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W Altvater will nicht nur die negativen Folgen von disembedding zeigen, sondern argumentiert auch, dass
durch diesen Prozess nicht nur die Widersprüche innerhalb des Systems steigen, sondern dass dadurch
der Kapitalismus an seine Grenzen stoße und diese Grenzen auch immer sichtbarer würden. "Es
wird dabei jene gesellschaftliche Kohärenz, die für die Reproduktion der Gesellschaft und eines
Blocks an der Macht unabdingbar ist, zerstört. Dies ist der deutlichste Ausdruck des
disembedding." Dieses "finanzgetriebene Akkumulationsmodell" bildet die eine
große Schranke "des Kapitalismus, wie wir ihn kennen".
Warum sollte es erstens dem zeitgenössischen Kapitalismus und seinen herrschenden Klassen nicht
gelingen, auf die Verknappung fossiler Brennstoffe entsprechend zu reagieren, d.h. die Produktionsmethoden
entsprechend zu verändern, ohne dass damit eine grundlegende Umwälzung der
Eigentumsverhältnisse einhergehen muss? Auch die (keineswegs wünschenswerte, aber sehr
realistische) Möglichkeit einer markanten Verschiebung hin zu Kernspaltung und -fusion tut er auf ein
paar Zeilen als nicht wünschenswert ab.
Grenzen des Kapitalismus
Die andere Schranke sieht Altvater in der
Natur, genauer: in deren beschränkten Ressourcen. Der Kapitalismus revolutionierte nicht nur die
Technik, sondern auch die Art der Energieversorgung. Zum ersten Mal werden fossile, d.h. nichterneuerbare
Ressourcen der Erde systematisch ausgebeutet, um die neuen Technologien auch betreiben zu können.
"Die industrielle Revolution war also auch eine fossile Revolution." Woran sich bis heute nichts
verändert hat. Da Erdöl, Kohle, Erdgas etc. begrenzt und teilweise ans Ende ihrer Abbaubarkeit
gelangt sind, wird der Kapitalismus in diesem Jahrhundert auf technologischer Seite grundlegend
verändert werden müssen. So weit so gut.
Altvater geht aber noch weiter, indem er
die fossile Energiezufuhr in eine "trinitarische Kongruenz" mit der kapitalistischen
Gesellschaftsformation und europäischer Rationalität bringt. Diese drei sind ihm untrennbar
miteinander verwoben, und das Ende des einen (der fossilen Energieträger) wird zwangsläufig das
Ende der anderen beiden mit sich bringen auch des Kapitalismus, zumindest wie wir ihn kennen, denn:
"Diese Grenzen der Natur stehen im Gegensatz zur unbegrenzten (selbst-referentiellen)
Akkumulationsdynamik des globalen Kapitalismus, zu seiner sozialen Form."
Er argumentiert zwar nicht, dass
Sozialismus oder Barbarei die einzigen Möglichkeiten wären: Auch ein anderer Kapitalismus
wäre möglich. Allerdings müsse er dezentral und weitgehend enthierarchisiert sein und auf
einer "solidarischen Ökonomie" fußen, wofür er u.a. die Genossenschaften des
19.Jahrhunderts und die jugoslawische Selbstverwaltung bis Mitte der 70er Jahre beispielhaft anführt.
Sie ist "eine praktische Abwehr gegen die Entbettung des Marktes aus der Gesellschaft,
also gegen die ökonomischen Sachzwänge." Altvater scheint einen idealtypischen
"eingebetteten" Kapitalismus vergangener Zeiten vor Augen zu haben, mit kleinen kapitalistischen
Eigentümern neben nichtprofitorientierten Wirtschaftsformen und einer regulierenden Zivilgesellschaft,
in der die von Marx und auch von Altvater oft beschriebene Akkumulations-, Zentralisations- und
Expansionsbewegung des Kapitals nicht existiert. Zwei Einwände drängen sich hier auf.
Grenzen der Kapitalismuskritik
In der Einleitung beschreibt Altvater das
Eintreten für erneuerbare Energien als "Klassenkampf gegen die konservativen Kräfte, die am
fossilen Energieregime festhalten wollen, weil es ihre Macht- und Profitbasis ist". Den Kampf
innerhalb der energieerzeugenden Industrie, also zwischen unterschiedlichen Fraktionen des Kapitals,
definiert er völlig verkehrt als Klassenkampf, weil die einen die fossile Grundlage des Kapitalismus
verteidigen wollen, während die anderen an einem neuen Energieregime arbeiten und dabei von
progressiven gesellschaftlichen Kräften unterstützt werden, woraus dann "die weltweite
Bewegung für erneuerbare Energien" entsteht. Zwischen diesen beiden Bereichen sieht er eine
unüberwindbare "Brandmauer", die erst mit einer grundlegenden Erneuerung der
gesellschaftlichen Verhältnisse und dem Ende der fossilen Energieerzeugung überwunden werden
könne also mit dem Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen.
Die Unklarheit in Altvaters Argumentation
scheint einen Grund der zweite Einwand in seinem Verständnis von Kapitalismus zu haben.
Zwar widmet er dem Thema ein eigenes Kapital, referiert dort aber lediglich die Geschichte des Begriffs,
ohne eine eigene Definition zu versuchen. Stattdessen bleiben die immer wiederkehrenden Verweise auf
Polanyi und Fernand Braudel zwei Historiker, die die Entstehung des Kapitalismus primär als
Ausdehnung von Märkten begreifen und ihn u.a. als Handelssystem beschreiben.
So ist etwa für Polanyi die Entbettung
der Märkte das wesentliche Merkmal des Kapitalismus, während die Entstehung völlig neuer und
antagonistischer Klassen kaum thematisiert wird, weshalb die für Klassengesellschaften so zentralen
Kategorien von Herrschaft und Macht außen vor bleiben. Kapitalismus ist bei ihnen sehr
vereinfacht eine anonyme, quasitechnische Bewegung von Märkten, denen die entsprechenden
gesellschaftlichen Verhältnisse mehr oder weniger kausal folgen.
Mit seiner "Dreifaltigkeit" von
fossilen Energieträgern, kapitalistischer Gesellschaftsformation und europäischer
Rationalität argumentiert Altvater sehr ähnlich. Die Basis von fossiler Energieproduktion hat die
kapitalistischen Formen, wie wir sie kennen, zur Folge, und mit den ersten schwinden auch die zweiten. Auch
in jenen Passagen, in denen er das Funktionieren des heutigen Kapitalismus beschreibt, thematisiert er fast
ausschließlich die Ausdehnung von Finanz- und Handelssphäre, während die Produktions- und
mit ihnen die Klassenverhältnisse kaum Platz bekommen.
Zwar spricht er beständig von
"Gesellschaft", aber diese ist der kapitalistischen Produktionsweise seltsam äußerlich.
Die politischen Kämpfe sind bei ihm deshalb kaum Kämpfe zwischen Klassen, sondern zwischen
unterschiedlichen Gruppen, deren Motivation sich mal aus wirtschaftlichen Partikularinteressen, mal aus
zivilem Engagement speist. Nur deshalb ist es möglich, dass er die Betreiber der großen
Windräderparks oder der Wasserkraftwerke in einen Topf mit der globalisierungskritischen Bewegung, den
Fabrikbesetzern in Argentinien und dem mexikanischen Chiapas werfen kann, die den Verfechtern des fossilen
Kapitalismus antagonistisch gegenüberstehen. Kurz: Altvaters "radikale Kapitalismuskritik"
ist keineswegs antikapitalistisch.
Martin Riedl
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