SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2006, Seite 17

Fortführung des Kriegs mit anderen Mitteln

Vietnamesische Agent-Orange-Opfer kämpfen weiterhin um Entschädigung

Ende März fand in Hanoi eine internationale Konferenz über ein Thema statt, welches die Welt vergessen geglaubt hatte. Dort trafen sich Betroffene aus dem US- amerikanischen Krieg gegen Vietnam vor 30 Jahren. Die Opfer kämpfen noch immer um Entschädigung aus dem nicht erklärten und völkerrechtswidrigen Vernichtungskrieg. Sie werden unter anderem vertreten durch die Organisation VAVA (Vietnamese Agent Orange Victims Association). In ihrer Abschlusserklärung forderten sie erneut, dass die US-amerikanische Regierung endlich Verantwortung für die Kriegsfolgen übernimmt. Bisher war der Streit um Gerechtigkeit erfolglos, denn der Krieg gegen die Betroffenen wird fortgesetzt — durch amerikanische Gerichte.
Der von 1960 bis 1975 wütende Krieg hinterließ eine Bilanz des Schreckens: Zwei Millionen Vietnamesen wurden ermordet, eine Million Witwen, 900000 Waisen und 500000 Kriegsversehrte ohne einen einzigen Cent Entschädigung hinterlassen. Dazu wurden noch 9000 der 15000 Dörfer im betroffenen Gebiet dem Erdboden gleich gemacht. Millionen Hektar Land — 10% des gesamten Landes — und über 4600 Dörfer wurden mit 72 Millionen Litern Entlaubungsmittel Agent Orange (bestehend aus den Herbiziden 2,4,5-T und 2,4-D) sowie anderer hochgiftiger Substanzen besprüht. Sie enthielten Dioxin, das 70mal giftiger ist als Zyankali. Allein in der Thua-Thien-Hue-Provinz wurden 11 kg Dioxin versprüht. Dabei würde ein tausendstel Gramm Dioxin je kg Körpergewicht jedes Lebewesen sofort töten, ein millionstel Gramm auf Generationen hinaus die Erbmasse schädigen. 80 Gramm im Trinkwasser New Yorks würde jedes dortige Leben töten.

US-Gifte deutscher Herkunft

Die Produktion des Giftes fürs US-Militär übernahmen u.a. die US-Firmen Dow Chemical und Mosanto. Noch lange nach dem Krieg leugnete Mosanto mit gefälschten Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen ihrem tödlichen Produkt und seinen Folgen. Obwohl bereits im Jahre 1949, nach einer Explosion in der Firma, 200 Beschäftigte kontaminiert und teilweise schwerstkrank wurden. Erst nach einer Schadenersatzklage von 68 Mitarbeitern kam heraus, dass die Expertisen Falschangaben enthielten.
Als den Amerikanern während des Krieges das Gift ausging, wandten sie sich vertrauensvoll an die Deutschen — und damit offensichtlich an die richtige Stelle. Denn in Angelegenheiten chemischer Kampfstoffe hatte Deutschland bekanntermaßen schon in der Hitler-Diktatur zweifelhaften Ruf erlangt. Deren Wissenschaftler — wie z.B. Gerhard Schrader als Erfinder der Kampfstoffe Sarin und Tabun — kamen deshalb danach nicht vors Kriegsgericht, sondern in US-Dienste. Schrader durfte dort für das Chemical Corps der Army weiterforschen. Als es ihn später in die alte Heimat zurückzog, hatte Bayer Leverkusen keine Hemmungen wegen seiner Vergangenheit, ihn zu beschäftigen. Bayer produzierte in der Kriegszeit jährlich mindestens 700 Tonnen Insektizide mit dem Bestandteil 2,4,5-D und verkaufte einen Teil der Produktion an die französische Firma Prodil, die es weiter verarbeitet nach Vietnam lieferte und auch andere Kriegsherren der Welt beglückte.
Die Firma Boehringer aus Ingelheim kam ebenfalls mit Prodil ins Geschäft. Bereits ab 1962 verkaufte man an Dow Chemical Verfahren und Wirkstoffe zur Herstellung von Agent Orange. Damals ging es Boehringer wirtschaftlich schlecht, mit dem Supergift kam man schnell aus den roten Zahlen. In diesem Zusammenhang war auch der spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Gerede, der von 1962 bis 1967 Geschäftsführer bei Boehringer Ingelheim war. 1992 warf ihm der Spiegel vor, dass er von den Vorgängen gewusst haben müsste. Von Weizsäcker ließ sofort damit dementieren, es gäbe ja auch noch Boehringer Mannheim. Als Geschäftsführer sollte ihn allerdings interessiert haben, welches Produkt die eigene Firma in die schwarzen Zahlen bringt.
Boehringer begann aber schon viel früher mit seiner Giftmischerei, wie der Spiegel ebenfalls 1992 mit einer Aktennotiz aus dem Jahre 1956 aufdeckte. Dort berichtete das Vorstandsmitglied Walter Graubner von einzigartigen Giftstoffen mit schwerster Zerstörbarkeit durch Einatmung — Stoffe, "nach denen sich die Politiker schon seit Jahrzehnten gesehnt haben".
1967 kauften die USA schließlich sämtliche Bestände von Agent Orange auf. Ziel war es seinerzeit, den Urwald zu entlauben, um die in den Wäldern versteckten Widerstandskämpfer der Vietcong und ihre Versorgungswege aufzuspüren. Durch Vergiftung der Nahrung sollte der Widerstand des gesamten vietnamesischen Volkes gebrochen werden. Die Methode wurde von den Engländern abgeguckt, die bereits 1948 Teile von Malaysia mit gleichem Ziel entlaubten. Den Amerikanern half das nichts. Die Vietnamesen konnten ihnen erhebliche Verluste zufügen und sie schließlich in die Knie zwingen, unterstützt durch den Druck einer außerordentlich großen solidarischen Weltöffentlichkeit.

Der juristische Kampf der Opfer

Professor Tran Xuan Thu von der Universität Hanoi und Vizepräsident von VAVA befasst sich als Chemiker seit Jahren mit dem Zusammenhang von Dioxin und seinen Folgen. Gegenüber der SoZ formulierte er im Februar: "Fünf Millionen Menschen wurden seinerzeit mit Agent Orange besprüht, mindestens drei Millionen waren direkt Opfer … Bis heute gibt es keinen Schadenersatz der USA und auch keine Maßnahmen der US-Regierung, die verseuchten Gebiete zu bereinigen."
Inzwischen ist bereits die zweite und dritte Generation durch eine hohe Anzahl von Missgeburten, Missbildungen, Funktionsstörungen von den Kriegsfolgen betroffen, weil das Dioxin eine Halbwertzeit von 25 bis 100 Jahren hat. Immer noch sterben Vietnamesen an den Folgen von Agent Orange. Täglich werden zwei Dutzend schwerstbehinderte Kinder geboren. Die Zahl der Missbildungen ist 15mal höher als im übrigen Vietnam. Die Anzahl der Betroffenen im Nachkriegs-Vietnam geht heute in die Hunderttausende.
Bereits zwischen 1994 und 1998 wurde der Zusammenhang zwischen Agent Orange und den Kriegsfolgen von unabhängigen Wissenschaftlern nachgewiesen. In mehreren Ländern wurden Untersuchungen der wichtigsten Lebensmittel von Instituten durchgeführt, die alle Vermutungen eines Zusammenhangs mit Agent Orange bestätigten. All dies beeindruckte die US-Gerichte bisher nicht. Auch nicht, dass mehr Dioxin versprüht wurde, als das Militär bis 1984 zugeben wollten. US-Wissenschaftler hatten behauptet, dass der Dioxinanteil zwischen 106 und 163 kg gelegen habe. Es konnte aber nachgewiesen werden, dass er 366 kg enthielt, weil das Militär die Einsätze festgehalten hatte.
Auf Seiten der US-Amerikaner kämpften auch 230000 Koreaner, von denen 131000 durch Agent Orange kontaminiert und krank wurden. Auch in diesem Fall klagte man gegen Dow Chemical und Mosanto, verlor aber den Prozess 1994. Inzwischen wurde 6795 von ihnen durch ein koreanisches Gericht 62 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen.
Weil bisher keine Unterstützung von US-amerikanischen Gerichten kam, leisteten Hilfsorganisationen und private Spendenaktionen aus vielen Ländern und von Vereinigungen amerikanischer Kriegsveteranen Trost und Lebenshilfe, u.a. durch Gründung von Friedensdörfern. Doch der Kampf gegen die Gerichte geht weiter. Vergangenen März gingen die vietnamesischen Kläger nach verlorenem Prozess in New York in die Berufung. Sicher wird das Gericht noch mehr Beweise eines Zusammenhangs fordern. Vielleicht solange, bis niemand mehr von den Opfern lebt oder Gerechtigkeit einfordern kann. Im April diesen Jahres wird eine Entscheidung des Berufungsgerichts erwartet.
Wie aus Hanoi bekannt wurde, will man bis zum obersten amerikanischen Gerichtshof klagen. Das Verfahren soll um jeden Preis gewonnen werden, weil es um einen Präzedenzfall geht, in dem von einem Krieg Betroffene für Gerechtigkeit kämpfen und die Einhaltung der Menschenrechte einklagen. Ob die USA das zulassen werden?

Almut von Rickmann-Werder

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