SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2006, Seite 2

Aus einem Diskussionspapier der Bundeskoordination Internationalismus (Buko)

Die G8 delegitimieren

Die zentrale Forderung einer internationalistischen Linken kann unseres Erachtens nur die Delegitimierung der G8 sein. […]
Der G8 mangelt es in zweifacher Hinsicht an Legitimation: Sowohl gemessen an den für viele Menschen katastrophalen Ergebnissen ihrer Politik, als auch gemessen am eklatanten Missverhältnis zwischen den Beteiligten und den Betroffenen der G8- Entscheidungen. Was dieses Missverhältnis angeht, so erfüllt die G8 nicht einmal die selbst gesetzten Standards liberaler Demokratie. Acht Regierungen maßen sich an Beschlüsse zu treffen, deren symbolische und materielle Auswirkungen weltweit zu spüren sind. Die Regierungschefs der G8 sind auf nationalstaatlicher Ebene zwar formal demokratisch legitimiert, faktisch agieren sie aber auf vermachteten Terrains, auf denen nur diejenigen gesellschaftlichen Interessen Wirkung entfalten können, die mit den herrschenden Problemdefinitionen vereinbar sind. Dazu kommt, dass im Falle Putins selbst die formaldemokratische Legitimation in Frage steht und dass politische Herrschaft sich auch in den so genannten westlichen Demokratien ihres liberal-demokratischen Mantels immer weiter entledigt, zunehmend autoritäre Züge annimmt und sich damit gemessen an den eigenen Legitimationsstandards selbst in ein Legitimationsproblem manövriert.
Dass Delegitimierung eine schlagkräftige Forderung sein kann, zeigen die Konflikt- und Mobilisierungsformen in der argentinischen Krise. Die Parole "¡Que se vayan todos!" (Sie sollen alle abhauen!) brachte hier eine Strategie der Delegitimierung auf den Punkt, d.h. verdichtete sie in einer griffigen und einleuchtenden Forderung, die eine hohe Mobilisierungswirkung entfalten konnte.
Delegitimierung beinhaltet grundsätzlich drei Elemente: Erstens spricht sie den Regierenden das Recht ab, Entscheidungen in der Form und mit den Inhalten zu treffen, wie sie es tun, weil diejenigen, die die Suppe auslöffeln müssen, nicht mitkochen durften (Element eins: Ihr habt nicht das Recht!). Zweitens macht sie deutlich, dass die gesellschaftlichen Möglichkeiten, ein menschenwürdiges Leben jenseits vom Zwang zu sinnloser Arbeit zu führen, gegeben sind, dass diese Potenziale aber nicht ausgeschöpft, sondern interessengeleitet negiert werden (Element zwei: Es ist genug für alle da!). Drittens verweist sie auf bereits praktizierte bzw. angedachte Alternativen selbstbestimmten und solidarischen Zusammenlebens und postuliert deren Verallgemeinerungsfähigkeit (Element drei: Wir können es besser!).
Eine Herausforderung besteht darin, diese Kritik nicht nur auf die G8 zu beziehen, sondern auf soziale Konflikte in unterschiedlichen Kontexten anzuwenden und radikaldemokratische Alternativen aufzuzeigen. Nicht nur die G8 als ein Ausdruck globaler Herrschaftsverhältnisse muss delegitimiert werden, sondern die zugrundeliegenden Formen und Definitionen von Politik, Entscheidungsfindung und gesellschaftlicher Struktur. Emanzipatorische Veränderungen muss sich klar gegen den kapitalistischen und patriarchalen Staat und internationale politische Institutionen, gegen herrschende Politikvorstellungen und Naturverhältnisse positionieren, aber auch gegen sich quer durch die Gesellschaft ziehende Hierarchien in Bezug auf Herkunft, Geschlecht, Klasse und gesellschaftlichen Vorstellungen von Normalität.

Zuspitzen und sichtbarmachen

Der G8-Prozess kann von emanzipatorischer Seite dazu genutzt werden, dass sich unterschiedliche soziale und politische Spektren stärker aufeinander beziehen und nach gemeinsamen Handlungsansätzen suchen…
Einen breiten Konsens könnte es inhaltlich dahingehend geben:
Wir fordern erstens die Auflösung der Gruppe der 8 und nicht ihre Erweiterung etwa durch die Einbeziehung anderer Länder.
Wir verweigern uns dem Dialog mit den Regierungen, die ihm Rahmen der G8 die global herrschenden Interessen koordinieren. Damit laufen wir nicht Gefahr, dem Prozess über "konstruktive Kritik" Legitimität zu verleihen.
Wir sehen, dass viele Menschen in den Metropolen die herrschenden Verhältnisse entweder passiv-resignierend hinnehmen oder sogar aktiv unterstützen — ein schlichtes "Die da oben, wir hier unten" geht also nicht auf. Wir benötigen überzeugende Argumente und müssen für interessierte Menschen und Medien ansprechbar sein. Die Kunst besteht darin, radikale Kritik und Forderungen zu formulieren und sich gleichzeitig über den Kreis der ohnehin Überzeugten hinaus zu begeben.
Unsere Kritik ist berechtigt, auch wenn wir keinen umfassenden Gegenentwurf präsentieren. Wir haben keinen, und wir wollen keinen. Eine andere Welt kann nicht autoritär geplant und durchgesetzt werden, sondern muss in Lernprozessen, durch Erfahrungsaustausch und Beteiligung aller entstehen.
Darüber hinaus muss es ein Teil der Proteste sein, den Unsichtbaren, Stimmlosen und Marginalisierten hierzulande und international dazu zu verhelfen, dass sie gesehen und gehört werden und ihre Kritik und Alternativen formulieren können. Das bedeutet, einige Themen systematisch zu bearbeiten und in einer breiteren Öffentlichkeit zu verankern: bspw. Migration und die Lebensverhältnisse der Menschen, die aus anderen Ländern nach Westeuropa kommen; die Situation der vielen Ausgegrenzten ohne Stimme und ohne Gesicht oder die Lebensverhältnisse in den sogenannten peripheren Gesellschaften.
Diese Themen sollten mit den Politiken im Rahmen der G8, mit Verschuldung und Weltmarktkonkurrenz, aber auch mit den hiesigen Produktions- und Konsumweisen in Verbindung gebracht werden.
Schließlich: Vielleicht gelingt es, Begriffe zu finden, in denen sich die aktuellen Kämpfe und Anliegen verdichten und ihnen eine gemeinsame Perspektive geben. Das zapatistische "¡Ya basta!" oder "Eine andere Welt ist möglich!" haben diese Funktion.

Gelebte Alternativen

Globaler Protest darf sich nicht in inhaltlicher Kritik erschöpfen, sondern muss sich in einen kreativen Prozess umwandeln. Dabei geht es um das fragende Voranschreiten hin zu einer Veralltäglichung von Widerstand, dem Aufbau und Leben von Alternativen. Die G8-Mobilisierung muss sich als Teil verschiedener Formen des praktizierten sozialen Protests verstehen, in all seiner Widersprüchlichkeit…

Das gesamte Papier findet sich unter www.buko.info.



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