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Wenige Wochen nach der Verstaatlichung der Gasressourcen des Landes geht die bolivianische
Regierung vo Evo Morales die explosive Frage der Agrarreform an. Vizepräsident Alvaro García Linera
verkündete, dass große Flächen Agrarlandes neu an "Bauern und indigene Gemeinschaften" verteilt
würden.
Indem die Regierung Morales eine Reihe durchgreifender
Vorschläge für die Agrargesetzgebung macht, greift sie die Wirtschaftsinteressen der Elite im Osten des Landes an.
Dort befinden sich die größten Latifundien, viele davon in den letzten dreißig Jahren durch politische
Korruption oder Bodenspekulation erworben.
Bolivien hat ein zweigeteiltes Landsystem mit Minifundias und
Subsistenzwirtschaft im Westen und mit an Latifundias gebundenen kapitalistischen Betrieben im Osten. Die florierenden
Besitzungen produzieren Sojabohnen, Vieh und andere Exportwaren, die eine reiche Bourgeoisie geschaffen haben, die ihre Basis
in Santa Cruz, der drittgrößten Stadt Boliviens, hat.
Von Boliviens knapp 9 Millionen Einwohnern leben 3,5
Millionen auf dem Land, von denen 80% unter der Armutsgrenze leben. García Linera hob in seiner Rede über die
Agrarreform hervor, dass 40% der Bauern und der Bewohner der indigenen Agrargemeinschaften unter der Bedingung extremer Armut
leben, indem sie weniger als 600 Dollar im Jahr verdienen. Die indigenen Frauen sind das schwächste Glied dieser Kette
der Ausbeutung. Deshalb bemerkte der Vizepräsident, dass die Frauen bei der geplanten Neuverteilung des Landes besonders
berücksichtigt werden sollen.
Der ethnische Charakter dieser Armut nährte die massive
Unzufriedenheit, die zum Triumph von Evo Morales geführt hat, des ersten indigenen Präsidenten des Landes. Viele
landlose Bauern, vorwiegend mit Quechua- oder Aymara-Hintergrund, sind aus den Andengebieten des Westens in die Ebenen im
Osten gewandert. Dort arbeiten sie oft unter Bedingungen schlimmster Knechtschaft auf den großen Ländereien
nichtindigener Besitzer, von denen viele große Landstriche ungenutzten Landes beanspruchen, das sie sich weigern zu
verkaufen oder an die landlosen Indios zu verteilen.
Die bolivianische Landlosenbewegung hat in den letzten Jahren
einige dieser brachliegenden Ländereien besetzt und stieß dabei auf den gewaltsamen Widerstand der
Großgrundbesitzer. Die Morales-Regierung will nun viele der von ihr vorgeschlagenen Änderungen der
Agrargesetzgebung per Dekret und durch den Kongress einführen. Sollte sie dabei auf eine nachhaltige Opposition
stoßen, will sie die Verfassunggebende Versammlung, deren Wahl für Anfang Juli angesetzt ist, dazu verwenden, die
Agrarpolitik des Landes umzustrukturieren und ihre politischen Institutionen zu verändern.
Teile der Landbourgeoisie von Santa Cruz haben bereits ihre
entschiedene Opposition gegen die Vorschläge der Regierung für eine Agrarreform angekündigt, obwohl die
Regierung angeboten hat, die Gesetzgebung mit ihnen zu diskutieren. José Céspedes, der Sprecher der Agrar- und
Viehbarone, erklärte: "Die Worte Alvaro García Lineras sind offenkundig politischer Natur. Sie zielen darauf
ab, Stimmen in der Verfassunggebenden Versammlung zu fangen und ihre Tagesordnung zu bestimmen … Wenn die Rechte der
Landeigentümer verletzt werden, wird es eine gewaltsame Antwort geben."
Noch bevor García Linera die Position der Regierung zur
Agrarreform öffentlich verkündet hatte, gaben nahezu alle Unternehmerverbände von Santa Cruz eine
Erklärung heraus, in der sie "ihre tiefe Sorge über die Maßnahmen zur Agrarreform seitens der Regierung
Morales" zum Ausdruck brachten.
Während viele Bauern- und Indígena-Organisationen
die geplanten Agrarreformen rundweg begrüßten, drückten einige der führenden Persönlichkeiten
Vorbehalte aus. Felipe Quispe, der frühere Kopf der bolivianischen Landarbeitergewerkschaft, der des öfteren
Morales von links kritisiert hatte, sagte: "Die Regierung begeht einen Fehler, wenn sie den Großgrundbesitzern, die
die Bauern stets ausgebeutet haben, anbietet, die Pläne zur Agrarreform mit ihnen zu diskutieren."
Militante indigene Bewegungen haben bereits ihre Absicht
bekundet, große Besitzungen zu übernehmen: "Dieses Land wird automatisch genommen, denn es gehört
uns." Ein Vertreter der Großgrundbesitzer gab zurück: "Dies ist ein illegitimer Anschlag, und wir werden
unser privates Eigentum mit Entschlossenheit verteidigen."
Mit den im Mai ergriffenen historischen Initiativen sind die
Würfel gefallen. Evo Morales sieht sich zwei mächtigen Gegnern gegenüber, den ausländischen
Energiekonzernen und der bolivianischen Bourgeoisie von Santa Cruz.
Roger Burbach/d.Red.
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