SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2006, Seite 07

Neues Denken aus Dresden

PDS-Abgeordnete für Verkauf öffentlicher Wohnungen

Bei der bundesweit beachteten Abstimmung im Dresdner Stadtrat über den Totalverkauf der Dresdner Wohnungsbaugesellschaft WOBA an den US-amerikanischen Investmentfonds Fortress haben ihm auch neun Stadträte der Linksfraktion zugestimmt. Damit machten sie von ihrem freien Mandat Gebrauch.
Das Votum dieser neun Stadträte steht jedoch im Widerspruch zu den kommunalpolitischen Grundpositionen der Linkspartei, dem ausdrücklichen Beschluss der Gesamtmitgliederversammlung der Linkspartei in Dresden und auch zu meiner persönlichen Auffassung.
Die Beteuerungen der Protagonisten des Verkaufs, für die Mieter der WOBA werde sich bis auf den Namen ihres Vermieters nichts ändern, wirken unglaubwürdig angesichts der potenziellen Käufer des Unternehmens. Hier handelt es sich um eine global agierende Fondgesellschaft, die nur ein Ziel kennt: hohe Rendite. Selbst wenn derzeit ein Überangebot auf dem Dresdner Wohnungsmarkt kurz- und mittelfristig unangemessen hohe Mietsteigerungen verhindern wird, sind die langfristigen Wirkungen der Aufgabe von kommunalem Wohneigentum auf die Mietpreisentwicklung nicht überschaubar.
Auch die Bedingungen für die Sicherung von Sozialwohnungen und von Belegungsrechten werden sich verschieben. Hartz IV rückt dieses Problem besonders ins Gesichtsfeld, zumal in Dresden die Zahl der sog. Bedarfsgemeinschaften auf über 32000 gestiegen ist, von denen über 7000 (das bedeutet etwa 12000 bis 13000 Betroffene) in Wohnungen leben, die ihnen durch die Hartz-Gesetzgebung nicht mehr zugebilligt werden. Die Betroffenen werden derzeit aufgefordert, entweder die Betriebskosten zu senken, mit dem Vermieter über einen Mietnachlass zu verhandeln oder umzuziehen.
Der vollständige Verkauf von kommunalem Wohneigentum soll Ausdruck neuen Denkens sein, die neue Linkspartei müsse sich aus den Fesseln alten Denkens befreien, sagen die beiden führenden Köpfe der Linkspartei.PDS Dresden im Stadtrat. Innovativ und situationsadäquat, so die Genossen Christine Ostrowski und Ronald Weckesser, wird hier ein mutiger Schritt in Richtung sozialer Profilierung Dresdner Kommunalpolitik gegangen.
Es mag sein, dass sie selber glauben, die öffentliche Hand werde gestärkt, wenn sie öffentliches Eigentum verkauft und über den Nichtbesitz neue (finanzielle) Steuerungskraft erhält. Weckesser und Ostrowski bieten ihre Thesen zu einem Zeitpunkt der Partei zur Diskussion an, zu dem der ihnen zugrunde liegende politische Ansatz in Dresden bereits zu einer irreversiblen politischen Grundsatzentscheidung geführt hat. Egal wie der Diskurs in der Linkspartei ausgeht — die Fakten sind bereits geschaffen.

Neoliberalismus

Ihre Position enthält zwei Hauptthesen:
1. Öffentliches Eigentum ist bei Gütern der Daseinsvorsorge im Allgemeinen und bei Wohnungsbeständen im Besonderen nicht mehr oder zumindest nicht mehr im bisherigen Umfang erforderlich. Soziale Wohlfahrt könne auch gesichert werden, wenn diese sich weitgehend in Privateigentum, insbesondere auch im Besitz von Kapitalfonds befindet.
2. Die Schuldenfreiheit der öffentlichen Hand sei ein Wert an sich, nein gar ein "sozialpolitischer Imperativ". "Dresden schuldenfrei zu machen ist ein wichtiges Signal für ganz Deutschland." Doch kommt selten jemand auf die Idee, ein Unternehmen, das wertvolle Sachanlagen verkauft hat, um sein Fremdkapital abzulösen, anschließend als schuldenfrei zu feiern.
Denkt man beide Thesen zusammen und konsequent zu Ende, wird folgender Ansatz vertreten: Staat und Kommunen sollen sich aus jedweder wirtschaftlichen Tätigkeit möglichst zurückziehen. Daseinsvorsorge kann durch Privatwirtschaft und Marktmechanismen hinreichend gesichert werden. Was ist das anderes als Neoliberalismus? Muss sich die Linkspartei dabei ihren Anteil sichern?
Die heute galoppierende Privatisierung öffentlicher Einrichtungen (Verkehrs- und andere Kommunikationsmittel, Schulbildung, Wissenschaft, Gesundheitswesen, polizeiliche Aufgaben, Kultureinrichtungen, die Verwertung jeglichen öffentlichen Raumes) voraussagend verweist Marx auf den Drang des Kapitals, sich auch "die Voraussetzungen der Zirkulation" zu assimilieren.
Die Übernahme von bisherigen (kommunalen bzw.) Staatsaufgaben, die traditionell außerhalb der Kapitalverwertung liegen, aber immer schon eine gesellschaftliche Bedingung der kapitalistischen Produktion waren, durch das Kapital selbst, geschieht in dem Maße, in dem das Produktivkraftniveau auch hier eine angemessene Verwertung zulässt. Dies zeichnet generell die heutige Entwicklungsphase des Kapitalismus aus und ist zum Markenzeichen des Neoliberalismus geworden.
Im jüngst vorgelegten Programmkonzept für die neue Linkspartei ist ein klares Bekenntnis zur Stärkung des öffentlichen Sektors und zur Ausweitung öffentlicher Beschäftigung verankert.
Was nun? Liegt in Dresden ein aktueller Sonderfall vor, der sich aus der konkreten Verschuldungssituation der Stadt ergibt und wurde nur temporär situationsadäquat gehandelt? Die hohe Verschuldung trifft für die meisten deutschen Städte und Gemeinden zu. Im Osten Deutschlands gibt es aufgrund der demografischen Entwicklung, im Wesentlichen bestimmt durch Geburtenrückgang und Wegzug wegen Arbeitsuche, einen besonders hohen Leerstand an Wohnungen. Rechtfertigt dieser konkrete Umstand die Zustimmung zum Totalverkauf oder wird eher die Glaubwürdigkeit der neuen Linken aufs Spiel gesetzt?
Für linke Politik sind keine neuen sozialen Gestaltungsspielräume entstanden. Im Gegenteil: Die Verfügung über Eigentum durch Ausbau der Demokratie, wie in den Eckpunkten gefordert, wird schwerlich mit einem US-amerikanischen Investmentfonds möglich sein. Die Profitdominanz in der Gesellschaft wird gestärkt, Zivilgesellschaft und Demokratie geschwächt.
Es gibt einen weiteren wichtigen Aspekt in der Debatte. Die Anhänger dieses neoliberalen Ansatzes berufen sich immer wieder auf den Gründungskonsens der PDS in den Jahren 1989/90. Ja, es stimmt. Alle wollten den Stalinismus zum Teufel jagen. Ausdrücklich wurden Pluralität und infolgedessen Gruppen- und Fraktionsbildung ins politische Stammbuch (Statut) geschrieben. Hier wird jedoch das Bekenntnis zum weltanschaulichen Pluralismus zum politischen Pluralismus umgedeutet. Die praktischen Konsequenzen sehen wir: CDU und FDP stimmen mit Teilen der Linkspartei.PDS für den Verkauf sämtlicher kommunaler Wohnungen und feiern dies als innovative linke Sozial- und Kommunalpolitik.

Was ist zu tun?
Sahra Wagenknecht schlägt eine Kampagne gegen Privatisierungen und für die Rekommunalisierung und Rückverstaatlichung von Eigentum gerade im Bereich der Daseinsvorsorge vor.
Die Debatte um den Parteineubildungsprozess ist so zu führen, dass von der weltanschaulichen Pluralität als Geschäftgrundlage ausgehend eine Politik der Beliebigkeit bekämpft wird.
Die Eigentums- und Verteilungsfragen stellen sich in neuer Schärfe und müssen unter den Linken diskutiert werden.
Die klare Absage an die Fortsetzung der Privatisierungspolitik gehört für mich zum Wesen der Debatte und des praktischen Handelns der Linken in Deutschland.

Hans-Jürgen Muskulus

Hans-Jürgen Muskulus ist Vorsitzender der Linkspartei.PDS Dresden.



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