei Millionen Postkarten unter die Lidl-Kunden gebracht.
Der Konzern hat auf die massiven Kampagnen reagiert und versucht sein Image in ein besseres Licht zu rücken. Zum Beispiel wird laut darüber nachgedacht, ein Dutzend fair gehandelte Lebensmittel in die Lidl-Produktpalette aufzunehmen. An der generellen Einkaufspolitik von Lidl würde das nichts ändern, ebenso wenig an den Arbeitsbedingungen der Milchbauern, Bananenpflücker und Verkäuferinnen. "Bereits im vergangenen Sommer hat das Management sämtliche Führungskräfte von Lidl zusammengetrommelt und ermahnt, bei Abmahnungen von Mitarbeitern nicht die ganz harte Nummer zu fahren", sagt Agnes Schreieder, die für den Ver.di-Bundesvorstand die Lidl-Kampagne organisiert. Aber die Wahl von Betriebsräten werde nach wie vor unterbunden. In Calw ließ Lidl sogar eine der wenigen Filialen schließen, die einen Betriebsrat erkämpft hatte.
Lidl will außerdem eine Imagekampagne starten. Die Kosten bewegen sich in zweistelliger Millionenhöhe, meldet Attac. Im Laufe des März will Lidl Anzeigen und TV-Spots schalten, um die Öffentlichkeit von der Qualität seiner Produkte zu überzeugen. Doch bei der Suche nach einer geeigneten Werbeagentur stolperte Lidl über seine eigene Geschäftsstrategie: Die ins Auge gefasste Agentur sprang ab, berichtet das Manager-Magazin, "weil Lidl sie zu stark im Preis drücken wollte". Jetzt soll es einen zweiten Anlauf geben.
Derweil erhöhen die Lidl-Kritiker den Druck — mit Pressekonferenzen, neuen Bündnispartnern, einem europäischen Streik der Milchbauern und einer Ausweitung der Lidl-Kampagne in der Fläche. Auch die Politik der Bundesregierung ist im Fadenkreuz der Kritik. "Hartz IV und Rentenkürzungen treiben die Menschen in die Discounter", erklärt Sarah Bormann, Mitarbeiterin der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisation WEED und Koautorin der Ver.di-Broschüre Grenzenlos billig — Globalisierung und die Discountierung im Einzelhandel.
Zum Weltfrauentag am 8.März protestierten die europäischen Schwesterorganisationen der Dienstleistungsgewerkschaft in Polen, Italien, Tschechien, Österreich und Frankreich, dem nach Deutschland größten Absatzmarkt für Lidl-Produkte. Auch Milchbauern aus verschiedenen europäischen Ländern wollen in die Offensive gehen.
Wegen der ruinösen Marktsituation hätten sich die Milchbauern eigenständig organisiert, berichtet Sonja Korspeter von der AbL. Geplant sei "ein europaweiter Milchstreik, so lange, bis in den Märkten die Milch knapp wird". Die Bauern wollen einen höheren Literpreis für das Grundnahrungsmittel. Lidl bezahlt derzeit 26 Cent an die Molkereien. Um die Produktionskosten zu decken, müssten zehn Cent pro Liter mehr gezahlt werden, sagt Sonja Korspeter.

Gerhard Klas

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