SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2006, Seite 20

"Kurtlar Vadisi, Tal der Wölfe"

Zum Hintergrund eines Films, der in Deutschland ein großes Echo fand.

Tal der Wölfe (Kurtlar Vadisi), Türkei 2006, Regie: Serdar Akar. Mit Necati Sasmaz, Billy Zane, Bergüzar Korel, Ghassan Massoud, Gary Busey u.a. Bereits angelaufen.

Der türkische Film Kurtlar Vadisi (Tal der Wölfe) sorgt in Deutschland für Schlagzeilen. Die "Wölfe", die heldenhaft im Irak Geiseln befreien und damit dem großen Aggressor USA trotzen, fanden auch in den linken Zeitungen dieses Landes ein Echo. So forderte Jürgen Elsässer in der Zeitung Junge Welt die Linke auf, den Film als ein Diskussionsforum gegen die US-Amerikanische Politik im Nahen Osten zu nutzen und ihn gegenüber bürgerlichen Attacken zu verteidigen. Zunächst muss jedoch die Frage gestellt werden, um welches Tal es hier geht und wer überhaupt diese "Wölfe" sind.
Kurtlar Vadisi erscheint in den türkischen Fernsehkanälen als Serie und behandelt die Beziehungen zwischen Mafia und Staat. Dabei wird sowohl der türkische Nationalismus als auch die türkische Mafia, solange sie im Sinne des türkischen Staates handelt, sehr positiv dargestellt. Überhaupt werden Mafia-Strukturen als eine notwendige Organisationsform für die Verteidigung des Nationalstaats dargestellt. Geheimdienstagenten und Mitglieder der Spezialeinheiten operieren mit den kriminellen Banden und Mafiaorganisationen, um die Interessen des Staates gegen die ausländischen Mafiosi und andere Staaten zu schützen.
Dabei ist der Name des Films auch nicht zufällig. Denn der Bezug auf die faschistische Partei MHP (Partei der Nationalen Bewegung), die in Europa unter den Namen "Graue Wölfe" bekannt ist, ist unverkennbar. Hunderte Linke und progressive Menschen wurden von den "Grauen Wölfe" in der Türkei umgebracht. Die Angriffe der türkischen Faschisten auf die progressiven Kreise setzten sich auch in Deutschland fort. So wurden linke migrantische Gewerkschafter, Lehrer, Angehörige von "Minderheiten" (Kurden, Aleviten etc.) durch die "Grauen Wölfe" bedroht oder getötet.
In der nahen Vergangenheit wurde durch eine Reihe von mysteriösen Zufällen die Zusammenarbeit zwischen Mafia, Sicherheitskräften und Politik aufgedeckt. Am 3.November 1996 kam es in der Ortschaft Susurluk in der Westtürkei zu einem Verkehrsunfall, der die Kooperation zwischen dem türkischen Staatsapparat, den faschistischen "Grauen Wölfen" und der Drogenmafia ans Tageslicht brachte. In einer gepanzerten Mercedes- Limousine, die mit einem Lastwagen zusammengestoßen war, saßen ein von Interpol gesuchter Mafiaboss und MHP-Aktivist, der Polizeichef und ein Parlamentsabgeordneter. In diesem Zusammenhang redeten die Tageszeitungen von der "Dreieckbeziehung zwischen Mafia, Polizei und Politik", die auch in der Bevölkerung zu Protestaktionen führte.
US-Amerikanische Soldaten stürmten im Juli 2003 einen türkischen Stützpunkt im Irak und steckten die Köpfe der türkischen Soldaten in Säcke, so wie sie auch die irakischen Soldaten behandeln. Vor Scham verübte danach ein hoher Offizier Selbstmord.
Vor einigen Wochen wurden zwei Agenten des Militärgeheimdienstes JITEM nach einem Bombenanschlag auf eine Buchhandlung in der Kleinstadt Semdinli in Türkisch-Kurdistan auf frischer Tat von der Bevölkerung ertappt. In dem Fluchtauto wurden Waffen, weitere Anschlagspläne und eine Todesliste mit den Namen kurdischer Aktivisten gefunden.
Diese und ähnliche Fälle führten dazu, dass der Staatsapparat aber vor allem das Militär in der Bevölkerung sehr an Ansehen einbüßten. Dabei muss man wissen, dass der türkische Staat hauptsächlich auf drei Säulen basiert: dem türkische Nationalismus, der sunnitischen Konfession des Islams und dem Militarismus.
Das Establishment nutzt neben den Printmedien zunehmend Fernsehen und Kino, um dem Imageverlust zu begegnen. In diesem Zusammenhang ist der Film Tal der Wölfe der Versuch, im internationalen Maßstab das Ansehen des Militärs bzw. des türkischen Staates zu verbessern. Somit kann die Forderung, auf der Grundlage dieses Films eine Diskussion über den US-Imperialismus anzuregen, nur auf einen pauschalen Antiamerikanismus zurückgeführt werden. Dass eine Diskussion auf solchen Grundlagen für die Linke keine Basis für neue Aktionsformen bietet, liegt auf der Hand.
Es geht hier also um andere Wölfe und andere Täler. Dass der Name der schönen Tiere in den faschistisch-ideologischen Schmutz gezogen wird, sollte zumindest für die Tierschutzvereine Grund genug sein, um dagegen zu klagen.

Taylan Dagci

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