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Seit dem Ausscheiden der deutschen Kicker im Viertelfinale der WM 1998 gegen
Bulgarien ist nicht mehr zu übersehen, dass der von deutschen Spielern praktizierte Fußball
allenfalls noch zweitklassig ist. Obwohl die Realität eigentlich erdrückend ist, wird sie von
Funktionären, meinungsmachenden Medien und der Mehrheit der sich auf Wohnzimmersofas herumfläzenden
Fußballkonsumenten hartnäckig ignoriert. Es braucht nur ein paar einigermaßen passable Siege
(gegen meist drittklassige Gegner) und schon wird wieder kräftig von der Rückkehr zu alter
Glorie schwadroniert. Dabei sollten zehn Jahre kontinuierlichen Niedergangs Anlass zu der Überlegung
geben, warum die Dinge so sind wie sie sind.
Die Zeit, in der die Deutschen mit
kampfbetontem Spiel ihre spielerischen Defizite kompensieren konnten, sind vorbei. Portugal, Italien, Spanien
oder die südamerikanischen Mannschaften aus Brasilien oder Argentinien haben in punkto Kondition und
Athletik längst nachgezogen. Vorbei sind die Zeiten, wo die "Walz aus der Pfalz", Hans-Peter
Briegel, seine Gegner einfach in Grund und Boden rannte und damit seine eklatanten spielerischen und
technischen Defizite vergessen machen konnte. Auch im taktischen Verhalten haben die Spieler aus dem
"undisziplinierten" Süden den Deutschen längst den Rang abgelaufen. Zur traditionellen
deutschen Schwäche in Fragen der Balltechnik kommt strafverschärfend hinzu, dass seit einigen Jahren
dank verschiedener Änderungen bei der Regelauslegung technisch versierte Spieler besser geschützt
werden.
Auch wenn es die Anhänger der
"deutschen Tugenden" nicht wahrhaben wollen: Gerade Spieler mit ausgeprägten balltechnischen
Fähigkeiten wie Ronaldinho machen heutzutage den Unterschied. Sie haben einfach mehr Spieloptionen zur
Auswahl als die biederen teutonischen Handwerker vom Schlage eines Michael Ballack oder Torsten Frings. Sie
können den langen oder den kurzen Pass spielen, sind dank ihrer technischen Beschlagenheit auch in der
Lage, bei Bedarf einen oder zwei Gegenspieler stehen zu lassen und damit die gegnerische Abwehr durcheinander
zu wirbeln.
Diesen Typus von offensivem Mittelfeldspieler
mit spielerischen Fähigkeiten sucht man in Deutschland vergebens als einzige Ausnahme mag Sebastian
Schweinsteiger gelten. Doch eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer. Und weil die deutschen
Nationalspieler wissen, dass sie es nicht besser können, beschränken sie sich eben auf den
Sicherheitspass eine realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten, da mögen die
Fans maulen wie sie wollen.
Auch das schnelle Kurzpassspiel auf engem Raum,
eine weitere zunehmend wichtige Variante technisch guter Mannschaften, bleibt den Deutschen verschlossen, da
dies zu viel Ballgefühl voraussetzt. So bleibt ihnen verwehrt, was der argentinische Ex-Nationalspieler
Jorge Valdano als eine Essenz des Fußballs beschrieb: "Miteinander mit Pässen in Dialog
treten." Oder anders ausgedrückt: Bei Spielern wie Ze Roberto oder Ronaldinho fühlt der Ball
sich wohl.
In Deutschland gibt es so etwas wie ein
Mentalitätsproblem, das der Entwicklung von technischer Finesse und Spielwitz im Wege steht, denn
technische Kabinettstückchen gelten in diesem Lande als "brotlose Kunst". Wer sich auf dem
Spielfeld zweimal erfolglos mit solchen "Spielereien" versucht, wird ausgewechselt und schmort
solange auf der Auswechselbank, bis er sich das abgewöhnt hat. Als gut gilt dagegen, wer den
größten "Hammer" drauf hat. Das fängt bei den Kleinen an und spiegelt sich in der
Sportberichterstattung wieder. Fernschüsse aus 30 Metern, die wie ein Strich ihren Weg ins Dreieck finden,
haben die größten Chancen als Tor des Monats in der Sportschau ausgezeichnet zu werden. Bestenfalls
ein spektakulärer Fallrückzieher kann da noch mithalten.
Dass es unter diesen Bedingungen in Deutschland
einen Mangel an technisch guten Spielern gibt, braucht nicht verwundern. Nicht umsonst wurde ein Mehmet Scholl
jahrelang als das "ewige Talent" mitleidig belächelt. In Lateinamerika ist das anders. Dort
werden technische Kabinettstückchen und Jonglierkünste von Kommentatoren und Publikum bejubelt
ein Anreiz für Spieler, an der Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten zu feilen. Die
fußballerischen Kunststückchen eines Diego Maradona haben in Südamerika zahllose Jugendliche zu
Nachahmung inspiriert. Sie eignen sich spielerisch jene Fertigkeiten an, ohne die man es im internationalen
Fußball allenfalls bis zur Mittelmäßigkeit bringt.
Die Einsicht, dass die BRD ein
fußballerisches Entwicklungsland ist und vom technischen Niveau der Portugiesen, Brasilianer oder
Argentinier zu lernen hätte, ist in Deutschland nur schwer zu erwarten. Zu tief steckt den Fans und
Verantwortlichen noch immer der aus vergangenen Erfolgen gespeiste Hochmut in den Knochen. Aber ohne Abschied
von den "deutschen Tugenden", ohne Hinwendung zum spielerisch kreativen Fußball, bleiben die
Deutschen auf absehbare Zeit das, was sie jetzt sind Fußballzwerge.
Franz Mayer
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