SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2006, Seite 09

Vogelgrippe

Unzulängliche Pandemie-Vorsorge

Seit den 90er Jahren warnt die WHO vor dem Ausbruch einer erneuten Grippepandemie und empfahl bereits 1999 allen Ländern dringend, einen sog. Pandemieplan auszuarbeiten. Im Prinzip sind sich alle Epidemiologen einig, dass es nicht die Frage ist, ob eine mit den drei Pandemien des 20.Jahrhunderts vergleichbare Grippewelle stattfinden wird, sondern nur, wann. Die Bundesregierung hat sich etwas Zeit gelassen, der Empfehlung der WHO nachzukommen, aber seit Juli 2005 liegt nun der "Nationale Influenzapandemieplan" vor.

Pandemien nennt man allgemein den länderübergreifenden oder weltweiten Ausbruch einer Erkrankung. Pandemien hat es in der Geschichte immer wieder gegeben — von der Pest bis zu AIDS. Was die Influenza A, um eine derer Varianten es sich bei der sog. Vogelgrippe handelt, betrifft, so kostete die Pandemie von 1918 weltweit zwischen 20 und 50 Millionen Menschen das Leben, bei den Pandemien von 1957 und 1968 starben jeweils etwa 1 Million.
Die Bekämpfung und/oder Verhütung kann prinzipiell auf drei Wegen erfolgen: Zum einen die Ausrottung der Vektoren (Keimträger) bzw. allgemeiner gesagt, die Verhinderung der Weiterverbreitung des Virus und des Kontakts mit ihm. Das wurde bspw. 1997 in Hongkong praktiziert, als man den gesamten Geflügelbestand kurzerhand nach Ausbruch einer H5N1-Epidemie tötete. Heute würde das jedoch bedeuten, dass man prinzipiell weltweit sämtliche Vögel töten müsste.
Die zweite Methode ist die der Schutzimpfung. Impfstoffe gegen H5N1 für Tiere sind bereits erhältlich — für Menschen allerdings nicht. Das hat den Grund, dass der derzeitige H5N1-Erreger für Menschen wenig pathogen ist und dass zu erwarten ist, dass erst nach einer Mutation des Virus der Erreger entstehen wird, der dann eine Pandemie auslösen könnte.
Die dritte Methode ist die der Behandlung der Erkrankung. Dafür stehen im Wesentlichen zwei Mittel zur Verfügung, die jedoch erstens wie alle antiviralen Medikamente nicht ganz ungiftig sind, zweitens auch keinen vollen Schutz bieten und drittens gegen bestimmte Mittel bereits Resistenzen bei den Erregern nachgewiesen wurden.

Impfstoffe für Privilegierte

Prinzipiell war bereits 1993 auf einer internationalen Tagung in Berlin eine weltweite Influenzapandemieplanung gefordert worden. 1999 veröffentlichte die WHO dann einen Musterplan, der allerdings nach einer Vorbereitungsarbeit des Robert-Koch-Instituts in der BRD erst 2001 auf Initiative der Bundesländer Anlass für eine nationale Pandemieplanung war. Letztendlich dauerte es dann noch bis zum Juli 2005, bis dieser Plan veröffentlicht werden konnte.
Allerdings ist er in der Öffentlichkeit nicht besonders bekannt gemacht worden und ein Teil der daraus folgenden, bereits laufenden Maßnahmen auch nicht. Da ist zum einen die Frage, wer im Pandemiefalle als erstes in den Genuss der für rund 15% der Bevölkerung gebunkerten Medikamente kommen soll. Da wird in dem Plan eine klare Aussage getroffen: "Die Abgabe antiviraler Medikamente im Bedarfsfall sollte, solange diese nur begrenzt verfügbar sind, priorisiert erfolgen", d.h. für bestimmte Personengruppen bevorzugt. Das ist ein schöneres Fremdwort als der böse Ausdruck Triage (Aussortieren, Aussondern).
Gleiches wird über den Einsatz zukünftiger Impfstoffe diskutiert. Ein Impfstoff gegen ein neues Grippevirus ist frühestens drei Monate nach erfolgter Identifizierung des Erregers verfügbar und das Problem bei der Vogelgrippe ist, dass diese Impfstoffe bisher auf angebrüteten Hühnereiern gezüchtet wurden und letztere naturgemäß bei Ausbreitung der Erkrankung entsprechend dem Ausmaß des Hühnersterbens knapper werden.
An erster Stelle der "Priorisierung" stehen generell die Beschäftigten im Gesundheitswesen, an zweiter Stelle die Ordnungskräfte. Die Autoren des Plans halten sich aber etwas bedeckt: Sie beschreiben drei mögliche Impfstrategien:
Eine Strategie, die sie mit "politisch-sozialer Aspekt" überschreiben, wobei die drei priorisierten Gruppen das medizinische und Pflegepersonal, die Ordnungskräfte und die Berufstätigen sind. Ziele in diesem Fall sind "die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung und der staatlichen Infrastruktur sowie die Minimierung der wirtschaftlichen Folgen einer Pandemie".
Eine zweite, die unter dem "Aspekt der maximalen Reduktion der Krankheitslast" entwickelt wird. Das Problem besteht darin, dass unter dem Motto der Verhinderung einer möglichst großen Zahl von Todesfällen zuerst die Alten geimpft werden müssten, unter dem des wirtschaftlichen Nutzens aber vorrangig junge Erwachsene und Kinder. Subtile Modellrechnungen untermauern diese Szenarien.
Eine dritte, die davon ausgeht, zunächst die Gruppen zu impfen, die das Virus am schnellsten weiter verbreiten. Hier läuft nach der Datenlage alles auf die Beschäftigten im Medizinbereich, Kinder im Schulalter und arbeitsfähige Erwachsene hinaus.

Reden und Handeln

Eine Entscheidung, welche Priorisierung gewählt werden sollte, trifft der Pandemieplan nicht, das überlässt er den Politikern. Die allerdings verstoßen im Moment erst einmal munter gegen die Maßnahme, die in eben diesem Plan richtigerweise als die vordringliche benannt wird: "Je besser jeder Bürger mit den Tatsachen vertraut ist, desto mehr wird er mit den Informationen etwas anfangen können, die ihm im Akutfall übermittelt werden ... Dazu bedarf es einer vorhergehenden Informationspolitik."
Im Gegensatz hierzu versuchen die Landes- und Bundespolitiker in erster Linie, sich gegenseitig Unfähigkeit nachzuweisen — was nicht schwer ist — und die Gelegenheit zu nutzen, Kompetenzen an sich zu reißen, so wie Seehofer, oder gar den Eindruck zu erwecken, man könne die Influenzawelle durch das Aufsammeln toter Vögel aufhalten, was grober Unfug ist, denn damit kann man die Ausbreitung allenfalls etwas verlangsamen.
Was allerdings viel schlimmer ist als die eilfertigen, sich teilweise widersprechenden und nicht gerade der Klarheit dienenden Äußerungen der politischen Führung ist die Tatsache, dass unter strenger Geheimhaltung die im Pandemieplan geforderte Priorisierung offensichtlich nicht nur festgelegt wurde, sondern bereits teilweise umgesetzt wird. Es werden z.B. in Bayern die Angehörigen des Technischen Hilfswerks bereits flächendeckend gegen Influenza A geimpft. Zwar bestreiten Epidemiologen, dass dies bei einem neu entstandenen Virus viel nützen wird, aber sicher ist sicher. Damit niemand auf den Gedanken kommt, hier würde jemand bevorzugt, werden die Geimpften zu strengstem Stillschweigen verpflichtet — während in den letzten Wochen in den Arztpraxen lange Wartelisten für Patienten, die eine Influenzaimpfung verlangten, angelegt wurden, weil bereits jetzt der Impfstoff knapp geworden ist.
Derartige Geheimstrategien stärken die Glaubwürdigkeit einer staatlichen Informationspolitik nicht gerade — sofern sie überhaupt stattfindet, denn das, was bisher von Seiten des öffentlichen Gesundheitsdienstes, der eigentlich diese Aufgabe an erster Stelle erfüllen sollte, in dieser Richtung geschah, ist ebenfalls kein Ruhmesblatt. Und ermannt sich dann doch einmal ein Amtsarzt, wie kürzlich geschehen, und schreibt einen Leserbrief an die örtliche Zeitung, in dem er angesichts der allgemeinen Hysterie darauf hinweist, dass in Deutschland jährlich ca. 8000 Menschen an der ganz "normalen" Influenza A sterben, weltweit bisher aber nur 97 an der Vogelgrippe gestorben sind, dann wird ihm als Beamten die Veröffentlichung vom Dienstherrn untersagt.

Epidemiologie und Rassismus

Jede Pandemie macht den inneren und äußeren Rassismus einer Gesellschaft offenbar. Als seinerzeit die AIDS-Pandemie ausbrach, wurde vollmundig argumentiert, damit sei sozusagen die Schranke zwischen Industriestaaten und unterentwickelt gehaltenen Ländern aufgehoben. Das erwies sich sehr schnell als Unsinn, als wirksame — und teure — Medikamente auf den Markt kamen, die sich in letzteren niemand leisten konnte. Und so läuft es auch mit der sich anbahnenden Influenzapandemie: In den reichen Ländern wird Tamiflu gebunkert, dass bei Bayer die Pillenmaschinen heißlaufen — wobei aber auch hier noch feine Unterschiede in der Versorgung gemacht werden —, während in den armen Ländern der Welt dafür kein Geld da ist und natürlich auch keines dafür, tote Vögel einzusammeln, geschweige denn Katzen einzusperren.
Wenn die Pandemie kommt, dann wird sie ihre Opfer wieder einmal unter den Ärmsten finden. Denn erstens werden die, wie eben erläutert, als letzte in den Genuss von Medikamenten und Impfstoffen kommen, und zweitens ist die Sterblichkeit an Infektionskrankheiten unter anderem sehr stark von der Immunsituation der Betroffenen abhängig, und letztere wiederum von den Lebens- und insbesondere Ernährungsbedingungen. Und so kommt bei jeder Epidemie und jeder Pandemie der diesem Gesellschaftssystem innewohnende strukturelle Rassismus zum Vorschein, sowohl im nationalen wie im internationalen Rahmen. Sollte die Influenzapandemie ausbrechen, wird man das an den entsprechenden Zahlen ablesen können.

Ernst A. Kluge

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