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Wir wünschen ihm gesundheitlich selbstverständlich nur das Beste.
Aber in seltener Einigkeit mit dem größten Armleuchter der deutschen Politik, Guido Westerwelle,
vermuten wir hinter dem plötzlichen Rücktritt von Matthias Platzeck nicht nur körperliche
Schwächen. Als er mit dem wundersamen 99%-Ergebnis gewählt wurde, schrieben wir an dieser Stelle:
"Dieser Herr Platzeck wurde gewählt, nicht obwohl er erst zehn Jahre Mitglied der Partei ist,
sondern weil. Er verkörpert in einer unverbrauchten Weise die Radikalität der
Durchschnittlichkeit, die gemeinhin die Hauptvoraussetzung für das Amt des SPD-Führers in den
letzten Jahrzehnten ist, und paart diese erfolgreich mit der heute noch mehr gewünschten Eigenschaft,
möglichst wenig mit der realen SPD in Verbindung gebracht zu werden … Wir wagen mal die
Prognose, dass sich Genosse Platzeck nicht lange dort halten wird, wo er jetzt hingespült wurde. Und
dies obwohl jeder mögliche Nachfolger oder Nachfolgerin noch schlimmer zu werden droht." Nun ist
er weg, und nach zwei Tagen Heuchelei scheint ihn keiner mehr zu vermissen.
Angesichts seines Nachfolgers, des Herrn
Beck aus Mainz, der trotz zwanzigtausend Stimmer weniger mit der absoluten Mehrheit aus der rheinland-
pfälzischen Landtagswahl als Sieger hervorging, setzen wir noch eins drauf: bei der SPD scheint das
Amt des Vorsitzenden komplett zur Disposition zu stehen. Diese älteste Partei der deutschen
Arbeiterbewegung ist bei einem Zustand angelangt, wo die Grünen, die niemals den realen Bezug zur
Arbeiterbewegung gefunden hatten, fast zeitlebens waren. Niemand will, kann, darf oder sollte Vorsitzender
werden, das Amt wird verschoben auf irgendwelche Leute, die, materiell gut versorgt noch einen Zweittitel
verkraften. Die Kultur der SPD ist nur noch die eines Haufens von Pöstchenjägern in Parlament und
Regierung. Die Parteiämter Generalsekretär wer bitte kennt selbst in der SPD den Genossen
Heil? und Vorsitzender sind attraktiv wie schales Bier.
In dieser Kultur ohne links und rechts ragt
einer durch tiefe Kenntnis heraus: der Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie, Hubertus Schmoldt. Er
antwortet in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf die Frage "In Frankreich haben die
Bürger ihre Regierung mit Streiks gegen Einschnitte beim Kündigungsschutz zum Einlenken gezwungen
… Können die Deutschen nicht richtig streiken?" mit einer schönen Kulturkritik:
"…die Franzosen haben eine andere Streit- und Streikkultur als wir. Dort gehört die
öffentliche Auseinandersetzung in Form von Arbeitskämpfen zur politischen Kultur … Ich
warne allerdings davor, die Streikkultur von einem Land auf ein anderes übertragen zu wollen. Jeder
muss innerhalb seiner Kultur eigene Lösungen finden."
Da sind wir aber mal gespannt, wie mit
deutscher Kultur das den französischen Vorhaben sehr ähnliche Modell der "zweijährigen
Probezeit" ohne Kündigungsschutz für alle, das die Große Koalition plant, bekämpft
werden soll. Die schmoldtsche Ansicht ist jedenfalls ziemlich deckungsgleich mit dem Ruf der
Arbeitgeberverbände, dass Streiks und Warnstreiks nicht mehr "zeitgemäß" seien. Zu
den so bitter vermissten Solidaritätsstreiks für die Kolleginnen und Kollegen im
öffentlichen Dienst hat Schmoldt folgendes zu sagen: "Wenn Gewerkschaften erniedrigt oder an den
Rand gedrängt werden, sind das grundsätzliche Konflikte, in denen andere Gewerkschaften
solidarisch sein müssen. Dieser Punkt ist noch nicht erreicht." Stattdessen sollten sich die
Gewerkschaften für Kombilöhne und gegen einen einheitlichen Mindestlohn einsetzen. Und zu guter
letzt gibt es die volle Breitseite gegen die Linkspartei. In deren Programm "steht als Ziel der
Sozialismus. Im Sozialismus haben Gewerkschaften erkennbar keine Rolle gespielt. Warum einige meiner
Kollegen das so erstrebenswert finden, verstehe ich bis heute nicht." Kann der Kollege Schmoldt nicht
sein Gewerkschaftsführungsamt aufgeben, notfalls mit sanfter Gewalt von unten, und stattdessen
Vorsitzender der SPD werden? Dreimal Null ist Null , bleibt Null, singen die Karnevalisten im
Rheinland…
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