SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2006, Seite 21

Phantom/Ghost

three, LADO

Was passiert, wenn zwei Musiker der Hamburger Schule die sich in verschiedenen Projekten tummeln, beim Nachspielen von John Cale und Leonard Cohen musikalisch aufeinander zugehen? Wenn sie dann noch das gemeinsame "Angeödetsein" entdecken, von der gnadenlosen Textinterpretation, die keine Dichtung einfach einmal so stehen lassen und genießen kann? Sie gründen eine Band, die "erst einmal eine Stimmung schafft, die völlig unauthentisch ist". Sie haben Spaß daran, Rätsel zu schaffen, die man nicht lösen kann, weil es sich oft dabei einfach um Quatsch handelt. Bei ihrer dritten LP nennen Dirk von Lowtzow und Thies Mynther diese Mischung "pseudowissenschaftlichen Schabernack in einer Zeit, die besessen ist von Authentizität". Musikalisch hatten die beiden besonders in ihrer zweiten LP-Produktion To Damascus hier und da zum Tanz animiert. Die elektronischen Beats drängten sich ein ums andere Mal in den Vordergrund. Three dagegen ist eher eher ein Songwriter-Album der besonderen Art.
Das beginnt mit einer herrlich düsteren Ballade über die Tannis-Wurzel aus Rosemarie‘s Baby. Von Lowtzows akustische Gitarre wird von Mynthers elektronischen Sounds in eine Stimmung eingebettet, in der langsame Bässe, Lagerfeuerknistern und Rabengeschrei Unheimlichkeit herstellen. Wenn dann Michaela Meise als Gastsängerin einsetzt, ist ein Schaudern ebenso wie ein wohliges Grinsen die unweigerliche Reaktion. Weiter geht es mit "Relax, it‘s only a ghost". Von Lowtzow singt die englischsprachigen Songs mit gekünstelt deutschem Akzent. Dabei setzt Mynther die Hall- und Echoeffekte so ein, dass unklar bleibt, wo eigentlich gesungen wird. Elektronic Folk, ist wohl die richtige Umschreibung für diese Musik, und es bleiben dabei sehr wohl Anknüpfungen zu Leonard Cohen, John Cale und der Incredible String Band. Aber auch zu CocoRosie, die mit ihrer abgefahrenen Musik wohl die größte Bereicherung der Popmusik in den letzten Jahren waren.
Bei "All is hell" kommen die beiden Musiker gar beim Kunstlied an und persiflieren es zugleich. Wenn die Information über die gewollt fehlende Authenzität und den pseudowissenschaftlichen Schabernack nicht publik wäre, würden spätestens bei diesem Lied die abgründigsten Interpretationen beginnen. Schade eigentlich, es wären sicherlich Entdeckungen in den Untiefen des Songs gemacht worden, an denen sich nicht zuletzt die Künstler hätten erfreuen können.
Auch wenn Phantom/Ghost in "Where more gifted people cracked" beschwören: "The absolut grey I can‘t keep it away", ist es genau das, was sie leisten. Schwarze düstere Stimmung, und dennoch klare geradezu helle Strukturen. Wenn im letzten Lied noch Willow Rosenberg, die Streberin aus Buffy, zum Schulschwänzen aufgefordert wird, ist der Nonsens perfekt.
Was Dirk von Lowtzow und Thies Mynther mit Three hier im Vinyl-LP-Format (ca. 40 Minuten) abgeliefert haben, ist nicht nur schaurig lustiger Elektronic Folk, sondern hier werden Hermeneutik und Dekonstruktion beide gnadenlos vor die Wand gefahren.
So unterschiedlich die Ansätze dieser Schulen sind, so chancenlos stehen sie gemeinsam einer derartigen Liedproduktion gegenüber, und das macht zusätzlich Freude. Die Stimmung ist sicherlich live am ehesten in dunklen Kellergewölben zu genießen und setzt dort diese Freude vielleicht in ein angenehmes Philosophieren um, jenseits des utilitaristischen Zwangs, ein sinnhaftes Ziel zu verfolgen.
Auf der CD-Version findet sich außerdem eine Videoproduktion zu "Relax, it‘s only a ghost", die sich bei ihrem Versuch, die musikalische Stimmung umzusetzen, zwar Mühe gibt, aber hier ist gut gemeint halt nicht wirklich gut. Doch kann das nicht zur Abwertung einer musikalischen Produktion führen, die auch beim x-maligen Hören noch nicht langweilig ist.

Thomas Schroedter

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