SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2006, Seite 19

Mentalitätsprobleme

Fußballzwerg Deutschland

Seit dem Ausscheiden der deutschen Kicker im Viertelfinale der WM 1998 gegen Bulgarien ist nicht mehr zu übersehen, dass der von deutschen Spielern praktizierte Fußball allenfalls noch zweitklassig ist. Obwohl die Realität eigentlich erdrückend ist, wird sie von Funktionären, meinungsmachenden Medien und der Mehrheit der sich auf Wohnzimmersofas herumfläzenden Fußballkonsumenten hartnäckig ignoriert. Es braucht nur ein paar einigermaßen passable Siege (gegen meist drittklassige Gegner) — und schon wird wieder kräftig von der Rückkehr zu alter Glorie schwadroniert. Dabei sollten zehn Jahre kontinuierlichen Niedergangs Anlass zu der Überlegung geben, warum die Dinge so sind wie sie sind.
Die Zeit, in der die Deutschen mit kampfbetontem Spiel ihre spielerischen Defizite kompensieren konnten, sind vorbei. Portugal, Italien, Spanien oder die südamerikanischen Mannschaften aus Brasilien oder Argentinien haben in punkto Kondition und Athletik längst nachgezogen. Vorbei sind die Zeiten, wo die "Walz aus der Pfalz", Hans-Peter Briegel, seine Gegner einfach in Grund und Boden rannte und damit seine eklatanten spielerischen und technischen Defizite vergessen machen konnte. Auch im taktischen Verhalten haben die Spieler aus dem "undisziplinierten" Süden den Deutschen längst den Rang abgelaufen. Zur traditionellen deutschen Schwäche in Fragen der Balltechnik kommt strafverschärfend hinzu, dass seit einigen Jahren dank verschiedener Änderungen bei der Regelauslegung technisch versierte Spieler besser geschützt werden.
Auch wenn es die Anhänger der "deutschen Tugenden" nicht wahrhaben wollen: Gerade Spieler mit ausgeprägten balltechnischen Fähigkeiten wie Ronaldinho machen heutzutage den Unterschied. Sie haben einfach mehr Spieloptionen zur Auswahl als die biederen teutonischen Handwerker vom Schlage eines Michael Ballack oder Torsten Frings. Sie können den langen oder den kurzen Pass spielen, sind dank ihrer technischen Beschlagenheit auch in der Lage, bei Bedarf einen oder zwei Gegenspieler stehen zu lassen und damit die gegnerische Abwehr durcheinander zu wirbeln.
Diesen Typus von offensivem Mittelfeldspieler mit spielerischen Fähigkeiten sucht man in Deutschland vergebens — als einzige Ausnahme mag Sebastian Schweinsteiger gelten. Doch eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer. Und weil die deutschen Nationalspieler wissen, dass sie es nicht besser können, beschränken sie sich eben auf den Sicherheitspass — eine realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten, da mögen die Fans maulen wie sie wollen.
Auch das schnelle Kurzpassspiel auf engem Raum, eine weitere zunehmend wichtige Variante technisch guter Mannschaften, bleibt den Deutschen verschlossen, da dies zu viel Ballgefühl voraussetzt. So bleibt ihnen verwehrt, was der argentinische Ex-Nationalspieler Jorge Valdano als eine Essenz des Fußballs beschrieb: "Miteinander mit Pässen in Dialog treten." Oder anders ausgedrückt: Bei Spielern wie Ze Roberto oder Ronaldinho fühlt der Ball sich wohl.
In Deutschland gibt es so etwas wie ein Mentalitätsproblem, das der Entwicklung von technischer Finesse und Spielwitz im Wege steht, denn technische Kabinettstückchen gelten in diesem Lande als "brotlose Kunst". Wer sich auf dem Spielfeld zweimal erfolglos mit solchen "Spielereien" versucht, wird ausgewechselt und schmort solange auf der Auswechselbank, bis er sich das abgewöhnt hat. Als gut gilt dagegen, wer den größten "Hammer" drauf hat. Das fängt bei den Kleinen an und spiegelt sich in der Sportberichterstattung wieder. Fernschüsse aus 30 Metern, die wie ein Strich ihren Weg ins Dreieck finden, haben die größten Chancen als Tor des Monats in der Sportschau ausgezeichnet zu werden. Bestenfalls ein spektakulärer Fallrückzieher kann da noch mithalten.
Dass es unter diesen Bedingungen in Deutschland einen Mangel an technisch guten Spielern gibt, braucht nicht verwundern. Nicht umsonst wurde ein Mehmet Scholl jahrelang als das "ewige Talent" mitleidig belächelt. In Lateinamerika ist das anders. Dort werden technische Kabinettstückchen und Jonglierkünste von Kommentatoren und Publikum bejubelt — ein Anreiz für Spieler, an der Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten zu feilen. Die fußballerischen Kunststückchen eines Diego Maradona haben in Südamerika zahllose Jugendliche zu Nachahmung inspiriert. Sie eignen sich spielerisch jene Fertigkeiten an, ohne die man es im internationalen Fußball allenfalls bis zur Mittelmäßigkeit bringt.
Die Einsicht, dass die BRD ein fußballerisches Entwicklungsland ist und vom technischen Niveau der Portugiesen, Brasilianer oder Argentinier zu lernen hätte, ist in Deutschland nur schwer zu erwarten. Zu tief steckt den Fans und Verantwortlichen noch immer der aus vergangenen Erfolgen gespeiste Hochmut in den Knochen. Aber ohne Abschied von den "deutschen Tugenden", ohne Hinwendung zum spielerisch kreativen Fußball, bleiben die Deutschen auf absehbare Zeit das, was sie jetzt sind — Fußballzwerge.

Franz Mayer

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