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Bei der bundesweit beachteten Abstimmung im Dresdner Stadtrat über den
Totalverkauf der Dresdner Wohnungsbaugesellschaft WOBA an den US-amerikanischen Investmentfonds Fortress
haben ihm auch neun Stadträte der Linksfraktion zugestimmt. Damit machten sie von ihrem freien Mandat
Gebrauch.
Das Votum dieser neun Stadträte steht
jedoch im Widerspruch zu den kommunalpolitischen Grundpositionen der Linkspartei, dem ausdrücklichen
Beschluss der Gesamtmitgliederversammlung der Linkspartei in Dresden und auch zu meiner persönlichen
Auffassung.
Die Beteuerungen der Protagonisten des
Verkaufs, für die Mieter der WOBA werde sich bis auf den Namen ihres Vermieters nichts ändern,
wirken unglaubwürdig angesichts der potenziellen Käufer des Unternehmens. Hier handelt es sich um
eine global agierende Fondgesellschaft, die nur ein Ziel kennt: hohe Rendite. Selbst wenn derzeit ein
Überangebot auf dem Dresdner Wohnungsmarkt kurz- und mittelfristig unangemessen hohe Mietsteigerungen
verhindern wird, sind die langfristigen Wirkungen der Aufgabe von kommunalem Wohneigentum auf die
Mietpreisentwicklung nicht überschaubar.
Auch die Bedingungen für die Sicherung
von Sozialwohnungen und von Belegungsrechten werden sich verschieben. Hartz IV rückt dieses Problem
besonders ins Gesichtsfeld, zumal in Dresden die Zahl der sog. Bedarfsgemeinschaften auf über 32000
gestiegen ist, von denen über 7000 (das bedeutet etwa 12000 bis 13000 Betroffene) in Wohnungen leben,
die ihnen durch die Hartz-Gesetzgebung nicht mehr zugebilligt werden. Die Betroffenen werden derzeit
aufgefordert, entweder die Betriebskosten zu senken, mit dem Vermieter über einen Mietnachlass zu
verhandeln oder umzuziehen.
Der vollständige Verkauf von
kommunalem Wohneigentum soll Ausdruck neuen Denkens sein, die neue Linkspartei müsse sich aus den
Fesseln alten Denkens befreien, sagen die beiden führenden Köpfe der Linkspartei.PDS Dresden im
Stadtrat. Innovativ und situationsadäquat, so die Genossen Christine Ostrowski und Ronald Weckesser,
wird hier ein mutiger Schritt in Richtung sozialer Profilierung Dresdner Kommunalpolitik gegangen.
Es mag sein, dass sie selber glauben, die
öffentliche Hand werde gestärkt, wenn sie öffentliches Eigentum verkauft und über den
Nichtbesitz neue (finanzielle) Steuerungskraft erhält. Weckesser und Ostrowski bieten ihre Thesen zu
einem Zeitpunkt der Partei zur Diskussion an, zu dem der ihnen zugrunde liegende politische Ansatz in
Dresden bereits zu einer irreversiblen politischen Grundsatzentscheidung geführt hat. Egal wie der
Diskurs in der Linkspartei ausgeht die Fakten sind bereits geschaffen.
Ihre Position enthält zwei Hauptthesen:
1. Öffentliches Eigentum ist bei
Gütern der Daseinsvorsorge im Allgemeinen und bei Wohnungsbeständen im Besonderen nicht mehr oder
zumindest nicht mehr im bisherigen Umfang erforderlich. Soziale Wohlfahrt könne auch gesichert werden,
wenn diese sich weitgehend in Privateigentum, insbesondere auch im Besitz von Kapitalfonds befindet.
2. Die Schuldenfreiheit der
öffentlichen Hand sei ein Wert an sich, nein gar ein "sozialpolitischer Imperativ".
"Dresden schuldenfrei zu machen ist ein wichtiges Signal für ganz Deutschland." Doch kommt
selten jemand auf die Idee, ein Unternehmen, das wertvolle Sachanlagen verkauft hat, um sein Fremdkapital
abzulösen, anschließend als schuldenfrei zu feiern.
Denkt man beide Thesen zusammen und
konsequent zu Ende, wird folgender Ansatz vertreten: Staat und Kommunen sollen sich aus jedweder
wirtschaftlichen Tätigkeit möglichst zurückziehen. Daseinsvorsorge kann durch
Privatwirtschaft und Marktmechanismen hinreichend gesichert werden. Was ist das anderes als
Neoliberalismus? Muss sich die Linkspartei dabei ihren Anteil sichern?
Die heute galoppierende Privatisierung
öffentlicher Einrichtungen (Verkehrs- und andere Kommunikationsmittel, Schulbildung, Wissenschaft,
Gesundheitswesen, polizeiliche Aufgaben, Kultureinrichtungen, die Verwertung jeglichen öffentlichen
Raumes) voraussagend verweist Marx auf den Drang des Kapitals, sich auch "die Voraussetzungen der
Zirkulation" zu assimilieren.
Die Übernahme von bisherigen
(kommunalen bzw.) Staatsaufgaben, die traditionell außerhalb der Kapitalverwertung liegen, aber immer
schon eine gesellschaftliche Bedingung der kapitalistischen Produktion waren, durch das Kapital selbst,
geschieht in dem Maße, in dem das Produktivkraftniveau auch hier eine angemessene Verwertung
zulässt. Dies zeichnet generell die heutige Entwicklungsphase des Kapitalismus aus und ist zum
Markenzeichen des Neoliberalismus geworden.
Im jüngst vorgelegten Programmkonzept
für die neue Linkspartei ist ein klares Bekenntnis zur Stärkung des öffentlichen Sektors und
zur Ausweitung öffentlicher Beschäftigung verankert.
Was nun? Liegt in Dresden ein aktueller
Sonderfall vor, der sich aus der konkreten Verschuldungssituation der Stadt ergibt und wurde nur
temporär situationsadäquat gehandelt? Die hohe Verschuldung trifft für die meisten deutschen
Städte und Gemeinden zu. Im Osten Deutschlands gibt es aufgrund der demografischen Entwicklung, im
Wesentlichen bestimmt durch Geburtenrückgang und Wegzug wegen Arbeitsuche, einen besonders hohen
Leerstand an Wohnungen. Rechtfertigt dieser konkrete Umstand die Zustimmung zum Totalverkauf oder wird eher
die Glaubwürdigkeit der neuen Linken aufs Spiel gesetzt?
Für linke Politik sind keine neuen
sozialen Gestaltungsspielräume entstanden. Im Gegenteil: Die Verfügung über Eigentum durch
Ausbau der Demokratie, wie in den Eckpunkten gefordert, wird schwerlich mit einem US-amerikanischen
Investmentfonds möglich sein. Die Profitdominanz in der Gesellschaft wird gestärkt,
Zivilgesellschaft und Demokratie geschwächt.
Es gibt einen weiteren wichtigen Aspekt in
der Debatte. Die Anhänger dieses neoliberalen Ansatzes berufen sich immer wieder auf den
Gründungskonsens der PDS in den Jahren 1989/90. Ja, es stimmt. Alle wollten den Stalinismus zum Teufel
jagen. Ausdrücklich wurden Pluralität und infolgedessen Gruppen- und Fraktionsbildung ins
politische Stammbuch (Statut) geschrieben. Hier wird jedoch das Bekenntnis zum weltanschaulichen
Pluralismus zum politischen Pluralismus umgedeutet. Die praktischen Konsequenzen sehen wir: CDU und FDP
stimmen mit Teilen der Linkspartei.PDS für den Verkauf sämtlicher kommunaler Wohnungen und feiern
dies als innovative linke Sozial- und Kommunalpolitik.
Was ist zu tun?
Sahra Wagenknecht schlägt eine
Kampagne gegen Privatisierungen und für die Rekommunalisierung und Rückverstaatlichung von
Eigentum gerade im Bereich der Daseinsvorsorge vor.
Die Debatte um den
Parteineubildungsprozess ist so zu führen, dass von der weltanschaulichen Pluralität als
Geschäftgrundlage ausgehend eine Politik der Beliebigkeit bekämpft wird.
Die Eigentums- und Verteilungsfragen
stellen sich in neuer Schärfe und müssen unter den Linken diskutiert werden.
Die klare Absage an die Fortsetzung der
Privatisierungspolitik gehört für mich zum Wesen der Debatte und des praktischen Handelns der
Linken in Deutschland.
Hans-Jürgen Muskulus
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