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Bislang bestand die Haltung der Bush-Administration gegenüber China vor
allem in der Sorge über die wachsende wirtschaftliche Stärke des asiatischen Landes. Doch
mittlerweile bereitet Washington einen neuen Kalten Krieg vor.
Seit ihrer Amtsübernahme hat die Bush-Administration um ihre Haltung gegenüber dem
langfristig kritischsten strategischen Problem für die USA gerungen: ob China als zukünftiger
militärischer Gegner zu betrachten ist und dementsprechend Pläne zu machen sind oder ob es als
Rivale im globalen kapitalistischen System anzusehen ist. Vertreter beider Perspektiven befinden sich in
den Führungskreisen der Administration, und das Pendel ist periodisch auf die eine oder die andere
Seite ausgeschlagen. Doch nach einem Zeitraum von vier Jahren, in dem keiner der beiden Sichtweisen zu
dominieren schien, hat sich das Pendel nun sichtbar auf die Seite der antichinesischen, für die
Kriegsvorbereitung eintretende Seite geneigt. Drei Ereignisse sprechen für diese Änderung der
Haltung.
Das erste war die Verabschiedung einer
offiziellen Erklärung, die sich am 19.Februar 2005 für ein verbessertes Sicherheitsbündnis
zwischen Japan und den USA aussprach. Die bloße Tatsache, dass US-amerikanische und japanische
Offizielle derartiges erörterten, erfüllte die Chinesen mit Sorge, doch was Peking am meisten
erbitterte, war, dass die Erklärung sich für gemeinsame amerikanisch-japanische Anstrengungen
aussprach, eine «friedliche Lösung von Fragen, die die Straße von Taiwan betreffen, zu
ermutigen».
Das zweite Schlüsselereignis war eine
Rede, die Rumsfeld am 4.Juni auf einer Strategiekonferenz in Singapur hielt. Mit perfekter Unaufrichtigkeit
stellte er fest: «Keine Nation bedroht China, und so muss man sich doch fragen: Warum diese wachsenden
Investitionen? Wieso diese fortgesetzten umfassenden und massiver werdenden Waffeneinkäufe? Wieso
diese fortgesetzten massiven Truppenaufmärsche?» Rumsfeld stellte Chinas militärische
Absichten auch im Oktober während seines Besuchs in Peking in Frage.
Peking muss über diese Kommentare
erstaunt gewesen sein. Niemand bedroht China? Was ist mit den US-Plänen und -Kriegsschiffen, die sich
ständig vor der chinesischen Küste aufhalten, mit den US-Nuklearraketen, die auf China gerichtet
sind? Was ist mit den in den letzten zehn Jahren von den USA an Taiwan gelieferten, immer
schlagkräftiger werdenden Waffen? Was ist mit den US-Basen, die China von allen Seiten einkreisen?
Das dritte bemerkenswerte Ereignis war im
Juli die Veröffentlichung des Pentagon-Berichts über die militärische Schlagkraft Chinas,
The Military Power of the Peoples Republic of China. Die veröffentlichte Version ist im Ton
vielfach maßvoll. Doch die Hauptstoßrichtung des Berichts ist, dass China seine Fähigkeit,
Kriege außerhalb seines eigenen Territoriums zu führen, erweitert und dass dies für die
globale Ordnung eine gefährliche Herausforderung darstellt.
Das Pentagon geht zu einer streitbareren
antichinesischen Haltung über eine Haltung, die die Wahrscheinlichkeit eines militärischen
Wettlaufs zwischen den USA und China deutlich erhöht. Was steckt hinter dieser aktuellen Verschiebung?
Zu ihren Wurzeln gehört der fortgesetzte Einfluss konservativer Strategen, die seit langem für
eine Politik permanenter militärischer US-Dominanz eintreten. Diese Auffassung kam zum ersten Mal 1992
zum Ausdruck im Defense Planning Guidance für die Steuerperiode 19941999, eine Blaupause
für die US-Vorherrschaft in der Ära nach dem Ende des Kalten Krieges.
Im neuen Jahrhundert kann die explizite
Aufforderung, das Entstehen eines neuen Rivalen zu verhindern, «der eine Bedrohung in der
Größenordnung derjenigen der früheren Sowjetunion darstellt», sich nur auf China
beziehen, da kein anderer potenzieller Gegner über eine glaubwürdige Fähigkeit verfügt,
«zu einer globalen Macht zu werden». Somit verlangt der langfristige Erhalt der amerikanischen
Vorherrschaft die permanente Eindämmung Chinas und genau dies haben sich die Rice, Rumsfeld und
Co. vorgenommen, als sie Anfang 2001 ihre Posten übernahmen.
Dieses Projekt lief schon an, als die
Angriffe des 11.September stattfanden. Sie gaben den Neokonservativen grünes Licht für ihre
ehrgeizigen Pläne, die Macht der USA über die ganze Welt auszubreiten. Doch die
Schwerpunktverlagerung von der Blockade künftiger Rivalen zum Kampf gegen den Terrorismus ärgerte
viele, die glaubten, dass der große Feldzug zur Eindämmung Chinas an Schwung verlieren
würde. Zumindest einige US-Strategen, ganz zu schweigen von den riesigen Rüstungsunternehmen,
sahen im «Krieg gegen den Terror» eine Ablenkung, die zu ertragen sei, bis die Zeit reif sei
für eine Wiederaufnahme der im Februar 2001 begonnenen antichinesischen Initiativen. Dieser Moment
scheint nun gekommen zu sein.
Warum jetzt? Mehrere Faktoren erklären
den Zeitpunkt dieser Verschiebung. Der erste ist zweifellos der Überdruss der Öffentlichkeit am
«Krieg gegen den Terror» und ein wachsendes Bewusstsein unter den US-Militärs, dass der
Krieg im Irak zu einer Pattsituation geführt hat. Solange die öffentliche Aufmerksamkeit auf die
täglichen Rückschläge und die Verluste an Menschenleben im Irak gerichtet ist und,
seit Ende August, auf die Verwüstung durch den Hurrikan Katrina , wird die Unterstützung
für die Militärpolitik des Präsidenten zurückgehen.
Gleichzeitig hat Chinas gewaltige
wirtschaftliche Expansion schließlich begonnen, sich in eine Verbesserung seiner militärischen
Kapazitäten umzusetzen. Wenngleich die meisten chinesischen Waffen hoffnungslos veraltet sind
in den meisten Fällen stammen sie von sowjetischen Modellen aus den 50er und 60er Jahren ab ,
hat Peking einen Teil seines neuen Reichtums dazu verwendet, von Russland relativ moderne Waffen zu kaufen,
darunter Kampfflugzeuge, Unterseeboote und Zerstörer. China hat auch sein Arsenal an
Kurzstreckenraketen erweitert, von denen viele in der Lage sind, Taiwan und Japan zu erreichen.
Unter diesen Umständen erscheint
einigen im militärischen Establishment der USA die Möglichkeit eines rasanten
Rüstungswettlaufs mit China als ungewöhnlich vielversprechend. Dabei sind keinerlei amerikanische
Menschenleben gefährdet. Jedes Blutvergießen, sollte es dazu kommen, liegt in ferner Zukunft.
Diese Schritte werden durch einen
jüngsten Anstieg in antichinesischen Gefühlen unter der Bevölkerung gestützt, die zum
Teil durch hohe Benzinpreise (die viele auf Chinas Durst nach Öl zurückführen), durch den
stetigen Verlust amerikanischer Arbeitsplätze an die chinesische Niedriglohnindustrie sowie durch die
(scheinbar) unverschämten Bemühungen von Chinas führender Ölgesellschaft, den Konzern
Unocal zu erwerben, hervorgerufen wurden. Die Erkenntnis wächst, dass die USA und China an einem
Wettstreit mit einem hohen Einsatz beteiligt sind, bei dem es um die Kontrolle der Ölvorräte der
restlichen Welt geht.
Anfänglich war die Diskussion
über Chinas verstärktes Streben nach ausländischem Öl weitgehend auf die
Wirtschaftspresse begrenzt. Aber jetzt wird es zum ersten Mal als eine Angelegenheit der nationalen
Sicherheit betrachtet, d.h. als ein entscheidender Faktor für die Gestaltung der US-
Militärpolitik. Offizieller Ausdruck wurde dem zum ersten Mal durch den oben erwähnten Pentagon-
Bericht über Chinas Militärmacht verliehen: «China wurde 2003 zum zweitgrößten
Konsumenten und drittgrößten Importeur von Öl.»
Während wahrscheinlich nichts von
alldem einen sofortigen Bruch der amerikanisch-chinesischen Beziehungen herbeiführen wird die
eine wirtschaftliche Zusammenarbeit befürwortenden Kräfte sind dazu zu stark , sind
energische Forderungen nach einer ehrgeizigen US-Kampagne zur Neutralisierung der jüngsten
militärischen Initiativen Chinas zu erwarten.
Diese Kampagne wird zwei Formen annehmen:
erstens die Bemühung, weitere Gewinne Chinas an militärischer Stärke durch eine permanente
militärtechnologische Überlegenheit der USA zu durchkreuzen; zweitens die fortgesetzte
Einkreisung Chinas durch den weiteren Erwerb von Militärbasen und der Errichtung einer von den USA
geführten antichinesischen Allianz.
Elemente dieser Strategie lassen sich bspw.
in der Aussage von Admiral William Fallon, dem Kommandeur des US Pacific Command, vom 8.März 2005 vor
dem Senate Armed Services Committee ausmachen. Um Chinas jüngste Initiativen zu kontern, rief Fallon
dazu auf, die Kampfkraft der US-Streitkräfte bei der Abwehr von Raketen und U-Booten zu stärken
und die militärischen Bande Amerikas mit seinen alten und neuen Bündnispartnern der Region zu
festigen. Bezüglich der Raketenabwehr bemerkte er bspw., dass «die Entwicklung eines wirksamen,
integrierten und abgestuften Systems gegen Marschflugkörper oberste Priorität» haben sollte.
Man beachte, dass Fallon nicht von einem
Konflikt spricht, der im zentralen oder östlichen Pazifik, in Reichweite der amerikanischen
Küsten, geschehen kann; er spricht vielmehr von einem Sieg über chinesische Streitkräfte in
deren Gewässern, an der westlichen Flanke des Pazifik. Dass die Strategie der USA auf die
Eindämmung Chinas auf dessen eigenem Gebiet zielt, geht außerdem deutlich aus den Plänen
hervor, die er für den Zweck einer verbesserten militärischen Kooperation mit den
Verbündeten der USA in der Region beschreibt.
Typischerweise sollen zu dieser Kooperation
die Lieferung von Waffen und militärischer Beihilfe, gemeinsame Manöver, die
regelmäßige Beratung unter den hochrangigen Offizieren und in einigen Fällen die Ausweitung
(oder Errichtung) von US-Militärbasen gehören.
Die chinesische Führung ist sich ihrer
krassen militärischen Unterlegenheit gegenüber den USA bewusst und wird daher
erwartungsgemäß eine riskante Konfrontation mit Washington zu vermeiden suchen. Aber jede Nation,
die vor ihren Küsten mit der massiven militärischen Aufrüstung eines potenziellen
Kontrahenten konfrontiert wird, muss sich bedroht fühlen und wird dementsprechend antworten. Für
China, das in den letzten Jahrhunderten wiederholt Opfer von Invasionen war und von fremden Truppen besetzt
wurde und das in Korea und Vietnam mit den US-Streitkräften kollidierte, muss die US-Aufrüstung
vor seiner Haustür besonders bedrohlich erscheinen.
Es ist daher kaum überraschend, dass
Peking nach modernen Waffen und Kapazitäten gestrebt hat, um den wachsenden Vorsprung Amerikas
auszugleichen. Es überrascht auch nicht, dass China bestrebt war, seine militärischen
Verbindungen mit Russland zu festigen die beiden Länder hielten im August gemeinsame
Manöver ab, die erste bedeutende Demonstration militärischer Zusammenarbeit der beiden
Länder seit dem Koreakrieg und seine Nachbarn davon abzuhalten, US-Basen zu beherbergen.
Wenngleich von Natur aus defensiv, werden diese Schritte jenen in Washington zusätzliche Munition
liefern, die darin eine chinesische Kampagne um regionale Hegemonie sehen und daher eine noch
größere US-Kapazität anstreben, um Chinas Streitmacht zu übertreffen.
Dies alles führt dazu, dass das Pendel
weiter zugunsten einer feindseligeren Haltung der USA gegenüber China ausschlägt. Doch ein
solches Resultat ist nicht vorherbestimmt. Zukünftige ökonomische Faktoren ein starker
Anstieg der US-Zinsraten bspw. könnten jene in Washington stärken, die einen Bruch in den
amerikanisch-chinesischen Beziehungen verhüten wollen.
Die Debatte über Chinas
militärische Stärke und die angebliche Notwendigkeit für eine stärkere Aufrüstung
der USA, um Chinas jüngste Anschaffungen neuer Waffen zu kontern, wird in den kommenden Monaten und
Jahren zunehmend hitziger werden. Die Infragestellung der übertriebenen Behauptungen des Pentagon
hinsichtlich der Stärke Chinas und der Widerstand gegen den Trend zu einer raueren militärischen
Gangart gegenüber China sind wesentlich, wenn wir einen kostspieligen und gefährlichen Kurs
vermeiden wollen.
Michael T. Klare
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