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Ende März fand in Hanoi eine internationale Konferenz über ein
Thema statt, welches die Welt vergessen geglaubt hatte. Dort trafen sich Betroffene aus dem US-
amerikanischen Krieg gegen Vietnam vor 30 Jahren. Die Opfer kämpfen noch immer um Entschädigung
aus dem nicht erklärten und völkerrechtswidrigen Vernichtungskrieg. Sie werden unter anderem
vertreten durch die Organisation VAVA (Vietnamese Agent Orange Victims Association). In ihrer
Abschlusserklärung forderten sie erneut, dass die US-amerikanische Regierung endlich Verantwortung
für die Kriegsfolgen übernimmt. Bisher war der Streit um Gerechtigkeit erfolglos, denn der Krieg
gegen die Betroffenen wird fortgesetzt durch amerikanische Gerichte.
Der von 1960 bis 1975 wütende Krieg
hinterließ eine Bilanz des Schreckens: Zwei Millionen Vietnamesen wurden ermordet, eine Million
Witwen, 900000 Waisen und 500000 Kriegsversehrte ohne einen einzigen Cent Entschädigung hinterlassen.
Dazu wurden noch 9000 der 15000 Dörfer im betroffenen Gebiet dem Erdboden gleich gemacht. Millionen
Hektar Land 10% des gesamten Landes und über 4600 Dörfer wurden mit 72 Millionen
Litern Entlaubungsmittel Agent Orange (bestehend aus den Herbiziden 2,4,5-T und 2,4-D) sowie anderer
hochgiftiger Substanzen besprüht. Sie enthielten Dioxin, das 70mal giftiger ist als Zyankali. Allein
in der Thua-Thien-Hue-Provinz wurden 11 kg Dioxin versprüht. Dabei würde ein tausendstel Gramm
Dioxin je kg Körpergewicht jedes Lebewesen sofort töten, ein millionstel Gramm auf Generationen
hinaus die Erbmasse schädigen. 80 Gramm im Trinkwasser New Yorks würde jedes dortige Leben
töten.
Die Produktion des Giftes fürs US-Militär übernahmen u.a. die US-Firmen Dow Chemical und
Mosanto. Noch lange nach dem Krieg leugnete Mosanto mit gefälschten Untersuchungen einen Zusammenhang
zwischen ihrem tödlichen Produkt und seinen Folgen. Obwohl bereits im Jahre 1949, nach einer Explosion
in der Firma, 200 Beschäftigte kontaminiert und teilweise schwerstkrank wurden. Erst nach einer
Schadenersatzklage von 68 Mitarbeitern kam heraus, dass die Expertisen Falschangaben enthielten.
Als den Amerikanern während des
Krieges das Gift ausging, wandten sie sich vertrauensvoll an die Deutschen und damit offensichtlich
an die richtige Stelle. Denn in Angelegenheiten chemischer Kampfstoffe hatte Deutschland
bekanntermaßen schon in der Hitler-Diktatur zweifelhaften Ruf erlangt. Deren Wissenschaftler
wie z.B. Gerhard Schrader als Erfinder der Kampfstoffe Sarin und Tabun kamen deshalb danach nicht
vors Kriegsgericht, sondern in US-Dienste. Schrader durfte dort für das Chemical Corps der Army
weiterforschen. Als es ihn später in die alte Heimat zurückzog, hatte Bayer Leverkusen keine
Hemmungen wegen seiner Vergangenheit, ihn zu beschäftigen. Bayer produzierte in der Kriegszeit
jährlich mindestens 700 Tonnen Insektizide mit dem Bestandteil 2,4,5-D und verkaufte einen Teil der
Produktion an die französische Firma Prodil, die es weiter verarbeitet nach Vietnam lieferte und auch
andere Kriegsherren der Welt beglückte.
Die Firma Boehringer aus Ingelheim kam
ebenfalls mit Prodil ins Geschäft. Bereits ab 1962 verkaufte man an Dow Chemical Verfahren und
Wirkstoffe zur Herstellung von Agent Orange. Damals ging es Boehringer wirtschaftlich schlecht, mit dem
Supergift kam man schnell aus den roten Zahlen. In diesem Zusammenhang war auch der spätere
Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Gerede, der von 1962 bis 1967 Geschäftsführer
bei Boehringer Ingelheim war. 1992 warf ihm der Spiegel vor, dass er von den Vorgängen gewusst haben
müsste. Von Weizsäcker ließ sofort damit dementieren, es gäbe ja auch noch Boehringer
Mannheim. Als Geschäftsführer sollte ihn allerdings interessiert haben, welches Produkt die
eigene Firma in die schwarzen Zahlen bringt.
Boehringer begann aber schon viel
früher mit seiner Giftmischerei, wie der Spiegel ebenfalls 1992 mit einer Aktennotiz aus dem Jahre
1956 aufdeckte. Dort berichtete das Vorstandsmitglied Walter Graubner von einzigartigen Giftstoffen mit
schwerster Zerstörbarkeit durch Einatmung Stoffe, "nach denen sich die Politiker schon
seit Jahrzehnten gesehnt haben".
1967 kauften die USA schließlich
sämtliche Bestände von Agent Orange auf. Ziel war es seinerzeit, den Urwald zu entlauben, um die
in den Wäldern versteckten Widerstandskämpfer der Vietcong und ihre Versorgungswege
aufzuspüren. Durch Vergiftung der Nahrung sollte der Widerstand des gesamten vietnamesischen Volkes
gebrochen werden. Die Methode wurde von den Engländern abgeguckt, die bereits 1948 Teile von Malaysia
mit gleichem Ziel entlaubten. Den Amerikanern half das nichts. Die Vietnamesen konnten ihnen erhebliche
Verluste zufügen und sie schließlich in die Knie zwingen, unterstützt durch den Druck einer
außerordentlich großen solidarischen Weltöffentlichkeit.
Professor Tran Xuan Thu von der Universität Hanoi und Vizepräsident von VAVA befasst sich als
Chemiker seit Jahren mit dem Zusammenhang von Dioxin und seinen Folgen. Gegenüber der SoZ formulierte
er im Februar: "Fünf Millionen Menschen wurden seinerzeit mit Agent Orange besprüht,
mindestens drei Millionen waren direkt Opfer … Bis heute gibt es keinen Schadenersatz der USA und
auch keine Maßnahmen der US-Regierung, die verseuchten Gebiete zu bereinigen."
Inzwischen ist bereits die zweite und
dritte Generation durch eine hohe Anzahl von Missgeburten, Missbildungen, Funktionsstörungen von den
Kriegsfolgen betroffen, weil das Dioxin eine Halbwertzeit von 25 bis 100 Jahren hat. Immer noch sterben
Vietnamesen an den Folgen von Agent Orange. Täglich werden zwei Dutzend schwerstbehinderte Kinder
geboren. Die Zahl der Missbildungen ist 15mal höher als im übrigen Vietnam. Die Anzahl der
Betroffenen im Nachkriegs-Vietnam geht heute in die Hunderttausende.
Bereits zwischen 1994 und 1998 wurde der
Zusammenhang zwischen Agent Orange und den Kriegsfolgen von unabhängigen Wissenschaftlern
nachgewiesen. In mehreren Ländern wurden Untersuchungen der wichtigsten Lebensmittel von Instituten
durchgeführt, die alle Vermutungen eines Zusammenhangs mit Agent Orange bestätigten. All dies
beeindruckte die US-Gerichte bisher nicht. Auch nicht, dass mehr Dioxin versprüht wurde, als das
Militär bis 1984 zugeben wollten. US-Wissenschaftler hatten behauptet, dass der Dioxinanteil zwischen
106 und 163 kg gelegen habe. Es konnte aber nachgewiesen werden, dass er 366 kg enthielt, weil das
Militär die Einsätze festgehalten hatte.
Auf Seiten der US-Amerikaner kämpften
auch 230000 Koreaner, von denen 131000 durch Agent Orange kontaminiert und krank wurden. Auch in diesem
Fall klagte man gegen Dow Chemical und Mosanto, verlor aber den Prozess 1994. Inzwischen wurde 6795 von
ihnen durch ein koreanisches Gericht 62 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen.
Weil bisher keine Unterstützung von
US-amerikanischen Gerichten kam, leisteten Hilfsorganisationen und private Spendenaktionen aus vielen
Ländern und von Vereinigungen amerikanischer Kriegsveteranen Trost und Lebenshilfe, u.a. durch
Gründung von Friedensdörfern. Doch der Kampf gegen die Gerichte geht weiter. Vergangenen
März gingen die vietnamesischen Kläger nach verlorenem Prozess in New York in die Berufung.
Sicher wird das Gericht noch mehr Beweise eines Zusammenhangs fordern. Vielleicht solange, bis niemand mehr
von den Opfern lebt oder Gerechtigkeit einfordern kann. Im April diesen Jahres wird eine Entscheidung des
Berufungsgerichts erwartet.
Wie aus Hanoi bekannt wurde, will man bis
zum obersten amerikanischen Gerichtshof klagen. Das Verfahren soll um jeden Preis gewonnen werden, weil es
um einen Präzedenzfall geht, in dem von einem Krieg Betroffene für Gerechtigkeit kämpfen und
die Einhaltung der Menschenrechte einklagen. Ob die USA das zulassen werden?
Almut von Rickmann-Werder
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