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Indianerliteratur gibt (gab) es reichlich. Wer kennt nicht die Helden von
Karl May, Friedrich Gerstäcker oder James Fenimore Cooper. Wobei der erste reine Fantasiegeschichten
schrieb, der zweite die Situation von persönlichen Reisen her kannte (und politisch aktiv war) und der
dritte als einziger tatsächlich Amerikaner war. Schon nicht so bekannt (im Westen) sind die Romane von
Liselotte Welskopf-Henrich, die in der damaligen DDR realistische historische Romane über dieses Thema
schrieb. Fast unbekannt ist uns Louise Erdrich, die 1954 als Tochter eines Deutschen und eines Indianers in
North Dakota geboren wurde. Es handelt sich bei diesen Schmökern wenn man von L.Erdrich oder
dem noch nicht genannten Wolfgang Bittner mit seinen unbedingt zu empfehlenden
"Kanadabüchern" absieht um historische Romane, die die heutige Zeit nicht mehr
treffen.
Und dann taucht plötzlich diese 1963
in Thüringen geborene, aufgewachsene und immer noch dort lebende Antje Babendererde 2001 mit ihrem
Erstling Der Pfahlschnitzer auf dem Buchmarkt auf. Erschienen im kleinen Hannah-Verlag, ohne
großartige Werbung, vermag dieser Roman kaum zum Leser durchzudringen. Heute ist er vergriffen. Aber
mit diesem Werk wurde der Grundstein für den heutigen Erfolg gelegt. Die folgenden Romane für
Erwachsene erscheinen (im ebenfalls kleinen aber bekannterem) Merlin-Verlag: Der Walfänger (2002),
Wundes Land (2003) und Die Suche (2005). Die Taschenbuchausgabe von Wundes Land (2005) ermöglicht dann
den Durchbruch im Erwachsenensektor. Dazwischen liegen drei Jugendbücher Der Gesang der Orcas (2003),
Lakota Moon (2005) und Talitha Running Horse (2005), die alle im Ensslin-Verlag bzw. dem zur gleichen
Verlagsgruppe gehörenden Arena-Verlag erschienen sind. Seit Lakota Moon wurden die Spezialisten der
Jugendbuchszene auf diese Autorin aufmerksam, Preise waren die Folge.
Babendererde schildert die Probleme der
heutigen Indianer in der bestehenden Gesellschaft der USA. Meistens in der Form einer gut erzählten
Liebesgeschichte mit Anleihen beim Kriminalroman. Denn ihre "Helden" geraten oft mit dem Gesetz
in Konflikt. Denn dieses respektiert die ursprüngliche Lebensweise auch in der heutigen
modifizierten Form der Ureinwohner nicht. Der Landraub findet immer noch statt, die Ausbeutung der
Boden- und Naturschätze schreitet voran. Dies wird relativ leicht gemacht, denn auch in den Reservaten
herrscht Neid und Korruption. Und die Entwurzlung der Bewohner in Verbindung mit Alkoholismus und
Drogenmissbrauch zeigen Folgen.
In diesem Spannungsfeld spielen die
Geschichten, die sie blendend erzählt. Und wer wissen will, wie man eine Pferde- und
Pubertätsgeschichte mal abseits der üblich heruntergeleierten Form schreiben kann, dem empfehle
ich z.B. Talitha Running Horse. Ganz normal in die Handlung eingebunden wird der Todesmarsch der Sioux und
die Erinnerung daran erzählt und bildet unversehens den Höhepunkt dieses Romans.
Antje Babendererde kennt die
Verhältnisse aus persönlichen Eindrücken, vielen Aufenthalten in den betreffenden
Reservaten. Ganz selbstverständlich fügt sie reale Gegebenheiten in ihre Romane ein. So schildert
sie z.B. in Lakota Moon das kriminelle paramilitärische Vorgehen des FBI gegen einen indianischen
Nutzhanfpflanzer, das dessen wirtschaftliche Existenz vernichtet. Dies nahm der Schreiber dieser Zeilen
z.B. nicht ganz ernst. Umso überraschter war ich bei der Betrachtung des hervorragenden Videos Die
Donnervogelfrau über die Indianeraktivistin Winona LaDuke, in der LaDuke genau diese Tatsache
schilderte.
Ebenso real der juristische Kampf in ihrem
letzten Roman für Erwachsene Die Suche. Die Geschichte spielt im (in diesem Fall von der Autorin
erfundenen) Dog-Lake-Reservat im heutigen Kanada. Cree-Indianer kämpfen gegen den mächtigen
Papierkonzern Shimada, der ihre Wälder abholzen will. Deren Sprecher, Jem Soonias, hat aber eigentlich
ganz andere Probleme, denn sein neunjähriger Sohn ist verschwunden. Und die Zusammenarbeit mit der
Polizei ist von gegenseitigem Misstrauen und Nichtverstehen geprägt. Die Lösung sei hier nicht
verraten, aber dass sich in diesem Buch noch eine herrlich erzählte Liebesgeschichte verbirgt, will
ich doch nicht verschweigen.
Oder zum Schluss noch der Kampf der Makah-
Indianer im Bundesstaat Washington. Sie erhalten Ende der 90er Jahre das Recht auf Wiederbelebung ihrer
uralten Tradition. Die Walfangkommission erlaubt ihnen die Tötung eines Wals. Diese Jagd droht den
Stamm zu entzweihen und bringt Tierschützer gegen sie auf. Diese Begebenheit bildet den Hintergrund
für die beiden Bücher Der Walfänger und Der Gesang der Orcas.
Im letztgenannten Jugendbuch spielen die
15-jährige Sofie, deren Vater und der 16-jährige Makah-Junge Javid die Hauptrolle. Sofie und ihr
Vater können den Tod der Mutter nur schwer verwinden und jeder trauert auf eigene, einsame Weise. Eine
gemeinsame Reise an die Nordwestküste Amerikas soll beide einander wieder näher bringen. Aber
Sofie verliebt sich in den Makah-Indianer Javid und verbringt viel Zeit mit ihm, während ihr Vater
seinem Beruf nachgeht und fotografiert.
Sofie und Javid haben ein Geheimnis: So oft
es geht sind sie mit einem Schlauchboot auf dem Meer und besuchen eine kleine Orcagruppe, die sich vor der
Küste aufhält. Als sie einmal von einem Sturm überrascht werden und eine Nacht in einer
Fischerhütte verbringen müssen, kommt es beinahe zum Bruch zwischen Sofie und ihrem Vater. Aber
Sofie hält zu Javid und geht ihren eigenen Weg. Und Javid lebt in der Tradition seines Volkes. Ein
wundervolles Buch!
Wer sich noch mehr für die Geschichte
der Indianer interessiert, dem sei außerdem das ausgezeichnete, leider nur noch antiquarisch zu
erhaltende, Sachbuch Die Sioux von H.J.Stammel empfohlen. Es macht klar, dass es zumeist wirtschaftliche
Gründe waren, die zur fast vollständigen Ausrottung führten. So wurden bspw. die als
"zivilisiert" geltenden Cheyenne erst erbarmungslos dezimiert, als der Staat Georgia und seine
Bevölkerung 1828 so hoch bei den Cheyenne verschuldet waren, dass Staatsbankrott drohte. 40 Jahre
später drohte der Zusammenbruch der Aktiengesellschaften, die gegründet worden waren, um die
großen Eisenbahnlinien zu errichten. Nun wurden die Rechte der letzten Reitervölker mit einem
Federstrich endgültig beseitigt und die Sioux abgeschlachtet und in die Reservate gezwungen.
Ulrich Klinger
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