| SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die Lage an der Neuformierungsfront der deutschen Linken ist ernst und
verfahren. Ende Februar haben zuerst eine Landesdelegiertenkonferenz der WASG Berlin, dann ihr
Landesvorstand und schließlich eine Urabstimmung unter den Berliner WASG-Mitgliedern mit eindeutig
demokratischen Mehrheiten beschlossen, eine eigene Kandidatur zu den Berliner Abgeordnetenhauswahlen im
kommenden September anzustreben und gegen die Linkspartei.PDS (LPDS) Berlin um Wählerstimmen zu
konkurrieren. Die durch diese Entscheidung ausgelöste Auseinandersetzung verdeckt jedoch das tief
greifende Dilemma, das zwar nicht auf die Hauptstadt zu beschränken ist, sich dort aber am
offensichtlichsten spiegelt.
Ein Großteil der bundesweiten WASG-Mitgliedschaft und ihrer politischen Führung, ein
Großteil der westdeutschen Linken, ein nennenswerter Teil der L.PDS und viele potentielle Wähler
sind sich darin einig, dass die L.PDS-Politik in Berlin weder unterstützenswert noch wählbar ist.
Die L.PDS ist in der "rot-roten" Senatsregierung mitverantwortlich für neoliberalen
Sozialabbau, für die Teilprivatisierung öffentlicher Versorgungsunternehmen im Bereich Energie,
Wasser und Wohnungsgenossenschaften und betreibt einen nicht unerheblichen Arbeitsplatzabbau im
öffentlichen Dienst. "Rot-Rot" beteiligt sich an der Privatisierung von Gewinnen und der
Sozialisierung unternehmerischer Verluste, hat sich aus der Tarifgemeinschaft des öffentlichen
Dienstes zurückgezogen und der gescheiterten neoliberalen EU-Verfassung zugestimmt.
Die WASG hat sich bundesweit u.a. gegen
solch neoliberale Formen linker Politik gegründet, und deswegen auch viele enttäuschte ehemalige
PDS-Aktivisten in Berlin und im Westen in und um sich versammelt. Es ist deswegen
Gründungsphilosophie, sich an keiner Regierung zu beteiligen, "die weiteren Sozialabbau,
Militäreinsätze, den Abbau von Bürgerrechten oder Privatisierungen betreibt oder
toleriert".
Die L.PDS hat sich nach
übereinstimmender Einschätzung unabhängiger Beobachter davon bisher unbeeindruckt gezeigt.
Seit vielen Monaten diskutieren deswegen die Linken in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und der ganzen
Republik, wie man wahlpolitisch mit dieser Situation umgehen kann, bzw. soll. Während die einen
ultimativ den Austritt aus der neoliberalen Mangelverwaltung fordern, planen andere ungeniert deren
Fortsetzung.
Dies ist das objektive Dilemma, in dem die
strategische Debatte nicht nur in der Hauptstadt Berlin steckt, und aus dem auch das wider die
Privatisierer agitierende neue politische Zugpferd der Linken, Oskar Lafontaine, keinen wirklichen Ausweg
kennt.
Auf einer großen Pressekonferenz
argumentierte er gegen die Berliner WASG-"Separatisten", die Programmdiskussion der beiden
Parteien sei doch schon längst über die Berliner Debatte hinaus gegangen, denn man habe sich
bereits auf die drei zentralen Punkte: Kampf gegen Privatisierung öffentlichen Eigentums, Kampf gegen
Personalabbau im öffentlichen Dienst und Ende des Abbaus sozialer Leistungen auf Gemeinde- und
Länderebene geeinigt. Auf die naheliegende Nachfrage jedoch, wie man mit den Widersprüchen
zwischen Programm und Berliner Realität umgehen solle und wolle, antwortete er zwar, dass diese
Berliner Politik "so nicht fortgesetzt werden" könne, verkündete aber, er werde auf
jeden Fall für die L.PDS Wahlkampf machen und sprach gleichzeitig von einer möglichen Trennung
nicht von der Berliner L.PDS, sondern von der Berliner WASG. Verbal gegen den L.PDS-Neoliberalismus
zu sein, aber gleichzeitig einen bedingungslosen Rückzug von der Eigenkandidatur zu fordern, das ist
auch die Quadratur des Kreises, in der sich die in der "Rixdorfer Initiative"
zusammengeschlossene Berliner WASG-Minderheit befindet.
Die von den Gegnern der Berliner WASG-Politik angeführten Argumente gegen die Berliner
"Spalter" und "Sektierer" entbehren dabei jeder rationalen Grundlage.
Wenn die beiden Parteien bei einer
Landtagswahl gegeneinander antreten, droht, so das erste Argument, der Verlust des Fraktionsstatus der
Linksfraktion im Bundestag. Doch erstens haben dies bereits sowohl die Bundestagsverwaltung selbst, als
auch Gysi, Lafontaine und Ramelow öffentlich als haltlos bezeichnet. Und zweitens sind viele WASG-
Bundestagsabgeordnete im Zuge der Doppelmitgliedschaftskampagne bereits in die PDS eingetreten.
Eine separate Eigenkandidatur der WASG
entspreche, so das zweite Argument, nicht dem Wählerwillen der über 4 Millionen Bundeswähler
vom vergangenen Herbst. Doch was ist dieser Wählerwillen gewesen? Das ist reichlich spekulativ
am ehesten wohl die Hoffnung, eine Partei zu wählen, die sich am herrschenden Spiel von Deregulierung,
Privatisierung und Sozialabbau nicht beteiligt.
Die Politik des Berliner WASG-
Landesvorstandes sei, so das dritte Argument, undemokratisch und das Urabstimmungsergebnis keine
demokratische Mehrheit. Doch auch wenn die Berliner WASG rein rechnerisch nicht die Mehrheit des Berliner
Landesverbandes für ein Ja mobilisieren konnten, die Mehrheit von 51,5% der abgegebenen gültigen
Stimmen ist demokratisch korrekt genauso demokratisch korrekt wie die Abhaltung der umstrittenen
bundesweiten Mitgliederbefragung, die drei WASG-Landesverbände beantragt haben, während sich die
Mehrheit der anderen dagegen ausgesprochen hatte. Es entspricht zudem der demokratisch-linken Tradition,
dass, mindestens solange ein Parteibildungsprozess nicht abgeschlossen ist, eigenständige Kandidaturen
möglich sein müssen und dass der höchste Souverän einer linken Partei die Parteibasis
vor Ort sein muss.
Die Berliner "Separatisten"
seien, so das vierte Argument, sowieso erklärte Gegner einer gemeinsamen Linkspartei. Das mag sein,
doch gesagt haben die Betreffenden immer wieder das Gegenteil. Sie wollen den Vereinigungsprozess nicht
prinzipiell in Frage stellen, sondern über das Wie desselben streiten. Dieser Fehdehandschuh ist
jedoch überwiegend nicht aufgenommen worden. Auch dies ist natürlich eine Konsequenz des realen
Dilemmas, indem alle Strömungen stecken.
Wahrscheinlich weil die besagten Gegenargumente gegen die Berliner WASG-Politik nicht wirklich
überzeugen konnten, griffen kurz vor der Berliner Urabstimmung und mehr noch danach führende
Funktionäre von L.PDS und WASG zur Ausgrenzungskeule: Bei den Berlinern handele es sich um
"Sektierer", um die es, so die Logik, nicht schade wäre und die man nur administrativ
bekämpfen könne.
Als erster hatte einmal mehr Bodo Ramelow,
der Fusionsbeauftragte der L.PDS und L.PDS-Mann fürs Grobe, den Ton vorgegeben, als er noch
während des Berliner Urabstimmungsprozesses vom "Separatismus in den WASG-
Landesverbänden" sprach und administrative Mittel, notfalls die Gründung eines neuen
Landesverbandes, forderte. Ultimativ polterte er vor den genüsslich versammelten Fernsehkameras, es
werde "in ganz Deutschland keine konkurrierenden Wahlantritte geben".
Die WASG-Führung folgte ihm diesmal
bemerkenswert schnell. Klaus Ernst ließ sich zitieren, dass manche Kritiker "mit satzungswidrigen
und antidemokratischen Methoden weit über das akzeptable Maß hinaus(gehen)" und drohte
kryptisch mit Konsequenzen: "Wir sind eine Partei und keine Selbstfindungsgruppe." Auch
Lafontaine sprach von "organisiertem Stören". Auf mehrmalige Nachfrage der Pressevertreter,
ob den "Dissidenten" der Parteiausschluss drohe, wollte er nur ausweichend reagieren. Und
Hüseyin Aydin sprach vom "sektiererischen Geist" jener im Berliner Landesverband, "die
die Dynamik des Einigungsprozesses nicht verstehen und die an der Spaltung der Linken arbeiten".
Was bei diesen Vorwürfen
auffällt, ist zum einen, wie politisch unausgewiesen und unklar sie sind. Der Vorwurf des
"Sektierertums" ist offenbar dehnbar genug und emotional ausreichend negativ besetzt, um das der
verfahrenen Situation zugrunde liegende reale politische Problem zu verschleiern und ein Klima der
Denunziation und Repression zu beschwören, das weder demokratisch noch sozialistisch sein kann.
Zum anderen fällt auf, wie durchgehend
einseitig die Schuldzuweisungen gegen die Berliner WASG-Mehrheit selbst bei jenen WASG-Parteioberen sind,
die der Berliner L.PDS ansonsten gleichermaßen Unbeweglichkeit und mangelnde Veränderungen
vorwerfen. Trotz Wissen um das reale Dilemma ordnet man sich, um die mögliche Einheit nicht zu
gefährden, der Macht des Faktischen unter und tabuisiert die Verantwortung der Berliner L.PDS, indem
man die Schuld explizit und ausschließlich nur auf der Berliner WASG-Seite sieht.
In Fortführung dieser verheerenden
Logik erklärte der Berliner Landesvorstand der L.PDS am 8.März, dass er mit der Berliner WASG
"keine offiziellen Verhandlungen mehr führen und auch keine Sonderveranstaltungen mehr
durchführen (wird)", weil diese "die gemeinsame Grundlage verlassen hat und faktisch das
gemeinsame Ziel in Frage stellt". Die Berliner WASG-Mehrheit ihrerseits hat daraufhin am 10.März
ihre Kandidatur beim Berliner Wahlleiter eingereicht (vgl. Gastkommentar S.4), obwohl auch ihr klar
geworden sein müsste, dass ihre erklärte Hoffnung, mit ihrem "Nein zu Tarifflucht,
Privatisierung, Sozialabbau und zur Politik des kleineren Übels zu einer Politisierung der
Auseinandersetzung mit der Linkspartei.PDS" (Lucy Redler) beizutragen, kaum geglückt ist. Die
angekündigte Eigenkandidatur ist so zwar politisch gerechtfertigt, aber alles andere als klug oder
produktiv.
Es war klar, dass der Weg zu einer neuen
gesamtdeutschen sozialistischen Linken kein geradliniger Weg ohne zum Teil massive Hürden sein konnte.
Nun ist die Situation verfahren. Wer sie mit formalen Mehrheitsentscheidungen und/oder administrativen
Maßnahmen lösen will, muss sich aber ernsthaft fragen lassen, ob er für eine wirklich neue
Linke glaubwürdig eintreten kann.
Christoph Jünke
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04