SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2006, Seite 04

Kolumne von Thies Gleiss

Linke SPD, rechte SPD, Hubertus Schmoldt

Wir wünschen ihm gesundheitlich selbstverständlich nur das Beste. Aber in seltener Einigkeit mit dem größten Armleuchter der deutschen Politik, Guido Westerwelle, vermuten wir hinter dem plötzlichen Rücktritt von Matthias Platzeck nicht nur körperliche Schwächen. Als er mit dem wundersamen 99%-Ergebnis gewählt wurde, schrieben wir an dieser Stelle: "Dieser Herr Platzeck wurde gewählt, nicht obwohl er erst zehn Jahre Mitglied der Partei ist, sondern weil. Er verkörpert in einer unverbrauchten Weise die Radikalität der Durchschnittlichkeit, die gemeinhin die Hauptvoraussetzung für das Amt des SPD-Führers in den letzten Jahrzehnten ist, und paart diese erfolgreich mit der heute noch mehr gewünschten Eigenschaft, möglichst wenig mit der realen SPD in Verbindung gebracht zu werden … Wir wagen mal die Prognose, dass sich Genosse Platzeck nicht lange dort halten wird, wo er jetzt hingespült wurde. Und dies obwohl jeder mögliche Nachfolger oder Nachfolgerin noch schlimmer zu werden droht." Nun ist er weg, und nach zwei Tagen Heuchelei scheint ihn keiner mehr zu vermissen.
Angesichts seines Nachfolgers, des Herrn Beck aus Mainz, der trotz zwanzigtausend Stimmer weniger mit der absoluten Mehrheit aus der rheinland- pfälzischen Landtagswahl als Sieger hervorging, setzen wir noch eins drauf: bei der SPD scheint das Amt des Vorsitzenden komplett zur Disposition zu stehen. Diese älteste Partei der deutschen Arbeiterbewegung ist bei einem Zustand angelangt, wo die Grünen, die niemals den realen Bezug zur Arbeiterbewegung gefunden hatten, fast zeitlebens waren. Niemand will, kann, darf oder sollte Vorsitzender werden, das Amt wird verschoben auf irgendwelche Leute, die, materiell gut versorgt noch einen Zweittitel verkraften. Die Kultur der SPD ist nur noch die eines Haufens von Pöstchenjägern in Parlament und Regierung. Die Parteiämter Generalsekretär — wer bitte kennt selbst in der SPD den Genossen Heil? — und Vorsitzender sind attraktiv wie schales Bier.
In dieser Kultur ohne links und rechts ragt einer durch tiefe Kenntnis heraus: der Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie, Hubertus Schmoldt. Er antwortet in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf die Frage "In Frankreich haben die Bürger ihre Regierung mit Streiks gegen Einschnitte beim Kündigungsschutz zum Einlenken gezwungen … Können die Deutschen nicht richtig streiken?" mit einer schönen Kulturkritik: "…die Franzosen haben eine andere Streit- und Streikkultur als wir. Dort gehört die öffentliche Auseinandersetzung in Form von Arbeitskämpfen zur politischen Kultur … Ich warne allerdings davor, die Streikkultur von einem Land auf ein anderes übertragen zu wollen. Jeder muss innerhalb seiner Kultur eigene Lösungen finden."
Da sind wir aber mal gespannt, wie mit deutscher Kultur das den französischen Vorhaben sehr ähnliche Modell der "zweijährigen Probezeit" ohne Kündigungsschutz für alle, das die Große Koalition plant, bekämpft werden soll. Die schmoldtsche Ansicht ist jedenfalls ziemlich deckungsgleich mit dem Ruf der Arbeitgeberverbände, dass Streiks und Warnstreiks nicht mehr "zeitgemäß" seien. Zu den so bitter vermissten Solidaritätsstreiks für die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst hat Schmoldt folgendes zu sagen: "Wenn Gewerkschaften erniedrigt oder an den Rand gedrängt werden, sind das grundsätzliche Konflikte, in denen andere Gewerkschaften solidarisch sein müssen. Dieser Punkt ist noch nicht erreicht." Stattdessen sollten sich die Gewerkschaften für Kombilöhne und gegen einen einheitlichen Mindestlohn einsetzen. Und zu guter letzt gibt es die volle Breitseite gegen die Linkspartei. In deren Programm "steht als Ziel der Sozialismus. Im Sozialismus haben Gewerkschaften erkennbar keine Rolle gespielt. Warum einige meiner Kollegen das so erstrebenswert finden, verstehe ich bis heute nicht." Kann der Kollege Schmoldt nicht sein Gewerkschaftsführungsamt aufgeben, notfalls mit sanfter Gewalt von unten, und stattdessen Vorsitzender der SPD werden? Dreimal Null ist Null , bleibt Null, singen die Karnevalisten im Rheinland…

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