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Anfang Februar haben die Ver.di-Mitglieder an den Unikliniken in NRW in einer
Urabstimmung für einen unbefristeten Arbeitskampf gestimmt. Seit der Überführung der
Unikliniken in Anstalten des öffentlichen Rechts 2001 gibt es keinen Tarifvertrag mehr. Im vergangenen
Jahr hat es keine Lohnerhöhung gegeben. Neueingestellte müssen seit 2004 Arbeitsverträge mit
längerer Arbeitszeit und mit Lohnkürzung unterschreiben. Das betrifft inzwischen schon zwischen
10 und 20% der Beschäftigten. Die Tarifkommission hat folgende Forderungen beschlossen: 50 Euro
Lohnerhöhung für alle (Festbetrag, tabellenwirksam), 250 Euro Einmalzahlung für die
Auszubildenden, Erhalt der 38,5-Stunden-Woche und ein Tarifvertrag auf der Grundlage des TvöD.
Der Streik an den Unikliniken in NRW geht
in die zehnte Woche und noch immer ist nicht in Sicht, wann die Landesregierung so gnädig sein will,
überhaupt einen Tarifvertrag abzuschließen. Über die Stimmung unter den Streikenden sprach
die SoZ mit der Personalratsvorsitzenden des Uniklinikums Essen, ALEXANDRA WILLER.
nWie lange streikt ihr schon?
In der Woche vor Ostern haben wir die 9.Woche beendet.
Und wie ist die Stimmung?
Ungebrochen gut. In den ersten beiden Wochen hatten wir eine gewisse Fluktuaktion, aber seitdem ist
die Stimmung an den Uni-Kliniken in NRW stabil. Dazu muss man sagen, die letzten drei Wochen waren sehr
hart, nicht nur wegen der Länge des Streiks, die fast schon Geschichte schreibt, sondern auch wegen
der "Denkpause", die Niedersachsens Finanzminister Möllring sich und uns verordnet hat, seit
die letzte Tarifverhandlung am 10.März ohne Ergebnis abgebrochen wurde. Das ist jetzt fünf Wochen
her. Seitdem sind wir alle in Geiselhaft von Herrn Möllring, der sich einfach weigert zu verhandeln.
Wer beteiligt sich alles am Streik? Der Organisationsgrad von Ver.di ist in den Ländern ja
nicht besonders hoch.
In Krankenhäusern liegt der Organisationsgrad üblicherweise zwischen 10 und 20%. Vor dem
Streik hatten wir in Essen etwa 600 Mitglieder, durch den Streik sind wir auf über 900 angewachsen. Im
Streik stehen kontinuierlich 500 Kolleginnen und Kollegen von 5500 Beschäftigten. Davon gehen aber
rund 1000 Ärzte ab, die über den Marburger Bund getrennte Aktionen machen, und noch einmal 1300
DRK-Schwestern, die kein Streikrecht haben und einen großen Teil des Notdienstes gewährleisten.
Streikfähig sind also knapp 3000.
Welche Bereiche bestreikt ihr?
Aus fast allen Bereichen sind mindestens einige Kolleginnen und Kollegen beteiligt. Im Pflegebereich der
Anästhesie streikt fast jede und jeder, die oder der streiken darf. Die Zahl der Operationen ist seit
Beginn des Streiks um 50 bis 75% zurückgegangen. Hier sind auch die wirtschaftlichen Einbußen am
größten. Wir bestreiken den Transportdienst hier wurden schon externe Müllentsorger
eingesetzt, um den Müll wegzuschaffen. Wir bestreiken relativ effektiv die Küche. Das
Patientenessen wurde reduziert, die Kantine war jetzt neun Wochen zu. Sie wurde Montag wieder aufgemacht,
da werden wir jetzt aber Boykottmaßnahmen einleiten… Zu Beginn des Streiks hat die
Klinikverwaltung von einem Caterer Streikbrecherbrötchen ausliefern lassen, das waren Durchhaltepakete
für Streikbrecher, weil die Kantine geschlossen war. Das ist nach neun Wochen ins Geld gegangen,
deshalb hat sie jetzt Leute, die sonst in der Verwaltung der Küche arbeiten, an die Kassen und an die
Spülmaschine gestellt, die halten jetzt für zwei Stunden pro Tag die Mittagskantine auf. Wir
überlegen, ob wir uns jetzt mittags immer nach Möglichkeit mit unserem eigenen Streikessen, das
wir anliefern lassen, im Kantinenbereich verteilen, an jeden Tisch. Dann sollen die Streikbrecher zwischen
uns Mittag essen.
Der Reinigungsdienst wird sehr effektiv
bestreikt. Die Servicegesellschaften, die wir seit vielen Jahren hier haben, arbeiten weiter, in ein paar
Bereichen gibt es Notdienstputzen, ansonsten verwahrlosen die Stationen so vor sich hin. Das sind die
großen und nach außen sichtbaren Bereiche, die bestreikt werden. Ein paar Stationen sind
geschlossen, da kommen keine Patienten mehr. In Düsseldorf, wo es keine DRK-Schwestern gibt, wurden
mehr Stationen geschlossen.
Wie reagieren denn die Patienten auf einen so langen Streik?
Das ist sehr unterschiedlich. Es wäre sicher anders gewesen, wenn der Streik nur ein bis zwei
Wochen hätte dauern müssen, bis es einen Tarifvertrag gibt. Manche Patienten werden immer wieder
verschoben, für Tumorpatienten ist das schon hart. Die sagen dann: Wir haben ja Verständnis
für Ihren Streik, aber… Es gibt allerdings nur sehr wenig Patienten, die wirklich aufgebracht
ins Streikzelt kommen die kann man an einer Hand abzählen.
Wir machen relativ viele Aktionen in der
Öffentlichkeit, um den Druck auf Linssen (NRW-Finanzminister) zu erhöhen, da treffen wir
natürlich auf potenzielle Patienten, und da ist die Reaktion auch unterschiedlich. Man kann sagen,
diejenigen, die über 60 sind, sind anfänglich sehr negativ eingestellt. Da kommen die
üblichen Sprüche: "Seid froh, dass ihr überhaupt Arbeit habt", o.ä. Die haben
wahrscheinlich Angst: Was passiert in diesem Land überhaupt mit den Alten? Die haben wenig bis gar
kein Verständnis. Wenn man einzeln mit ihnen spricht, dann sagen sie in neun von zehn Fällen am
Ende: Ja, das versteh ich ja schon…
Da wird unter dem Strich aber doch relativ Verständnis aufgebracht.
Das ist unser Glück im Unglück. Selbst angepasst denkenden Menschen merken mittlerweile, dass
in diesem Land etwas nicht richtig läuft. Das gilt auch für die Streikenden selbst. Eine ganze
Reihe von ihnen sagt, vor fünf Jahren hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich einmal
streike. Aber das, was hier passiert gesundheitspolitisch, arbeitsmarktpolitisch,
gesellschaftspolitisch, auch hier im Klinikum selbst, wo in den letzten fünf, sechs Jahren die
Schraube enorm angezogen worden ist das macht auch sog. normale Leute biestig, dass sie sagen: Bis
hierher und nicht weiter. Mehr lassen wir uns nicht mehr gefallen. Das geht auch der Bevölkerung
draußen so.
Wenn ich so eure Fotos ansehe, sind es ja vorwiegend ganz junge Frauen, die den Streik
tragen…
Das ist ein weiblicher Streik, so wie das
Gesundheitswesen ein weiblicher Bereich ist: Reinigung, Pflege, Küche alles Frauen bis auf die
Köche, Männerbereiche sind eigentlich nur Handwerker und Transportdienst.
Kommen von dieser Generation neue Impulse?
Da ist eine allgemeine gesellschaftliche Unzufriedenheit vor allem bei denen, die jetzt noch 40
Jahre arbeiten müssen und die müssen bis 67 arbeiten. Im Gegensatz zu den
Industriebereichen kommt hier hinzu, dass wir keinen privaten Arbeitgeber auf der anderen Seite sitzen
haben, sondern einen politischen Gegner: das Ministerium, das Land. Das ist einerseits schwerer fassbar,
weil der Gegner unkonkreter ist, andererseits bekommt die Auseinandersetzung dadurch eine politische
Dimension. Die Unzufriedenheit richtet sich gegen die Regierenden. Die Streikenden sind entsetzt
darüber, was die Medien schreiben; sie sind entsetzt darüber, wie der Herr Linssen billigend in
Kauf nehmen kann, dass durch neun Wochen Streik über 40 Millionen Euro Einnahmen ausgefallen sind. Zum
ersten Mal spüren sie, dass es hier Politiker gibt, denen das alles scheißegal ist, die sie am
langen Arm verhungern lassen. Das schafft eine gewisse Politisierung, wenn auch diffus.
Greift die Gewerkschaft solche Fragen auf, diskutiert sie auch mal über Fragen, die
über den unmittelbaren Streik hinaus gehen?
Also mindestens in NRW ist ziemlich klar, dass die Politik hier der Gegner ist. Hier fokussiert
sich alles auf die Person von Linssen. Wir stehen jetzt ja noch gar nicht in Verhandlungen, aber mit einem
faulen Kompromiss werden wir uns nicht zufrieden geben können. Wir hoffen, dass es in der Woche nach
Ostern einen Verhandlungstermin geben wird und es dann zügig zum Abschluss kommt.
Wie ist die Kommunikation zwischen der Streikleitung, der Gewerkschaft und der Belegschaft?
Die Streikleitung führt den Streik. Hauptamtliche der Gewerkschaft sind jeden Tag da, weil
aber auch bei denen so viele hauptamtliche Stellen gestrichen wurden, sind sie froh, wenn wir das machen.
Es ist unser Streik, da reden sie uns so gut wie gar nicht rein weder in der praktischen noch in der
politischen Ausrichtung. Ein paar Dinge sprechen wir mit der Landesbezirksleitung ab, aber es gibt da kaum
Differenzen. Bei uns in Essen wird die Streikleitung von drei Ehrenamtlichen aus dem Betrieb gestellt.
Erfahrt ihr aktive Solidarität aus anderen Bereichen?
In den ersten drei Wochen haben wir Hunderte von Solidaritätserklärungen erhalten, das
flaut jetzt etwas ab, aber immer noch kommt fast jeden zweiten Tag eine Delegation aus anderen Betrieben
vorbei und bedankt sich: Das was ihr tut, ist auch für uns…
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
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