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Eine der vielen gesundheitspolitischen Informationen aus dem
Bundesgesundheitsministerium (BMGS) von Jahresbeginn, die auch Experten längst schon wieder vergessen
oder übersehen hatten, wurde jetzt doch noch einmal aktuell. Am 2.Januar 2006 hatte es in einer
Pressemitteilung des BMGS geheißen: "Krankenstand mit 3,3% auf historischem Tiefststand. Der
Krankenstand ist im Jahr 2005 weiter gesunken. Er erreichte einen historischen Tiefststand von 3,3%."
Dies gelte sowohl für die "alten" als auch die "neuen" Bundesländer.
Schon im Jahr 2004 war der Krankenstand auf
3,4% und damit auf das niedrigste Niveau seit Einführung der Lohnfortzahlung im Jahr 1970 gesunken,
nachdem er 2003 bei 3,6% und damit erstmals unter 4% gelegen hatte. In den 70er Jahren hatten die
Krankenstände bei über 5%, in den 80er Jahren zwischen 5,7 und 4,4% gelegen. So gleich nach
Neujahr ging diese Meldung fast unter. Doch jetzt bestätigen sowohl die alljährlichen
"Gesundheitsreports" der Betriebskrankenkassen (BKK) wie auch der Deutschen Angestelltenkasse
(DAK) diese Meldungen. Dabei ist nicht uninteressant, wie und welche Daten aus den umfangreichen Studien
besonders gewichtet werden.
Das BMGS hatte hervorgehoben, dass der
niedrige Krankenstand zu einer "deutlichen Entlastung der Arbeitgeber durch sinkende
Lohnnebenkosten" geführt hätte. Im Jahr 2005 waren pro Kalendertag nur noch gut 907000
Pflichtmitglieder der Krankenkassen krankgeschrieben. Nach Schätzungen des BMGS hatte der
Rückgang des Krankenstands allein im Jahr 2004 die Kosten der Lohnfortzahlung um rund 1 Milliarde Euro
verringert. Dieser Trend setzte sich im Jahr 2005 auf geringerem Niveau fort. Auch die Ausgaben der
Krankenkassen für Krankengeld waren in den ersten drei Quartalen deutlich um 7,4% bzw. 358 Mio. Euro
gesunken.
Der BKK Gesundheitsreport 2005 setzte bereits mit dem Titel "Krankheitsentwicklungen
Blickpunkt: Psychische Gesundheit" einen anderen Akzent. Zwar sank der Krankenstand 2004 auf 3,2%
(2003: 3,5%). Gegen den Trend sind jedoch psychische Erkrankungen weiter gestiegen. Von 1997 auf 2004 stieg
die Zahl der Fälle bei psychischen Erkrankungen um 70%. Die psychischen Erkrankungen sind die einzige
Krankheitsart, bei der seit Anfang der Neunzigerjahre eine Zunahme der Arbeitsunfähigkeitstage
(nämlich um +28%) zu verzeichnen war. Sie sind bereits die viertwichtigste Ursache für
Arbeitsunfähigkeit bei Frauen nehmen sie sogar den dritten Rang ein. Fast 10% der Fehltage bei
den aktiv Berufstätigen gehen darauf zurück.
Der Report spiegelt die gesundheitlichen
Befunde etwa eines Viertels der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und jedes/r fünften
GKV-Versicherten in Deutschland wider. Damit geben sie einen repräsentativen Einblick in den Zustand
der psychischen Belastungen der meisten lohnabhängig Beschäftigten.
Im neuen BKK-Bericht werden auch Analysen
zu den Gründen für Arbeitsunfähigkeit (AU) und Krankenhausbehandlungen vorgelegt. Sie
untersuchen neben Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht auch die Bedeutung der sozialen Lage (u.a. durch
gesonderte Berücksichtigung von Arbeitslosen) und weisen die Struktur der Arbeitsunfähigkeit nach
Wirtschaftszweigen und Berufen nach. Sie bieten mehrjährige Vergleiche sowie auch regional
differenzierte Daten.
Auch die DAK hat ihren neuen
Gesundheitsreport vorgelegt. An jedem Tag des Jahres 2004 waren danach von 1000 Arbeitnehmern 32
krankgeschrieben. Mehr als die Hälfte der berufstätigen DAK-Mitglieder war jedoch das ganze Jahr
über kein einziges Mal krank. Damit lag der Krankenstand bei den DAK-Versicherten auf dem niedrigsten
Wert seit 1998. Dies ergab die Auswertung der Krankschreibungen von 2,6 Millionen erwerbstätigen DAK-
Mitgliedern im Jahr 2004. Insgesamt liegt der Krankenstand in den östlichen Bundesländern
über den Werten in den westlichen Bundesländern. In den "alten" Bundesländern (mit
Berlin) beträgt er durchschnittlich 3%, in den "neuen" Bundesländern 3,8%.
Die wichtigste Rolle spielen Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems. Auf sie entfallen nahezu ein
Viertel (22,6%) aller Krankheitstage. Zweitwichtigste Gruppe sind die Erkrankungen des Atmungssystems mit
einem Anteil von 15,5% am Krankenstand. An dritter Stelle stehen mit 14,4% die Verletzungen. Die
psychischen Erkrankungen sind die viertgrößte Krankheitsart. 9,8% des Krankenstandes gehen auf
psychische Erkrankungen zurück, ihr Anteil ist damit gegenüber dem Vorjahr noch einmal deutlich
gestiegen (2003: 8,8%). Gegen den Trend allgemein sinkender Krankenstände stieg seit 2000 die Zahl der
Krankheitstage aufgrund depressiver Störungen um 42%. Bei Angststörungen betrug der Anstieg 27%.
An fünfter und sechster Stelle stehen Erkrankungen des Verdauungssystems und des Kreislaufsystems mit
7,2 und 5,6%.
Der Krankenstand der Männer lag 2004
mit 3,1% unter dem der weiblichen Versicherten (3,3%). Männer waren im Durchschnitt 11,2 Tage, Frauen
dagegen 12,2 Tage krank. Frauen sind häufiger wegen psychischer Erkrankungen arbeitsunfähig und
von Angststörungen und Depressionen betroffen. Dementsprechend weisen sie auch erheblich mehr
Krankheitstage und -fälle auf. Angststörungen und Depressionen sind die häufigsten
psychischen Krankheiten in Deutschland.
In den jüngeren Altersgruppen ist ein
überproportionaler Anstieg der psychischen Erkrankungen zu verzeichnen. Hier sind die Altersgruppen
der 15- bis 29-Jährigen (bei den Frauen) bzw. der 15- bis 34-Jährigen (bei den Männern)
besonders stark betroffen. Zwischen 1997 und 2004 wiesen die jüngeren Altersgruppen zum Teil sogar
eine Verdoppelung der Erkrankungsfälle auf. So hatten beispielsweise die Männer im Alter von 25
bis 29 Jahren einen Anstieg um 106%. Bei den Frauen zwischen 20 und 24 Jahren gab es sogar eine Zunahme um
123%.
Die Analysen des Berichts geben nach Darstellung der DAK wichtige Aufschlüsse über den
unterschiedlichen Umgang mit psychischen Erkrankungen: Jeder siebte Berufstätige ist oder war schon
einmal wegen eines psychischen Problems in professioneller Behandlung.
Die Bevölkerung zeigt sich dabei auf
den ersten Blick erstaunlich und zunehmend tolerant gegenüber psychischen Erkrankungen. 82% meinen,
dass diese als Krankheiten akzeptiert werden. Mehr als zwei Drittel (70%) könnten sich ohne weiteres
vorstellen, deshalb einen Arzt oder Therapeuten aufzusuchen. Das Ergebnis spricht auf den ersten Blick
gegen eine fortbestehende Tabuisierung. Doch das gilt nicht ohne eine entscheidende Einschränkung: In
der betrieblichen Realität ergibt sich nämlich ein ganz anderes Bild. 30% der
Arbeit"nehmer" meinen, dass Vorgesetzte wenig Verständnis haben, wenn ein Mitarbeiter wegen
psychischer Probleme nicht am Arbeitsplatz erscheint. Mehr als der Hälfte (56%) wäre es
gegenüber dem Arbeit"geber" unangenehmer, wegen psychischer Probleme am Arbeitsplatz zu
fehlen als wegen anderer Krankheiten. Immerhin 26% meinen auch, dass psychische Erkrankungen oft als
"Vorwand für Blaumacherei" ge- bzw. missbraucht werden.
Die DAK hat 22 wissenschaftliche Experten
zur Zunahme der psychischen Erkrankungen befragt. Die Mehrheit der Fachleute kommt zu dem Schluss, dass es
in Wirklichkeit noch mehr Fälle gibt. Darüber hinaus meinen die Experten, dass Patienten heute
wegen psychischer Probleme eher einen Arzt oder Psychologen aufsuchen als früher. Außerdem gehe
die moderne Arbeitswelt häufig mit schlechteren Rahmenbedingungen für Menschen einher, die
anfälliger für eine psychische Erkrankung sind.
"Angststörungen und Depressionen
werden immer mehr zu Volkskrankheiten der Zukunft. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit reagieren
offensichtlich auch mehr junge Menschen mit psychischen Problemen auf berufliche und private
Anforderungen", kommentiert DAK-Chef H.Rebscher die Ergebnisse.
Hans-Peter Brenner
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