SoZ - Sozialistische Zeitung |
Wir kennen das Szenario aus Casablanca und aus der Verfilmung von Marguerite
Duras Roman Der Liebhaber: Die herzzerreißende Trennung der Liebenden, die Rückkehr in
sichere Verhältnisse und die Unsicherheit, ob der Verlust endgültig ist. In Tom Bradbys Roman Der
Herr des Regens besteigt der junge Polizist Richard Field fluchtartig das Schiff, das ihn aus Shanghai nach
Europa zurückbringen soll. Wird er seine Geliebte widersehen?
Richard Field ist 1926 aus England in das
britische Konzessionsgebiet von Shanghai gekommen, um den elenden familiären und sozialen Bedingungen
seiner Heimat den Rücken zu kehren. Es ist das Jahr nach dem britischen Massaker an Studenten und ein
Jahr vor dem Blutbad an der städtischen Arbeiterbewegung. Überall in der chinesischen Metropole
agitiert die junge kommunistische Partei gegen die koloniale Besetzung, gegen die ausländischen
Fabrikbesitzer, die sich der Henkertätigkeiten lokaler Banden bedienen, um die heraufziehende Revolte
zu ersticken.
Der unerfahrene Field wird den Polizisten
Chen und Caprisi, den es aus Chicago nach China verschlagen hat, an die Seite gestellt, um einen Mord an
einer jungen Frau aufzuklären. Das Opfer, Lena Orlow, war aus dem revolutionären Russland
geflohen. Ihr erging es wie Hunderten von Frauen, die aus zaristischen Offiziers- und Adelsfamilien
stammend, ohne Ausbildung und ohne Pass, als "Tänzerinnen" ihren Körper verkaufen
müssen. In den von den Triaden organisierten Clubs müssen sie, um zu Überleben, der
kolonialen Beamtenschaft und industriellen Dandys sexuelle Gefälligkeiten erweisen und erfahren von
diesen nichts als Verachtung. Ist es diese Erniedrigung, die Lena Orlow und ihre Freundin Natascha Medwedew
veranlasste, regelmäßig an Treffen der kommunistisch orientierten Zeitung New Shanghai Life zu
gehen?
Aldous Huxleys Charakterisierung Shanghais
der 20er Jahre, er habe "in keiner Stadt je einen solchen Eindruck von einem dichten Morast üppig
verflochtenen Lebens" gefunden, hat Tom Bradby gekonnt aufgenommen: Die Arroganz der Kolonialherren,
die Auflösung bürgerlicher Moralvorstellungen, die nahezu ohne Fassade der Wohlanständigkeit
auskommt, der unbeugsame Wille zur individuellen und kollektiven Ausplünderung prägen die
Atmosphäre ebenso wie die Ahnung, dass dies zum Aufruhr führen wird.
Udo Bonn
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