SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2006, Seite 06

Tarifrunde Metall- und Elektoindustrie

Punktsieg mit Fallstricken

In Wochenfrist haben die großen Tarifkommissionen der IG Metall das am 22.April in Düsseldorf ausgehandelte Ergebnis der diesjährigen Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie mit großen Mehrheiten angenommen. Von der NRW-Tarifkommission gab es sogar eine einstimmige Billigung.

IGM-Bezirksleiter Detlef Wetzel kommentierte nach der landesweiten Mobilisierung von 200000 Metallern: "Wir in NRW haben was gekonnt. Jetzt kommt es darauf an, den Schwung der Tarifbewegung in die Betriebe zu tragen." Er warnte die Arbeitgeber davor, sich gegen eine — bei wirtschaftlich guter Lage mögliche — Erhöhung der Einmalzahlung von 310 auf 620 Euro zu sperren: "Sie machen sonst das Modell der Differenzierung kaputt."

Tarifpolitik differenziert

Mit dieser knappen Bemerkung hat Detlef Wetzel das Dilemma angesprochen, in das sich die regionalen und zentralen Verhandlungsführer der IG Metall (IGM) selbst manövriert haben — und zwar bewusst. Mit der nach unten und oben verhandelbaren Einmalzahlung sollte der lang umstrittene Prozess der Differenzierung der Tarifpolitik angestoßen werden.
Dieses Konzept wird vor den Mitgliedern aber nur dann zu vertreten sein, wenn es von der Marke 310 Euro nicht nur Abweichungen nach unten gibt, sondern im vergleichbaren Umfang auch nach oben. Deshalb hat Anfang Mai eine Kampagne begonnen, die die Forderung nach Erhöhung der Einmalzahlung betrieblich umsetzen soll.
Einfach wird dies den Betriebsräten allerdings nicht gemacht. Während der Tarifvertrag bei Abweichungen nach unten bei einer unterdurchschnittlichen, schlechten Ertragslage keine Kriterien setzt, wird bei der Möglichkeit der Erhöhung des Einmalbetrags explizit benannt, dass der Arbeitgeber diese ausschließen kann, "wenn es im Betrieb eine übertarifliche Regelung über eine Jahresabschlussvergütung, Gratifikationen, Jahresprämien, Ergebnisbeteiligungen, Weihnachtsgeld oder ähnliche Leistungen gibt".
Die Tatsache, dass diese vertragsverschärfende Erklärung entgegen IGM-interner Absprachen in letzter Minute Eingang in den Tariftext gefunden hat, macht deutlich, wie wenig Spielraum die Arbeitgeber der Variante der positiven Abweichung einräumten und wie eilig es die IG Metall hatte, an diesem Punkt die Verhandlungen nicht platzen zu lassen. So fehlt in dem Vertragstext auch jeglicher Hinweis, dass bei geregelten tarifvertraglichen Abweichungen nach dem 2004 geschlossenen Pforzheimer Abkommen die vollen 310 Euro zu zahlen sind.
Da die Einmalbeträge Ende Mai auszuzahlen sind, ist der betriebliche Mobilsierungszeitraum kurz, wobei Betriebsräte und Belegschaften sich dann letztlich doch in der Position kollektiver Bettlelei befinden, da Durchsetzungsperspektiven kaum möglich sind. Kritiker dieser Entgeltdifferenzierung werden also genau beobachten müssen, in welchem Maße Abweichungen nach oben und unten stattfinden, um sich für die im Spätherbst beginnende Diskussion der kommenden Tarifrunde zu wappnen. Zwei Punkte erschweren die kritische Diskussion, zum einen die Einmalzahlung für die unteren Entgeltgruppen, zum anderen die fehlende Differenzierung innerhalb der Tarifstruktur.
Abgesehen von den nach neuen Strategien suchenden höheren IGM-Funktionären ist die variable Einmalzahlung in den Betrieben recht reserviert aufgenommen worden, nicht aber die Durchsetzung der 3% — auch für die Auszubildenden — ab Juni 2006. Im Allgemeinen wurde die Höhe als Erfolg verbucht, auch weil das Ziel ohne Streik erreicht werden konnte.
Im Verlauf der Verhandlungen war es den Beschäftigten der meisten NRW-Betrieben bewusst geworden, dass es nicht nur zur Urabstimmung sondern auch zum Streik im größten und kampfunerfahrensten Tarifgebiet kommen könnte. In NRW sind schon seit Jahren keine Basis-Rufe mehr zu vernehmen, bei Tarifrunden endlich auch mal dabei sein zu können, also in den Streik einbezogen zu werden.
Doch diesmal gab es einiges Muffensausen, denn Austritte aus Arbeitgeberverbänden oder generell schwache Mitgliederstrukturen in vielen Betrieben grenzten die Zahl der streikfähigen Betriebe stark ein.
Trotzdem darf man nicht unterschätzen, dass es der IG Metall mit den Arbeitskampfvorbereitungen in NRW sehr ernst gewesen ist — sei es weil die provakativen Hinhaltemanöver der unter sich zerstrittenen bezirklichen Arbeitgeberverbände eine Antwort verlangte, sei es weil die Chance, in der anlaufenden Konjunktur ein vorzeigbares Ergebnis zu erreichen, ergriffen werden musste. Darüber hinaus wurde eingeschätzt, dass Baden- Württemberg allein nicht in der Lage wäre, sowohl die normale Tarifrunde wie auch die Wiedereinsetzung der Lohnrahmen-II-Abkommens durchzusetzen.
Im Großen und Ganzen ist es gelungen, die tariflichen Sonderregelungen für Bandarbeiter in Nordwürttemberg/Nordbaden wieder einzusetzen: Alle Regelungen über persönliche Bedürfniszeiten, Mindesttaktzeiten und die Mitbestimmung bei der Bandbesetzung bleiben erhalten. Die Erholzeiten, die sogenannte "Steinkühlerpause", sind jetzt für Bereiche mit überwiegend manuellen Arbeiten mit "kurzen Zyklen" und bei Prüfarbeiten mit hoher Konzentration definiert. Was damit im Detail gemeint ist, unterliegt der Mitbestimmung der Betriebsräte.

Ambivalenzen

Die IG Metall hatte sich im Vorfeld der Tarifrunde für einen Abschluss zur Qualifizierung stark gemacht und einen solchen Tarifvertrag auch durchgesetzt. Beim Lesen des Vertragstextes fallen die Hinweise auf Paragrafen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) auf. In der Tat wird an vielen Punkten nichts anderes getan, als längst bestehende Rechte aus dem BetrVG zu wiederholen und eine Systematisierung nach betrieblich notwendigen Entwicklungsqualifizierungen und nach persönlich-beruflicher Weiterbildung zu machen, mit der Festlegung, dass Beschäftigte bei Entwicklungsqualifizierungen 50% der Qualifizierungszeit als unbezahlte Arbeitszeit einbringen müssen.
Die Umwandlung des Tarifvertrags Vermögenswirksame Leistungen in einen Tarifvertrag Altersvorsorgewirksame Leistungen zeigt einen anderen Punkt der Ambivalenz dieses Tarifergebnisses: Die Kündigung des alten Tarifwerks wurde rückgängig gemacht, aber die Umwidmung in einen in der Zukunft nur als Altersvorsorge möglichen Vertrag demonstriert ein Stück die Kapitulation der IG Metall vor dem Abbauprozess der gesetzlichen Rente.
In den Paragrafen IV und V des zentralen Tarifvertrags ist Dynamit für die Entwicklung der kommenden Tarifrunden versteckt. Zum einen verpflichten sich die Tarifvertragsparteien, über mögliche separate Regelungen bei Arbeits- und Einkommensbedingungen der industriellen Dienstleistungsstrukturen (u.a. Kantinen, Wäschereien, Werksschutz, Instandhaltung, Rechnungswesen) nachzudenken, also über das, was Ergebnis der Auseinandersetzungen bei Daimler-Chrysler gewesen ist. Zum anderen sollen Gespräche über Anreize zur Beschäftigungsförderung noch in diesem Jahr fortgesetzt werden.
Dahinter steckt nichts anderes als die, während der Tarifgespräche von dem Baden-Württemberger Arbeitgebersprecher eingebrachte Idee, als Kompensation für die Kosten von Neueinstellungen die Arbeitszeiten von Beschäftigten unbezahlt zu erhöhen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Tarifrunde mit einem Punktsieg an die IG Metall und ihre Mitglieder gegangen ist, aber nur kurzfristig. In den Vorbereitungen für das Jahr 2007 ist, neben der Auswertung der praktischen Erfahrungen mit der Entgeltdifferenzierung, vor allem ein Riegel vor Sondervereinbarungen für die Dienstleistungsbereiche und jegliche Versuche zu schieben, die Arbeitszeit zu verlängern.

Udo Bonn

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