SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2006, Seite 22

Aus dem Kibbuz in die IV.Internationale

Rudolf Segall (1911—2006)

Am 19.März 2006 ist unser Genosse Rudolf Segall im Alter von fast 95 Jahren gestorben. Rudolf wurde am 6.April 1911 in Berlin geboren. Sein jüdisches Elternhaus war wohlhabend. Als Junge war er unter seinen christlichen Mitschülern isoliert. Mit 14 Jahren schloss er sich einer deutsch-jüdischen Wandervogelbewegung an — den "Kameraden". Diese Gruppierung öffnete ihm den Blick für die zeitgenössische kritische Kultur und für politische Diskussionen. Das 1929 begonnene Lehrerstudium brach Rudolf in der zunehmend bedrohlicher werdenden Endphase der Weimarer Republik ab.
Eine Zeitlang nahm er an den Treffen des Kreises um Harro Schulze-Boysen teil, der später von den Nazis als einer der Köpfe der Widerstandsorganisation "Rote Kapelle" hingerichtet wurde. Schon bei der Machtübergabe an die Nazis 1933 war Rudolf klar, dass es für ihn in einem faschistischen Deutschland keine Überlebenschance geben konnte. Er schloss sich deshalb der sozialistisch-zionistischen Gruppe Hashomer Hazair (Der junge Wächter) an. Dort erhielt er eine erste marxistische Prägung durch sein großes Vorbild Martin Monat ("Monte"), den die Gestapo 1944 in Frankreich wegen revolutionärer Untergrundarbeit ermordete.
Von 1935 bis 1939 lebte und arbeitete er in einem Kibbuz in Palästina, einer sich als egalitär verstehenden Gemeinschaft. Für Rudolf war schon bald der Gegensatz zwischen dem gesellschaftlichen Ideal der Kibbuzim und der gewalttätigen zionistischen Kolonisation unerträglich geworden. Durch die Abkehr vom Hashomer Hazair und die Hinwendung zur 1938 gegründeten IV.Internationale löste er diesen Widerspruch. Sein Ziel war nun die Rückkehr nach Deutschland — in das vermeintliche Zentrum der erhofften sozialistischen Nachkriegsrevolution in Europa. Über Frankreich gelang es ihm, 1947 wieder nach Deutschland zurückzukehren.
Gemeinsam mit den wenigen deutschen Genossinnen und Genossen der Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD), die die Nazidiktatur, das Exil und die stalinistischen Verfolgungen überlebt hatten, baute er die deutsche Organisation neu auf.
In Süddeutschland lernte er seine große Liebe Ingeborg kennen, die er 1950 heiratete. Von 1952 bis 1974 war Rudolf als hauptamtlicher Bezirkssekretär für die damals linke Industriegewerkschaft Chemie in Frankfurt am Main tätig. Bis ins hohe Alter engagierte er sich schließlich unermüdlich für die Übersetzung und Veröffentlichung revolutionär-marxistischer Literatur (v.a. im Rahmen des Neuen ISP-Verlags), für die Stärkung der internationalen Arbeiterbewegung und den Kampf für eine Welt ohne Ausbeutung, Ausgrenzung und Unterdrückung.

Wolfgang Alles

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