SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2006, Seite 15

Seymour Hershs Enthüllungen im New Yorker

Die Iran-Pläne der US-Regierung

Am 17.April veröffentlichte Seymour Hersh im Wochenblatt The New Yorker die Vorbereitungen der US-Regierung auf einen militärischen Angriff auf den Iran — auch mit Atomwaffen. Hersh hat 1969 das Massaker von My Lai aufgedeckt, wofür er den Pulitzer-Preis erhielt. 2004 enthüllte er die Folterungen an Irakern im Gefängnis von Abu Ghraib. Nachstehend bringen wir Auszüge.

Während die Bush-Regierung öffentlich die Diplomatie bemüht, um den Iran vom Griff zur Atombombe abzuhalten, verstärkt sie ihre verdeckten Aktivitäten innerhalb des Iran und intensiviert ihre Planungen für mögliche Luftangriffe. Derzeitige und ehemalige US-Militärs und Geheimdienstagenten sagen, die Planungsgruppen der Luftwaffe erstelle bereits eine Liste der Angriffsziele, und Einheiten von US-Kampftruppen wurden under cover in den Iran entsandt, um Daten über mögliche Ziele zu sammeln und Kontakt zu regierungsfeindlichen Gruppen aus ethnischen Minderheiten herzustellen. Die Beamten sagen, Präsident Bush sei entschlossen, die Möglichkeit zu unterbinden, dass das iranische Regime mit einem Pilotprogramm zur Urananreicherung beginnen kann, das für dieses Frühjahr geplant ist.
Ein ehemaliger Regierungsbeamter, den die Bush-Regierung immer noch mit sensiblen Fragen beauftragt hat, sagte mir, die militärischen Planungen ginge von der Prämisse aus, dass eine "anhaltende Bombardierung des Iran die religiöse Führung demütigen und die Öffentlichkeit zum Aufstand und zum Sturz der Regierung treiben" würde. Er fügte hinzu: "Ich war schockiert, als ich das hörte und fragte mich: Was brüten die da aus?"
Die Erklärung für einen Regimewechsel lieferte Anfang März Patrick Clawson, ein Iranexperte, der stellvertretender Direktor am Washingtoner Institut für Nahostpolitik und ein Unterstützer von Präsident Bush ist: "Solange der Iran eine islamische Republik ist, wird er ein Atomwaffenprogramm haben, mindestens heimlich", sagte Clawson vor dem außenpolitischen Ausschuss des Senats am 2.März. "Die zentrale Frage ist deshalb: Wie lange wird das derzeitige Regime im Iran halten?" Als ich mit Clawson sprach, betonte er: "Diese Regierung bemüht sich sehr um Diplomatie." Doch, fügte er hinzu, der Iran hat keine andere Wahl: entweder er gibt den Forderungen der USA nach, oder er wird militärisch angegriffen." […]
"Hier geht es um weit mehr als um die atomare Frage", sagte mir ein hochrangiger Diplomat in Wien. "Das ist nur ein Sammelbegriff, und es ist immer noch Zeit, ihn zu präzisieren. Aber die Regierung glaubt, um ihn zu präzisieren, muss sie die Herzen und Köpfe der Iraner kontrollieren. Die wirkliche Frage ist, wer in den nächsten zehn Jahren den Nahen Osten und sein Öl kontrollieren wird."
Ein älterer Pentagonberater in Sachen "Krieg gegen den Terror" äußerte sich ähnlich: "Dieses Weiße Haus glaubt, der einzige Weg, das Problem zu lösen bestehe darin, die Machtstruktur im Iran zu ändern, und das bedeutet Krieg."
In den vergangenen Wochen hat der Präsident in aller Ruhe eine Reihe von Unterredungen mit wenigen ausgesuchten Senatoren und Kongressmitgliedern über Planungen zum Iran begonnen — darunter ist mindestens ein Demokrat. Ein älteres Mitglied des Bewilligungsausschusses, der an den Treffen nicht teilgenommen, über ihren Inhalt aber mit seinen Kollegen diskutiert hat, sagte mir, niemand bei diesen Treffen "hat wirklich Einwände" dagegen, von Krieg zu reden. "Die Leute, die sie instruieren, sind dieselben, die den Angriff gegen den Irak geführt haben. Bestenfalls werden Fragen aufgeworfen wie: Wie wollt ihr all diese Ziele auf einmal angreifen? Wie wollt ihr sie tief genug treffen?" (Der Iran baut derzeit unterirdische Anlagen.) "Es gibt keinen Druck vom Kongress", keine militärischen Aktionen durchzuführen. "Der einzige politische Druck kommt von Leuten, die sie wollen."
Einige Operationen, die offenkundig den Iran einschüchtern sollen, laufen bereits. Die taktische Luftwaffe, die von Flugzeugträgern im Arabischen Meer aus operiert, fliegt seit dem letzten Sommer simulierte Atombombenabwürfe in Reichweite des iranischen Küstenradars, sagte der frühere Regierungsbeamte.
Vergangenen Monat gab Oberst Sam Gardiner in einem Papier, das er der Nahost-Sicherheitskonferenz in Berlin vorstellte, eine Schätzung ab, was man brauche, um das Atomwaffenprogramm des Iran zu zerstören. Auf der Grundlage von Satellitenfotos schätzte Gardiner, es müssten mindestens 400 Ziele getroffen werden. Er fügte hinzu:
"Ich glaube nicht, dass die US- Militärplaner dabei stehen bleiben wollen. Der Iran verfügt wahrscheinlich über zwei Chemieanlagen. Die würden wir angreifen. Wir würden die Mittelstreckenraketen treffen wollen, die in jüngster Zeit näher an die irakische Grenze verlegt wurden. Es gibt 14 Flugplätze mit Flugzeugbunkern … Wir würden diese Bedrohung loswerden wollen. Wir würden die Anlagen treffen wollen, die dazu genutzt werden können, die Schifffahrt im Golf zu bedrohen. Das bedeutet, dass wir Standorte von Cruise Missiles und dieselgetriebene iranische U-Boote angreifen … Einige dieser Anlagen sind vielleicht selbst mit Waffen hoher Durchschlagskraft schwer zu treffen. Die USA werden deshalb Sondereinheiten einsetzen müssen."
Eine der anfänglichen militärischen Planoptionen, die das Pentagon dem Weißen Haus im Winter vorgestellt hat, fordert den Einsatz von bunkerbrechenden taktischen Atomwaffen wie die B61-11 gegen Atomanlagen. Ein Ziel ist die größte Zentrifugenanlage im Iran, bei Natanz, 320 km südlich von Teheran. Natanz untersteht nicht länger der Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA); angeblich ist hier 23 Meter unter der Erdoberfläche ein unterirdisches Gewölbe, in dem 50000 Zentrifugen, Labors und Arbeitsräume untergebracht werden können. Diese Zentrifugen könnten genug angereichertes Uran für etwa 20 Atomsprengköpfe pro Jahr herstellen. Die Zerstörung von Natanz wäre ein erheblicher Rückschlag für die atomaren Ambitionen des Iran, doch konventionelle Waffen aus dem US-Arsenal könnten Anlagen in 23 Meter Tiefe unter der Erdoberfläche nicht zerstören, zumal nicht wenn diese mit Beton verstärkt sind. […]
Mit oder ohne nukleare Option könnte die Liste der Ziele unvermeidlich ausgedehnt werden. Der Berater des Pentagon sagte, im Falle eines Angriffs würde die Luftwaffe mehrere hundert Ziele im Iran treffen wollen, aber "99% davon haben nichts mit Proliferation zu tun. Es gibt Leute, die meinen, so vorgehen zu müssen" — dass die Regierung ihre politischen Ziele im Iran mit einer Bombenkampagne erreichen kann — eine Vorstellung der Neokonservativen.
Der Pentagon-Berater sagte: Es ist möglich, dass der Iran einseitig auf seine Atompläne verzichtet — und damit der US- amerikanischen Aktion zuvorkommt. "Ich glaube nicht daran. Das Ziel ist mindestens, dass der Iran kein Atomwaffenstaat werden kann. Das Problem ist, dass die Iraner erkennen, dass sie sich nur dann gegen die USA zur Wehr setzen können, wenn sie ein Atomstaat werden. Es wird Schreckliches passieren." […]

www.newyorker.com (Übersetzung: Angela Klein)



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