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Am 1.Mai verkündete Boliviens Präsident Evo Morales die
Verstaatlichung der Gasvorkommen des Landes und damit ein Ende der "Ausplünderung nationaler
Ressourcen durch internationale Ölkonzerne". "Der ersehnte historische Tag ist
gekommen", so Morales, "an dem Bolivien die Kontrolle über seine nationalen Reichtümer
wieder übernimmt."
Das Dekret des Präsidenten, das dem
bolivianischen Staat die totale Kontrolle über alle Aspekte der Öl- und Gasproduktion und -
verteilung verleiht, wurde verlesen, als bolivianische Streitkräfte begannen Gasfelder und -stationen
zu besetzen. Das Dekret gab auch die Enteignung notwendiger Anteile bekannt, wodurch die staatliche
Kohlenwasserstoffgesellschaft YPFB eine 51%ige Kontrolle über fünf Unternehmen erhält, die
unter dem Kohlenwasserstoffgesetz von 1997 privatisiert worden waren, darunter Produktionsgesellschaften
und eine Raffinerie.
Allen transnationalen Konzernen in Bolivien
wurde eine 180-tägige Frist eingeräumt, Verträge mit neuen Regularien auszuhandeln, durch
die für die Gesellschaften, die auf den beiden größten Gasfeldern des Landes operieren
(Petrobras, Repsol und Total), die Steuern und Lizenzgebühren um 5082% steigen. Dies betrifft
70% des bolivianischen Naturgases. Boliviens Einnahmen sollen dabei von 140 Millionen US-Dollar nach dem
Gesetz von 1997 auf 780 Millionen Dollar nach dem neuen Gesetz steigen.
Eine Prüfung von Investitionen und
Einnahmen bei allen anderen in Bolivien aktiven Öl- und Gasgesellschaften wird durch eine neu
errichtete Prüfungskommission durchgeführt, um zu bestimmen, welche Steuerzahlungen von diesen
Unternehmen zu verlangen sind.
Während der letzten sechs Jahren
intensiver sozialer Auseinandersetzungen wurde die Forderung nach der Verstaatlichung des Gases nach und
nach zum Brennpunkt für Boliviens machtvolle sozialen Bewegungen. Obwohl sich in Bolivien die
zweitgrößten Gasvorkommen in Südamerika befinden, ist das Land das ärmste der Region.
Als der frühere Präsident Gonzalo
Sánchez de Lozada im Jahr 2003 versuchte ein Abkommen zu unterzeichnen, laut dem das bolivianische Gas
deutlich unter Marktpreis an die USA verkauft werden sollte, wurde der Präsident durch eine
Massenerhebung, die von der kämpferischen Bevölkerung der Stadt El Alto angeführt wurde, aus
dem Land gejagt.
Keine zwei Jahre später wurde auch
sein Nachfolger Carlos Mesa gestürzt, nachdem ein kontroverses Kohlenwasserstoffgesetz verabschiedet
worden war, das die Forderungen der Massen nicht ausreichend berücksichtigt hatte. Diesmal standen die
sozialen Bewegungen geschlossen hinter der Forderung nach Verstaatlichung.
Aus diesem Aufschwung der Kämpfe stieg
Evo Morales, ein indigener Gewerkschaftsführer der Kokabauern, zu nationaler und internationaler
Bekanntheit auf. Nachdem er bei den Präsidentschaftswahlen von 2002 als Kandidat der Bewegung zum
Sozialismus (MAS) nur knapp geschlagen zweiter geworden war, wurde er am 18.Dezember 2005 mit einem
historischen Stimmenanteil von 54% zum Präsidenten gewählt.
Morales Kohlenwasserstoffpolitik
radikalisierte sich während dieser Periode; sie entwickelte sich von der Befürwortung einer
50:50-Teilung des Kuchens zwischen den Unternehmen und dem Staat zur Unterstützung für eine
Verstaatlichung eine Entwicklung, zu der ihn z.T. die sozialen Bewegungen gedrängt haben, die
seine soziale Basis darstellen.
Später am 1.Mai äußerte
Morales in einer Rede in La Paz, dass die Verstaatlichung von Boliviens Kohlenwasserstoff "bloß
der Anfang ist … Morgen sind die Bergwerke, die Wälder und alle natürlichen Ressourcen an
der Reihe."
Die Verstaatlichung hat den
imperialistischen Interessen in Bolivien einen Schlag versetzt. Antoni Brufau, Vorsitzender von Repsol,
äußerte: "Wir betrachten die Nachricht mit großer Sorge … Es ist eine Sache, die
aus dem logischen Rahmen herausfällt, der die geschäftlichen Beziehungen zwischen dem Staat und
den Unternehmen leiten sollte." Doch der spanische Konzern hat, wie auch die anderen internationalen
Gaskonzerne, deutlich die Absicht geäußert, mit der bolivianischen Regierung neue Verträge
auszuhanden, statt sich zurückzuziehen.
Ein Sprecher des brasilianischen
Ministeriums für Bergbau und Energie bezeichnete die Verstaatlichung als "keine freundliche
Geste", sondern eher als "eine, die als ein Bruch unseres Einvernehmens mit Bolivien verstanden
werden könnte". Petrobras ist teilweise im Besitz der brasilianischen Regierung und der
größte Investor in Bolivien; 67% von Brasiliens Gas kommt aus Bolivien.
Brasiliens Präsident Lula sprach am
Tag nach der Ankündigung der Verstaatlichungen telefonisch mit Morales und nach dem Gespräch gab
die brasilianische Regierung eine Stellungnahme heraus, die Boliviens Maßnahme als "Akt der
Souveränität" bezeichnet und hervorhebt, dass die brasilianische Regierung "entschieden
und besonnen handeln wird, um die Interessen von Petrobras zu wahren".
Die venezolanische Regierung erklärte
ihre Unterstützung für Bolivien und hat die Absicht, mittels ihrer staatlichen
Ölgesellschaft PDVSA einen neuen Vertrag zur Errichtung einer Fabrik für die Trennung von
Ethanol, Propan und Methanol (Bestandteile von Naturgas) abzuschließen.
Auch die kubanische Regierung hat ihre
Unterstützung zum Ausdruck gebracht. Ricardo Alarcón, der Präsident der kubanischen
Nationalversammlung, rief zur Bildung einer "antifaschistischen Einheitsfront" zwecks
Unterstützung der Schritte von Morales auf.
Boliviens Vizepräsident Alvaro
García Linera erklärte, dass "diese heroische und patriotische Entscheidung, die uns unsere
Seele, unsere Würde, unsere Geschichte zurückgibt, von Konservativen attackiert werden wird
… Wir müssen sie verteidigen und wir werden keinerlei Druck von einem ausländischen
Unternehmen akzeptieren." García Linera erklärte, dass es für die Durchsetzung des
Dekrets nicht genug sei, sich auf Morales, die Polizei oder das Militär zu stützen und fügte
hinzu: "Wir brauchen die Mobilisierung jedes einzelnen. Das Vaterland muss durch die Mobilisierung der
8,5 Millionen Bolivianer verteidigt werden."
Federico Fuentes
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