SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2006, Seite 24

Vor 60 Jahren vereinigten sich KPD und SPD zur SED

Utopie und Mythos linker Einheit

Sobald die ersten Anzeichen einer Kooperation zwischen WASG und PDS auftauchten, zogen Kritiker dieser Zusammenarbeit einen Vorgang von tatsächlich historischer Bedeutung und großem Symbolwert heran, um ihre Ablehnung der PDS zu legitimieren: Die "Zwangsvereinigung" von KPD und SPD im Frühjahr 1946. Heute liegt dieses Ereignis bald sechzig Jahre zurück, und noch immer wird um den Vorgang hoch emotional gestritten.

Nicht etwa deshalb, weil es der historischen Forschung nicht gelungen wäre, die Vorgänge und Zusammenhänge einigermaßen aufzuklären. Im Gegenteil, wenige Abschnitte der Nachkriegsgeschichte erfreuten sich so großer professioneller Aufmerksamkeit der Historikerzunft. Und der heftige Widerstreit der politischen Richtungen hat sich dabei durchaus positiv auf die Sichtung und Auswertung der Aktenbestände ausgewirkt, wenngleich auf eine unabsehbare Zeit noch neue Aktenfunde in den Archiven der Russischen Föderation zu erwarten sind.
Auch wenn also von einem Abschluss der Debatte — für Leninisten: einer "absoluten Wahrheit" — natürlich keine Rede sein kann, liegen doch genug "relative", aber deswegen nicht weniger objektive Ergebnisse vor. Dass der Streit dennoch nicht verstummen mag, liegt an den immer neuen Interessen, die in das Thema hinein getragen werden. Immer wieder erliegen Menschen der Versuchung, sich in die klassischen Gewänder einer großen Vergangenheit zu verkleiden und die Rollen einer geschichtlichen Vorlage nachzuspielen. Gerade gelernte Marxisten sollten aber die bildhaft einprägsame Warnung des alten Dialektikers Heraklit nicht außer Acht lassen, wonach man nicht zweimal in denselben Fluß steigen kann.

Der äußere Rahmen der Ereignisse ist rasch erzählt: Bereits einen Monat nach der militärischen Zerschlagung des faschistischen Deutschland ließ die sowjetische Besatzungsmacht in ihrer Zone die Gründung politischer Parteien zu. Als erste waren — selbstverständlich — die von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) protegierten Kommunisten um Walter Ulbricht am Start. Doch nur vier Tage später zog am 15.Juni 1945 eine Gruppe von Sozialdemokraten mit Otto Grotewohl nach. Es folgten die bürgerlichen Parteien.
In den anderen Besatzungszonen sollte es noch Monate dauern, bis überregionale Parteiorganisationen zugelassen wurde. Von daher war die Symbolwirkung der neuen Parteiorganisationen in der SBZ nicht zu unterschätzen. Sie trug dazu bei, in kurzer Zeit die lokal sehr unterschiedlichen Versuche zur Neubildung der Arbeiterbewegung zu vereinheitlichen. Anfangs hatte es mit Antifaausschüssen, Räten und Komitees, lokalen Parteien und Gewerkschaften scheinbar alles gegeben, was bisher in der deutschen Arbeiterbewegung undenkbar schien: eine Überwindung der Grenzen zwischen den proletarischen Parteien, der Grenzen zwischen Gewerkschaft und Partei sowie zwischen Gewerkschaften und Betriebsräten. Doch diese Zeit quasisyndikalistischen Wildwuchses war rasch beendet. Das "Wunder der Organisation" (Theo Pirker) bei der Neubildung der Gewerkschaften ließ die Normalisierung der Interessenvertretung zunächst kaum als Verlust erscheinen, zumal die Stellung der Betriebsräte noch einige Jahre sehr stark blieb.
Die "Wiederherstellung" der alten politischen Parteien SPD und KPD war konfliktreicher und stärker umstritten. Sie rührte an das Trauma der Zerschlagung der Arbeiterbewegung im Jahr 1933, die von Sozialdemokraten wie Kommunisten gleichermaßen auf die fehlende Aktionseinheit der Arbeiterklasse zurückgeführt wurde. Die gemeinsame Verfolgungsgeschichte von aktiven Kommunisten und Sozialdemokraten hatte dann an vielen Orten die Absicht bestärkt, künftig gemeinsam zu handeln. Doch in den Schrecken des Kriegsendes wurde auch die Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung komplett: Bis auf wenige lokale Ausnahme gelang es nicht, einen sichtbaren Beitrag zur Befreiung Deutschlands vom Faschismus zu leisten.
Aus diesen Niederlagen und Enttäuschungen bot die Losung der Einheit der Arbeiterklasse einen Ausweg: Sie konnte ebenso die Fehlschläge der Vergangenheit erklären wie eine Perspektive für die Zukunft weisen. Allerdings eine utopische Perspektive, die keinesfalls zu realisieren war. Denn die positive Zielstellung, "das Beste aus beiden Parteien zu vereinen", sagte nichts darüber aus, woran das jeweils "Beste" zu erkennen war und ob man es überhaupt kombinieren könnte.
Anfangs saßen die Schrecken der Vergangenheit noch so tief, dass selbst erklärte und organisierte Kritiker der beiden Großorganisationen SPD und KPD nach 1945 ganz selbstverständlich in die wiedererstandenen Organisationskerne eintraten und sich vielfach für die Einheit einsetzten — SAPler, KPOler, Trotzkisten und Rätekommunisten gleichermaßen. Und — was vielleicht noch erstaunlicher ist — selbst als die anfänglichen Einheitsbestrebungen sich zerschlugen, wurden die alten Abweichler noch in die neuen-alten Parteien aufgenommen. Daneben aber gab es in beiden Organisationen auch eine Vielzahl von Genossen, die keinesfalls auf ihre Vorbehalten gegenüber den "Sozis" oder den "Kozis" verzichten wollte,

Für den weiteren Verlauf waren aber nicht die alten deutschen Fraktionskämpfe, sondern die neue weltpolitische Lage entscheidend: Es waren die Besatzungsmächte, die nach Maßgabe ihrer Interessen den Rahmen setzten. Es ist kein Zufall, dass kein Autor in Deutschland in der Lage war, diese neue Situation nüchtern und präzise zu schildern. Wohl aber der im kubanischen Exil weilende Theoretiker der KPO, August Thalheimer:
"Der Ausgang des zweiten Weltkrieges hat die weltpolitische Konstellation äußerst vereinfacht und damit verschärft ... Im imperialistischen Lager sind selbstverständlich nicht alle Gegensätze verschwunden, aber das grundlegende Ergebnis ist das Überwiegen ihrer Einheit gegenüber den beiden noch verbliebenen Gruppen: Dem Sowjetstaat mit seiner Einflusssphäre und der Gruppe der Kolonial- und Halbkolonialvölker ... Die Elbe, Neisse und Adria sind nicht nur politische, sie sind zugleich gesellschaftliche Grenzen: Die Grenzen zweier gegensätzlicher Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme."
Die neue Lage brachte er konsequent auf eine Formel: die "Verschmelzung von Außen- und Innenpolitik". Diese Verschmelzung bedeutete, dass man in "beiden weltpolitischen Hauptlagern" bestrebt war, "die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen Zustände der von jedem beherrschten oder vorwiegend beeinflussten Staaten im Sinne des eigenen Gesellschaftssystems zu lenken und zu gestalten." (August Thalheimer: Grundlinien und Grundbegriffe der Weltpolitik nach dem 2.Weltkrieg.) Allerdings gab auch diese präzise Beschreibung noch keine Orientierung, wie man sich praktisch zu den resultierenden Widersprüchen verhalten sollte.

In den Westzonen war klar, dass für eine Fortführung des deutschen Kapitalismus ein starke linke Partei nur als Hindernis angesehen werden konnte. Früh und konsequent unterstützte die britische Besatzungsmacht den Kurs Kurt Schumachers gegen eine Vereinigung. In der SBZ dagegen musste der SMAD an einer effektiven Einbindung der größten deutschen Arbeiterpartei, der SPD, gelegen sein.
Die größte Partei war die SPD. Bis Dezember 1945 stieg ihre Mitgliederzahl in der SBZ auf 420070, während die KPD im Wettlauf um neue Genossen nur auf 372764 kam. Umso entschiedener drängten die sowjetische Seite und die KPD auf eine Vereinigung, nicht zuletzt, um die Last des Stigmas der "Russenpartei" breiter zu verteilen. Auf allen Ebenen und mit allen Mitteln wurde in den ostdeutschen Ländern die Vereinigung vorangetrieben. Es waren diese Praktiken, die dem Gesamtprozess den Namen "Zwangsvereinigung" einbrachten. Im Westen wurde die administrative Verhinderung lokaler Versuche zur Vereinigung nicht mit gleicher Schärfe verurteilt. Hier begann schon im Jahr 1946 jener Gegenmythos, der in dem einprägsamen Buchtitel von Albrecht Kaden ausformuliert wurde: Einheit oder Freiheit (Bonn 1964).
Zu Unrecht. Denn selbst in Berlin, der Ost- West-Stadt und dem Zentrum des Konflikts gelang der Coup einer Urabstimmung gegen die sofortige Vereinigung nur dadurch, dass als Alternative die Frage aufgestellt wurde. "Bist du für ein Bündnis beider Parteien, welches gemeinsame Arbeit sichert und Bruderkampf ausschließt?" Das Vorgehen ist bekannt: Plebiszite sind durch die geschickte Fragestellung zum Erfolg verdammt.
Für den Ausgang der beiden Parteitage von SPD und KPD in Ostberlin am 19./20.April 1946 hatte die Niederlage der Einheitsbefürworter in Westberlin keine große Bedeutung. Wiewohl formal und der guten Absicht nach als gesamtdeutsche Partei angelegt, war die SED eine Partei für die Ausbildung eines sozialistischen Systems sowjetischen Typs in Ostdeutschland. Die Utopie einer Einheit der Arbeiterparteien verwandelte sich in den Gründungsmythos der DDR-Staatspartei, die personell von KPD-Kadern aus dem sowjetische Exil dominiert wurde. Dieser Mythos war aber so präsent, dass noch im Zusammenbruch der DDR Ende 1989 die Gründung einer sozialdemokratischen und der kommunistischen Plattform in weiten Teilen der Partei als Verrat am positiven, umfassenden Erbe der Vereinigung gesehen wurde.

Damit sind wir fast wieder in der Gegenwart angelangt. Denn wieder weht der Wind der Vereinigung der Linken durch das Land. Wieder wird mit utopischen Versprechen hantiert, etwa der Versicherung, die Gründe für die Spaltung der Linken in der Vergangenheit seien entfallen. (Programmatische Eckpunkte für eine neue Linkspartei, 23.Februar 2006). Und wieder hat die politische Realität mit diesen Versprechen wenig zu tun: vereinen sollen sich zwei Parteien, die sich schon aufgrund der unterschiedlichen Organisationsgebiete in Ost und West kaum kennen. Wieder geht es darum, nicht verarbeitete Niederlagen — des realen Sozialismus im Osten, der realen Sozialdemokratie im Westen — unter dem großen Mantel der Einheit verschwinden zu lassen. Und wieder ist Berlin der Kulminationspunkt aller Konflikte.
Damit aber sind die Analogien auch schon erschöpft. Eine neue Lage erfordert auch heute neue Lösungen. Wie immer müssen diese neuen Lösungen aber von den "alten" Menschen gefunden werden, denn andere sind nicht da. Sonst wird die Utopie wieder einen Mythos hervorbringen, ein Märchen, das Herrschaft — und Regierungen — legitimiert.

Sebastian Gerhardt

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