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Wie kann der Übermächtige (der in seiner Allmacht vollkommen
unabhängig, in diesem Sinne frei ist) dazu bewegt werden, dem Ohnmächtigen nicht mit Gewalt alles
zu nehmen: seinen Besitz, seine Würde, seine Rechte?
Das ist die Frage, die sich für die
Landlosen in Barsilien stellt, für die Sans Papiers in Frankreich, für die Palästinenser in
den besetzten Gebieten und in den Flüchtlingslagern außerhalb Palästinas. Es ist die Frage,
die sich, auf die eine oder andere Art, immer mehr Menschen überall auf der Welt stellt.
Machen wir uns nichts vor, es geht um
übermächtige Strukturen, weniger um Menschen, die man dazu bewegen könnte, dass sie
einsichtig, moralisch integer, guten Willens sein mögen, vielleicht sogar, um ihrer selbst willen. Es
geht um gefräßige, grenzenlose, gnadenlose Strukturen, die vor nichts halt machen, nicht einmal
vor der Selbstzerstörung, derer, die von ihnen profitieren.
Gehen wir also ganz rational vor und
klopfen wir die Frage ab: Wie kann der Übermächtige...
So ähnlich hat es die PFLP (Popular
Front for the Liberation of Palestine) im Laufe ihrer Geschichte gehalten und ist zu unterschiedlichen
Antworten gekommen. Seit vielen Jahren und ganz sicher unter ihrem derzeitigen Vorsitzenden Ahmed Saadat
lautet die Antwort: Widerstand gegen die Besatzung und die Verteidigung der palästinensischen
Bevölkerung gegen die Gewalt der Besatzung ist legitim und notwendig. Gewalt kann ein Mittel des
Widerstands sein, jedoch nur, wenn sie sich gegen die Ausführenden und Verantwortlichen für die
Besatzung richtet, d.h. diejenigen, die den Terror gegen die palästinensische Bevölkerung planen
und ins Werk setzten. Das ist im Wesentlichen das israelische Militär in den besetzten Gebieten.
Selbstmordattentate gegen unbeteiligte Zivilisten in Israel sind weder zielführend (werden gewiss
nicht den Übermächtigen dazu bringen... usw.), noch sind sie moralisch zu rechtfertigen.
Die PFLP lehnt die Selbstmordattentate
nicht nur ab, weil Unschuldige dabei ums Leben kommen und deren Rechte (auf Leben, auf Unversehrtheit)
verletzt werden, sondern weil auch das Selbstopfer unmenschlich ist. Als weltlich eingestellte linke
Organisation glaubt sie nicht an einen Sinn der irgendwo da oben verbürgt ist oder an ein Paradies,
das den Märtyrer belohnt. In dieser Logik ist es auch zu verstehen, dass sich der Generalsekretär
der PFLP und seine Mitstreiter in Jericho ergaben, als sie mit ihrem Beharren nichts mehr erreichen konnten
als den eigenen Tod und den der Verteidiger des Gefängnisses.
Durch Anschläge auf die Soldaten, die
Panzer, die Vorposten der israelischen Besatzung in den besetzten palästinensischen Gebieten allein
wird sich die Besatzung nicht abschütteln und wird sich der Übermächtige zu nichts bewegen
lassen, zumal in dieser Konfrontation die Mittel äußerst ungleich sind zuungunsten der
Palästinenser im Widerstand.
Wie die meisten Palästinenser in den
besetzten Gebieten hält die PFLP das geduldige Ausharren (sumut) in der Situation der Ohnmacht
für möglicherweise das wichtigste Element des Widerstands gegen die Besatzung. Was bedeutet
sumut? Das Ausharren als Widerstandsform, über das in der palästinensischen Gesellschaft breiter
Konsens herrscht, praktizieren die Menschen unter Besatzung, indem sie die alltäglichen
Verwüstungen durch die Besatzungsmacht unverdrossen aufräumen, Zerstörtes instandsetzen, das
alltägliche Leben aufrechterhalten, sich nicht unterkriegen und nicht vertreiben lassen. Es bedeutet
auch, trotz aller Schwierigkeiten bis Unmöglichkeiten, zu heiraten, zu feiern, sich zu freuen.
Für eine politische Gruppierung wie
die PFLP bedeutet sumut, die Organisationsstrukturen und die Kontinuität zu erhalten, auch wenn
führende Persönlichkeiten der Partei durch Todeskommandos der Besatzung, die sich an kein Recht
gebunden fühlt, immer bedroht sind einem solchen Kommando fiel der Vorgänger Ahmed
Saadats, Abu Ali Mustafa, zum Opfer. Es bedeutet, die Organisationsstrukturen zu erhalten, auch wenn
Aktivsten mehr noch als die gesamte Bevölkerung der besetzten Gebiete täglich und nächtlich
mit Überfällen der Besatzungsmacht auf ihre Wohnungen, mit Verhaftungen ohne Haftbefehl, mit
Verschleppung nach Israel und mit (beliebig verlängerbarer) Administrativhaft ohne Begründung und
Verfahren rechnen müssen; derzeit sitzen über 9000 palästinensische Häftlinge, darunter
auch Frauen und Kinder, überwiegend als Administrativhäftlinge, also ohne rechtsstaatliche
Grundlage, in israelischen Gefängnissen nur eine Form der Gewalt der Besatzung, der die
Palästinenser ihr geduldiges und solidarisches Ausharren entgegensetzen.
Die meisten Palästinenser
unterschiedlicher politischer Couleur sind auch überzeugt, dass der Gewalt des übermächtigen
Besatzers mit ihrem Beharren auf nichtverhandelbaren Rechten zu begegnen ist. Dies ist auch die Position
der PFLP, weshalb sie die Vereinbarungen von Oslo ablehnte. Diese Vereinbarungen und die Verhandlungen im
Rahmen des Oslo-Prozesses sahen allerdings das Prinzip von Rechten als Grundlage und Ausgangspunkt von
Verhandlungen von vorneherein nicht vor. Das bedeutet, dass der hoffnungslos unterlegene
Verhandlungspartner, in dem Fall die Palästinenser, dem übermächtigen Partner und dessen
Gewalt vollständig ausgeliefert war, ein Manko jenes Verhandlungsprozesses, auf das bspw. der
israelische Autor und Aktivist Michel Warschawski immer wieder hingewiesen hat.
Der sog. Friedensprozess fügte der
Gewalt der Besatzung eine neue Gewalt hinzu, nämlich die der Infragestellung selbst der elementarsten
Rechte. Die PFLP beharrte und beharrt darauf, dass auch Palästinenser ein Recht auf das Wasser unter
ihrem Boden haben, dass sie ein Recht haben, ihren Boden zu bearbeiten, weiterzuvererben, Häuser
darauf zu bauen, dass sie ein Recht auf den Aufbau staatlicher Strukturen, auf Bewegungsfreiheit, auf
Bildung, auf Unversehrtheit und Sicherheit der Person haben, ein Recht auf Rechtsstaatlichkeit, als
Flüchtlinge ein Recht auf Rückkehr kurz auf die Rechte, die alle Welt als
selbstverständlich anerkennt. Wie diese Rechte konkret umgesetzt werden können, ist dann
Gegenstand von Verhandlungen.
Weil die PFLP auf dieser Position beharrt
und weil sie Gewalt im Widerstand nicht ausschließt, gilt sie als radikal. Von der EU wurde sie als
terroristische Organisation eingestuft.
Die PFLP setzt (wie erstaunlicherweise
immer noch ein Großteil der palästinensischen Gesellschaft) auf Verhandlungen und Partnerschaft
mit Israelis und politischen Kräften in Israel, die, wie sie, vom Prinzip gleicher Rechte ausgehen und
dafür kämpfen. Die PFLP arbeitet eng und kontinuierlich mit israelischen Partnern zusammen. Mit
ihnen teilt sie die Vision eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Juden und Palästinensern in
Israel/Palästina das Ende der Gewalt.
Bisher jedoch spricht das offizielle Israel
von rechts nach links nur die Sprache der Gewalt. Versteht es auch nur die Spache der Gewalt?
Die Sprache der Gewalt, offen und
unverblümt, sprach auch Rehavam Zeevi, der Verfechter des "Transfers" als "Lösung
des Problems". Mit Transfer ist der Abtransport oder die Vertreibung (in die arabischen
Nachbarländer gemeint), mit dem Problem sind die Palästinenser gemeint, die, allem
Besatzungsterror zum Trotz, immer noch zahlreich da und nicht weg sind. Rehavam Zeevi, nicht nur
Theoretiker der "Transferlösung", sondern Ex-General und Ex-Minister, ein mächtiger
Mann in Israel mit einer Partei, deren Programm diese Lösung war, und mit engen Beziehungen zu Ariel
Sharon, wurde am 17. Oktober 2001 von einem Kommando der PFLP in Israel ermordet ein politischer
Mord, bei dem niemand außer dem Anvisierten zu Schaden kam. Widerstand gegen eine Besatzung, auch
gewaltsamer Widerstand, ist nach internationalem Recht legitim.
Der/die Täter entkamen zunächst.
Nun ist es selbstverständlich das Recht Israels (und der Angehörigen), den Mord an einem seiner
Bürger aufzuklären und den/die Täter/Verantwortlichen vor ein ordentliches Gericht zu
stellen oder vor ein solches gestellt zu sehen.
Stattdessen sprach und spricht Israel, in
enger Kollaboration vor allem mit den USA und Großbritannien nur die Sprache der Gewalt und nicht die
des Rechts. Ein Wettlauf begann zwischen den israelischen und den palästinensischen
Sicherheitskräften, wer die vermeintlichen oder tatsächlichen Täter eher erjagen würde.
Die palästinensische Autonomiebehörde handelte dabei unter dem Druck der USA und der EU, die
nicht Rechststaatlichkeit verlangten, sondern Ergebnisse, irgendwelche, irgendwie, Trophäen "im
Kampf gegen den Terror".
Die palästinensischen
Sicherheitskräfte kamen israelischen Kommandos zuvor und setzten mehrere PFLPler im Gefängnis
innerhalb der Muqatta von Ramallah fest, wo sie noch einsaßen, als dieser Gebäudekomplex, der
Regierungssitz Yasser Arafats, im Frühjahr 2002 im Rahmen der Wiedereroberung der
"autonomen" palästinensischen Städte von der israelischen Armee belagert und unter
Beschuss genommen wurde. Es gelang ihnen, aus dem Gefängnis, das bombardiert wurde, in jenen Teil der
Muqatta zu fliehen, wo Arafat mit einigen Getreuen und einigen hundert Zivilisten sowie an die vierzig
Aktivisten aus verschiedenen Ländern ausharrte.
Die Mächtigen dieser Welt (und die
Israels sowieso) hatten Arafat längst fallen gelassen, nachdem er sich in Camp David II geweigert
hatte, seine Unterschrift unter eine Totalaufgabe aller Ansprüche zu setzen. Man sprach mit ihm nur
noch in der Sprache von Diffamierung, Erpressung und Gewalt und überzog die palästinensische
Bevölkerung mit Terror. Man versuchte ihn, der umzingelt war von Panzern und Scharfschützen, zu
zwingen, die Gefangenen auszuliefern, und niemand weiß, ob er es getan hätte, um seine Haut zu
retten. Doch es war auch klar, dass ein solcher Verrat am palästinensischen Widerstand so
hätte es die palästinensische Bevölkerung gesehen einen Aufstand, auch gegen die
Autonomiebehörde, provozieren würde.
Ein multilateraler Kuhhandel führte
Ende April/Anfang Mai 2002 zu folgendem Kompromiss: Das israelische Militär zieht sich von der Muqatta
zurück, unter der Bedingung, dass "den Mördern" des Ex-Ministers Zeevi der Prozess
gemacht wird und sie ins (palästinensische) Gefängnis von Jericho gebracht werden, wo sie unter
der Kontrolle und in der Verantwortung britischer und amerikanischer Geheimdienstvertreter einsitzen
werden. Ein Schauprozess von einer halben Stunde wurde tatsächlich in der Muqatta inszeniert und
führte zu dem Urteil, durch das sich heutzutage die Berichterstatter weltweit dazu berechtigt
fühlen von "den Mördern" zu sprechen das offizielle Israel sowieso. Weitere
Forderungen der Palästinenser, so die Entsendung einer UN-Untersuchungskommission nach Jenin, wo kurz
zuvor ein Massaker stattgefunden hatte, wurden nicht durchgesetzt.
Und da man weiterhin nur die Sprache der
Gewalt spricht und schätzt und nicht die des Rechts, und da der als lasch geltende Ehud Olmert, der
Nachfolger Sharons im Amt und Kadidat von dessen Kadima-Partei bei den anstehenden Wahlen, glaubt, unter
Beweis stellen zu müssen, dass auch er sehr wohl die Sprache der Gewalt beherrscht, überfiel die
israelische Armee die Muqatta und das Gefängnis von Jericho, um die dort Einsitzenden umzubringen oder
in ein israelisches Gefängnis abzutransportieren.
Die USA und Großbritannien, unter
deren Schutz die Gefangenen standen, verstanden Ehud Olmerts Wahlkampfsorgen und zogen sich geflissentlich
zurück, um der Gewalt freien Lauf zu lassen. Die internationale Community der Herrschenden, immer
geläufiger in der Sprache der Gewalt, sah verständnisvoll zu oder weg.
Auch Palästinenser, Araber, Muslime
und viele andere verstanden, welche Sprache da gesprochen wurde, sie ist schließlich nicht neu. Sie
sahen die gleichen knieenden Gestalten gebückter Gefangener, mit auf dem Rücken gefesselten
Händen, bis auf die Unterhosen entkleidet, wie im Irak. Gedemütigt, aller Rechte
entblößt, ausgeliefert.
Weltweit konnten Menschen via CNN zusehen,
wie die israelischen Bulldozer alles um das Gefängnis herum plattwalzten, Mauern zermalmten...
Gefängnismauern fielen eine schöne Utopie! Doch in diesem Gefängnis waren die Mauern
ein fragiler Schutz, dahinter saßen Gefangene, die es nicht wagen konnten, das
Gefängnis zu verlassen, weil sie wie von Israel angekündigt in Freiheit sofort
liquidiert würden.
Sophia Deeg
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