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Sobald die ersten Anzeichen einer Kooperation zwischen WASG und PDS
auftauchten, zogen Kritiker dieser Zusammenarbeit einen Vorgang von tatsächlich historischer Bedeutung
und großem Symbolwert heran, um ihre Ablehnung der PDS zu legitimieren: Die
"Zwangsvereinigung" von KPD und SPD im Frühjahr 1946. Heute liegt dieses Ereignis bald
sechzig Jahre zurück, und noch immer wird um den Vorgang hoch emotional gestritten.
Nicht etwa deshalb, weil es der historischen Forschung nicht gelungen wäre, die Vorgänge
und Zusammenhänge einigermaßen aufzuklären. Im Gegenteil, wenige Abschnitte der
Nachkriegsgeschichte erfreuten sich so großer professioneller Aufmerksamkeit der Historikerzunft. Und
der heftige Widerstreit der politischen Richtungen hat sich dabei durchaus positiv auf die Sichtung und
Auswertung der Aktenbestände ausgewirkt, wenngleich auf eine unabsehbare Zeit noch neue Aktenfunde in
den Archiven der Russischen Föderation zu erwarten sind.
Auch wenn also von einem Abschluss der
Debatte für Leninisten: einer "absoluten Wahrheit" natürlich keine Rede
sein kann, liegen doch genug "relative", aber deswegen nicht weniger objektive Ergebnisse vor.
Dass der Streit dennoch nicht verstummen mag, liegt an den immer neuen Interessen, die in das Thema hinein
getragen werden. Immer wieder erliegen Menschen der Versuchung, sich in die klassischen Gewänder einer
großen Vergangenheit zu verkleiden und die Rollen einer geschichtlichen Vorlage nachzuspielen. Gerade
gelernte Marxisten sollten aber die bildhaft einprägsame Warnung des alten Dialektikers Heraklit nicht
außer Acht lassen, wonach man nicht zweimal in denselben Fluß steigen kann.
Der äußere Rahmen der Ereignisse ist rasch erzählt: Bereits einen Monat nach der
militärischen Zerschlagung des faschistischen Deutschland ließ die sowjetische Besatzungsmacht in
ihrer Zone die Gründung politischer Parteien zu. Als erste waren selbstverständlich
die von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) protegierten Kommunisten um
Walter Ulbricht am Start. Doch nur vier Tage später zog am 15.Juni 1945 eine Gruppe von
Sozialdemokraten mit Otto Grotewohl nach. Es folgten die bürgerlichen Parteien.
In den anderen Besatzungszonen sollte es
noch Monate dauern, bis überregionale Parteiorganisationen zugelassen wurde. Von daher war die
Symbolwirkung der neuen Parteiorganisationen in der SBZ nicht zu unterschätzen. Sie trug dazu bei, in
kurzer Zeit die lokal sehr unterschiedlichen Versuche zur Neubildung der Arbeiterbewegung zu
vereinheitlichen. Anfangs hatte es mit Antifaausschüssen, Räten und Komitees, lokalen Parteien
und Gewerkschaften scheinbar alles gegeben, was bisher in der deutschen Arbeiterbewegung undenkbar schien:
eine Überwindung der Grenzen zwischen den proletarischen Parteien, der Grenzen zwischen Gewerkschaft
und Partei sowie zwischen Gewerkschaften und Betriebsräten. Doch diese Zeit quasisyndikalistischen
Wildwuchses war rasch beendet. Das "Wunder der Organisation" (Theo Pirker) bei der Neubildung der
Gewerkschaften ließ die Normalisierung der Interessenvertretung zunächst kaum als Verlust
erscheinen, zumal die Stellung der Betriebsräte noch einige Jahre sehr stark blieb.
Die "Wiederherstellung" der alten
politischen Parteien SPD und KPD war konfliktreicher und stärker umstritten. Sie rührte an das
Trauma der Zerschlagung der Arbeiterbewegung im Jahr 1933, die von Sozialdemokraten wie Kommunisten
gleichermaßen auf die fehlende Aktionseinheit der Arbeiterklasse zurückgeführt wurde. Die
gemeinsame Verfolgungsgeschichte von aktiven Kommunisten und Sozialdemokraten hatte dann an vielen Orten
die Absicht bestärkt, künftig gemeinsam zu handeln. Doch in den Schrecken des Kriegsendes wurde
auch die Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung komplett: Bis auf wenige lokale Ausnahme gelang es
nicht, einen sichtbaren Beitrag zur Befreiung Deutschlands vom Faschismus zu leisten.
Aus diesen Niederlagen und
Enttäuschungen bot die Losung der Einheit der Arbeiterklasse einen Ausweg: Sie konnte ebenso die
Fehlschläge der Vergangenheit erklären wie eine Perspektive für die Zukunft weisen.
Allerdings eine utopische Perspektive, die keinesfalls zu realisieren war. Denn die positive Zielstellung,
"das Beste aus beiden Parteien zu vereinen", sagte nichts darüber aus, woran das jeweils
"Beste" zu erkennen war und ob man es überhaupt kombinieren könnte.
Anfangs saßen die Schrecken der
Vergangenheit noch so tief, dass selbst erklärte und organisierte Kritiker der beiden
Großorganisationen SPD und KPD nach 1945 ganz selbstverständlich in die wiedererstandenen
Organisationskerne eintraten und sich vielfach für die Einheit einsetzten SAPler, KPOler,
Trotzkisten und Rätekommunisten gleichermaßen. Und was vielleicht noch erstaunlicher ist
selbst als die anfänglichen Einheitsbestrebungen sich zerschlugen, wurden die alten Abweichler
noch in die neuen-alten Parteien aufgenommen. Daneben aber gab es in beiden Organisationen auch eine
Vielzahl von Genossen, die keinesfalls auf ihre Vorbehalten gegenüber den "Sozis" oder den
"Kozis" verzichten wollte,
Für den weiteren Verlauf waren aber nicht die alten deutschen Fraktionskämpfe, sondern
die neue weltpolitische Lage entscheidend: Es waren die Besatzungsmächte, die nach Maßgabe ihrer
Interessen den Rahmen setzten. Es ist kein Zufall, dass kein Autor in Deutschland in der Lage war, diese
neue Situation nüchtern und präzise zu schildern. Wohl aber der im kubanischen Exil weilende
Theoretiker der KPO, August Thalheimer:
"Der Ausgang des zweiten Weltkrieges
hat die weltpolitische Konstellation äußerst vereinfacht und damit verschärft ... Im
imperialistischen Lager sind selbstverständlich nicht alle Gegensätze verschwunden, aber das
grundlegende Ergebnis ist das Überwiegen ihrer Einheit gegenüber den beiden noch verbliebenen
Gruppen: Dem Sowjetstaat mit seiner Einflusssphäre und der Gruppe der Kolonial- und
Halbkolonialvölker ... Die Elbe, Neisse und Adria sind nicht nur politische, sie sind zugleich
gesellschaftliche Grenzen: Die Grenzen zweier gegensätzlicher Wirtschafts- und
Gesellschaftssysteme."
Die neue Lage brachte er konsequent auf
eine Formel: die "Verschmelzung von Außen- und Innenpolitik". Diese Verschmelzung bedeutete,
dass man in "beiden weltpolitischen Hauptlagern" bestrebt war, "die gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen, politischen Zustände der von jedem beherrschten oder vorwiegend beeinflussten
Staaten im Sinne des eigenen Gesellschaftssystems zu lenken und zu gestalten." (August Thalheimer:
Grundlinien und Grundbegriffe der Weltpolitik nach dem 2.Weltkrieg.) Allerdings gab auch diese präzise
Beschreibung noch keine Orientierung, wie man sich praktisch zu den resultierenden Widersprüchen
verhalten sollte.
In den Westzonen war klar, dass für eine Fortführung des deutschen Kapitalismus ein
starke linke Partei nur als Hindernis angesehen werden konnte. Früh und konsequent unterstützte
die britische Besatzungsmacht den Kurs Kurt Schumachers gegen eine Vereinigung. In der SBZ dagegen musste
der SMAD an einer effektiven Einbindung der größten deutschen Arbeiterpartei, der SPD, gelegen
sein.
Die größte Partei war die SPD.
Bis Dezember 1945 stieg ihre Mitgliederzahl in der SBZ auf 420070, während die KPD im Wettlauf um neue
Genossen nur auf 372764 kam. Umso entschiedener drängten die sowjetische Seite und die KPD auf eine
Vereinigung, nicht zuletzt, um die Last des Stigmas der "Russenpartei" breiter zu verteilen. Auf
allen Ebenen und mit allen Mitteln wurde in den ostdeutschen Ländern die Vereinigung vorangetrieben.
Es waren diese Praktiken, die dem Gesamtprozess den Namen "Zwangsvereinigung" einbrachten. Im
Westen wurde die administrative Verhinderung lokaler Versuche zur Vereinigung nicht mit gleicher
Schärfe verurteilt. Hier begann schon im Jahr 1946 jener Gegenmythos, der in dem einprägsamen
Buchtitel von Albrecht Kaden ausformuliert wurde: Einheit oder Freiheit (Bonn 1964).
Zu Unrecht. Denn selbst in Berlin, der Ost-
West-Stadt und dem Zentrum des Konflikts gelang der Coup einer Urabstimmung gegen die sofortige Vereinigung
nur dadurch, dass als Alternative die Frage aufgestellt wurde. "Bist du für ein Bündnis
beider Parteien, welches gemeinsame Arbeit sichert und Bruderkampf ausschließt?" Das Vorgehen ist
bekannt: Plebiszite sind durch die geschickte Fragestellung zum Erfolg verdammt.
Für den Ausgang der beiden Parteitage
von SPD und KPD in Ostberlin am 19./20.April 1946 hatte die Niederlage der Einheitsbefürworter in
Westberlin keine große Bedeutung. Wiewohl formal und der guten Absicht nach als gesamtdeutsche Partei
angelegt, war die SED eine Partei für die Ausbildung eines sozialistischen Systems sowjetischen Typs
in Ostdeutschland. Die Utopie einer Einheit der Arbeiterparteien verwandelte sich in den
Gründungsmythos der DDR-Staatspartei, die personell von KPD-Kadern aus dem sowjetische Exil dominiert
wurde. Dieser Mythos war aber so präsent, dass noch im Zusammenbruch der DDR Ende 1989 die
Gründung einer sozialdemokratischen und der kommunistischen Plattform in weiten Teilen der Partei als
Verrat am positiven, umfassenden Erbe der Vereinigung gesehen wurde.
Damit sind wir fast wieder in der Gegenwart angelangt. Denn wieder weht der Wind der Vereinigung
der Linken durch das Land. Wieder wird mit utopischen Versprechen hantiert, etwa der Versicherung, die
Gründe für die Spaltung der Linken in der Vergangenheit seien entfallen. (Programmatische
Eckpunkte für eine neue Linkspartei, 23.Februar 2006). Und wieder hat die politische Realität mit
diesen Versprechen wenig zu tun: vereinen sollen sich zwei Parteien, die sich schon aufgrund der
unterschiedlichen Organisationsgebiete in Ost und West kaum kennen. Wieder geht es darum, nicht
verarbeitete Niederlagen des realen Sozialismus im Osten, der realen Sozialdemokratie im Westen
unter dem großen Mantel der Einheit verschwinden zu lassen. Und wieder ist Berlin der
Kulminationspunkt aller Konflikte.
Damit aber sind die Analogien auch schon
erschöpft. Eine neue Lage erfordert auch heute neue Lösungen. Wie immer müssen diese neuen
Lösungen aber von den "alten" Menschen gefunden werden, denn andere sind nicht da. Sonst
wird die Utopie wieder einen Mythos hervorbringen, ein Märchen, das Herrschaft und Regierungen
legitimiert.
Sebastian Gerhardt
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