SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2006, Seite 04

Nie wieder Deutschland

Kolumne

von THIES GLEISS

Unser Lieblingswitz geht so: Kommt ein harmloses Männchen in einen Flaggenladen und sagt: "Ich hätte gerne eine neue Nationalfahne, am liebsten eine grüne." "Tut mir leid", antwortet der Verkäufer, "wir haben nur Schwarz-Rot- Gold." "In Ordnung", antwortet das Männchen, "dann nehme ich die rote." Es ist nicht anzunehmen, dass die vielen harmlosen Männchen der Jetztzeit, ebenso wenig wie die viel zu vielen Frauen, ihre Entscheidung, ihr Heim und Auto in diesen Tagen mit Schwarz-Rot-Gold zu schmücken, auch nur einen Augenblick überdacht haben. Eine innere Stimme scheint ihnen befohlen zu haben, dass ab heute zum Feiern nicht nur Schnaps und andere Drogen, sondern auch ein nationalistisches Winkelement gehört. Als ob die Stimmung dadurch besser würde. Ja, der alte Arthur Schopenhauer hatte schon Recht mit seiner Bemerkung: "Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen."
Natürlich sind die nationalistische Orgie anlässlich der Fußball-WM und der Rausch der Fans für sich genommen harmlos und eine in Bangladesh genähte und gefärbte Fahne mit Plastikstängel aus Taiwan ist als Waffe allemal weniger gefährlich als ein Baseballschläger oder Klappmesser, und der ungleiche Tausch in der globalisierten kapitalistischen Welt wird dadurch auch nicht ungleicher.
Aber dennoch empfehlen wir allen, lieber den Spielverderber zu spielen. So wie es Sinn macht, den Alkis und Junkies jederzeit deutlich zu machen und notfalls zu helfen, es geht auch ohne, so wäre heute in Kneipen und Bürgerzentren, in den Stadien und den — ach wie deutsch — Plätzen des Public Viewing die freche Losung angebracht: Nie wieder Deutschland. Hat sie in den 90er Jahren als intellektueller Rest einer sich aus der Politik verabschiedenden Fraktion der radikalen Linken niemals für eine neue politische Perspektive ausgereicht, um einen erfrischenden Farbtupfer in der schwarz-rot-goldenen Massenhysterie zu setzen, ist sie heute allemal gut.
Aber stattdessen beeilen sich linke Wortführer, ihren Part bei dem angeblich "gesunden" und "unverkrampften" Patriotismus-Revival zu spielen, oder schwingen sich, wie der Schreiber vom Deutschland-Magazin Der Spiegel, Matthias Matussek, zum Chefideologen der neuen, "harmlosen, freudigen und unverkrampften" Deutschland-Welle auf. Gregor Gysi bekennt sich zum Umdenken und Aufstehen, wenn die Nationalhymne erklingt. Die neue deutsche Jugend sei aufgeklärt und würde weder Opfer noch Täter des tumben Nationalismus werden.
Der Plan der scheinbar so surrealen Kampagne "Du bist Deutschland" scheint in den letzten Wochen ebenso aufgegangen zu sein, wie die Hoffnung der Schwarz-Roten Koalition, sich wenigstens kurzfristig noch mit Gold zu schmücken. Wenn schon die Kapitalisten nicht mehr patriotisch sind, so sollen es die Massen umso mehr sein. Das Millionenspektakel der Fußballföderation, der Terror einer geld- und machtgeilen Altemänner- Riege über die ganze Republik, hat diese Funktion nicht zufällig, sondern bewusst geplant.
Wie sollen die Millionen Menschen, die mit dieser Gesellschaft keinen Identität stiftenden Frieden mehr finden, die sich bei Wahlen verweigern und sich trotz Massenberieselung nicht von ihren Spargroschen zugunsten der Umsätze der Konzerne trennen wollen, denn anders begeistert werden, als durch scheinbar "harmlose" und "unverkrampfte" patriotische Spielerei? Sind Loveparade, Karneval, Konsumfeste jeder Art immer direkte Inszenierungen einzelner, meist ziemlich am materiellen Gewinn orientierter Veranstalter, so ist die heute ablaufende Massenorgie in Schwarz-Rot-Gold eine Gemeinschaftsproduktion der herrschenden Kräfte dieser Gesellschaft. Auf dieser Basis lässt sich die Unterstützung, wenn nicht Begeisterung für den nächste Krieg umso leichter herbei schreiben, wenn nicht befehlen.
Nie wieder Deutschland.

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