SoZ - Sozialistische Zeitung |
Der Frust ist groß. In den letzten zwei Monaten hat der ÖBG 8000
Mitglieder verloren. Nach 3040 Jahren Betriebsarbeit treten Mitglieder aus, die nur noch sagen: Macht
euren Scheiß alleine.
Der Imageschaden ist enorm. Forderungen nach Auflösung des ÖGB oder nach einem
"Scherbengericht" über seine Führungsriege geraten gefährlich in die Nähe von
Tendenzen des Unternehmerlagers, die Krise der ÖGB zu einer nachhaltigen Schwächung der
Gewerkschaftsbewegung auszunutzen. Die Spekulationsgeschäfte der Bawag und die Übernahme ihrer
Schulden durch den ÖGB stellen die Handlungsfähigkeit der österreichischen Gewerkschaften
und ihre bisherige Struktur in Frage.
Die finanziellen Verluste und die daraus
folgenden Einschnitte sind so groß, dass es mit einer "Reform" im Sinne von Lösungen
für Einzelfragen nicht getan sein wird. Jetzt kommt alles auf den Tisch, was sich in den letzten 50
Jahren an Unzufriedenheit über die strukturellen Schwächen des ÖGB angestaut hat. Die Linke
ist gefordert, zur Lösung des Gesamtproblems beizutragen, sie darf sich nicht auf die
Partikularinteressen ihrer kleinen Zusammenhänge zurückziehen. Umfassende Antworten und
gemeinsames Handeln sind gefragt.
1922 hat Karl Renner die "Arbeiterbank" gegründet. Sie war Teil der Wirtschaftsbetriebe,
die die sozialdemokratische Arbeiterbewegung neben den Organisationsformen Partei und Gewerkschaft
herausgebildet hat, zu denen auch Konsumgenossenschaften, Kleingartenanlagen, Wohnsiedlungen, Ferienheime
u.a. gehörten. Ihre Aufgabe war, an Lohnabhängige, Erwerbslose u.a. zinsgünstige
Kleinkredite zu vergeben. Ab 1934 wurde sie unter Staatskuratel gestellt. Nach 1945 fiel sie an die
Gewerkschaftsbewegung zurück. 1963 wurde sie in Bawag umbenannt, baute ein dichtes Filialnetz auf und
wurde zur viertgrößten Bank Österreichs. Jahrzehnte hindurch war ihre Hauptfunktion
weiterhin das Privatkundengeschäft der sog. "kleinen Leute". Über die Bawag bekamen
Beschäftigte sog. Betriebsrätekredite, womit sie sich eine Genossenschaftswohnung kaufen konnten;
die hießen so, weil der Betriebsrat sie vermittelte.
In den 80er Jahren kam die Bank in den Sog
der kapitalistischen Globalisierung. An ihre Spitze kamen nun Leute, die die Bank als rein kapitalistisches
Unternehmen führten. Die Versuchung, mit Spekulationen leichtes Geld zu machen, war groß.
In den frühen 90er Jahren macht ein
strebsamer Jung-Banker namens Wolfgang Flöttl an der Wall Street Karriere. Sein Vater, Bawag-
Generaldirektor Walter Flöttl, stellt ihm 23 Milliarden Schilling "Spielkapital" aus Bawag-
Mitteln zur Verfügung, das der Junior eifrig vermehrt. Als die Sache auffliegt, muss Flöttl 1994
aus den Geschäften aussteigen.
Ein Jahr später steigt Flöttls
Nachfolger an der Bawag-Spitze, Helmut Elsner, erneut ins Karibikgeschäft ein. Diesmal laufen die
Geschäfte nicht so gut: bis 2000 fallen erhebliche Verluste an, im Oktober 2000 sorgen Yen-
Spekulationen auf einen Schlag für 350 Millionen Euro Verluste. Die Bawag bleibt auf 1,3 Milliarden
Euro "Miesen" sitzen.
Bawag-Eigentümer ÖGB springt mit
einer Milliarden-Haftung ein, um die Bilanz 2000 zu retten. Teil der Haftung: der ÖGB-Streikfonds. Der
Kreis der Informierten (ÖGB-Präsident Verzetnitsch, Bawag-Aufsichtsratsboss Weninger und der
Bawag-Vorstand) wird klein gehalten, die übrigen Aufsichtsräte erfahren nichts. Zur
Verschleierung der Verluste, die nur schrittweise in der Bilanz untergebracht werden können, setzt die
Bawag das Briefkastenkarussell auf der Karibikinsel Aguilla in Gang.
Umfangreiche Geschäfte macht die Bawag
unter Elsner auch mit dem US-Broker Bennett und dessen Fondsgesellschaft Refco. Bennett wird 2005
entlassen, weil die Refco-Bilanzen seit 2002 nicht mehr verlässlich sind. Wegen Verdachts auf
Wertpapierbetrug wird er vorübergehend verhaftet. Am 14.Oktober des Jahres setzt die New Yorker
Börse den Handel mit Refco-Aktien aus.
Im Rahmen der Refco-Pleite fliegen die
Karibikdeals der Bawag auf. Refco-Gläubiger suchen Ende April bei einem US-Gericht um die Erlaubnis
an, von der Bawag mehr als 1,3 Milliarden US-Dollar (rund 1 Milliarden Euro) einzufordern und beschuldigen
die Bank der Beihilfe zum Betrug. Die Klage in den USA wird zunächst abgewendet. Vor dem US-
Konkursrichter enden die Verhandlungen mit einem Vergleich: Bawag-Konten mit 1,09 Milliarden Dollar werden
am 25.April "eingefroren", die Bank darf aber weiter Geschäfte in den USA betreiben. 158
Millionen Dollar werden sofort, 525 Millionen Dollar nach dem Verkauf der Bawag fällig. Nach Abschluss
des Vergleichs wird dem Verkauf der Gewerkschaftsbank nichts mehr im Wege stehen.
Anfang Mai wird ein Paket zur Bawag-Rettung
beschlossen. Der Bund gewährt eine bis Juli 2007 befristete Garantie von bis zu 900 Mio. Euro
das bedeutet, dass der ÖGB nun gewissermaßen unter politisches Kuratel gestellt ist. Banken und
Versicherungen stellen 450 Millionen Euro Besserungskapital zur Verfügung. Der ÖGB legt
gegenüber der Nationalbank den gut gehüteten Streikfonds offen.
Ohne dieses Paket wäre die Bawag-
Bilanz 2005 geplatzt. Die Bank wäre unter Aufsicht der Finanzbehörden gestellt worden.
Die Bawag soll verkauft werden. Welcher
Preis wird erzielt werden? Wird sie zu einem Dumpingpreis verscherbelt? Doch selbst wenn ein guter Preis
erzielt wird, fließt alles sofort in die Bedienung der Verluste.
Die "Reformkommission des ÖGB hat
am 24./25.Juni beschlossen, als erstes 70 Millionen Euro einzusparen. Die Struktur der künftigen
Reformen wurde nur angerissen die Stimmung scheint der Position der Metaller (also der rechten
SPÖ) zuzuneigen.
Der ÖGB ist 100%iger Eigentümer der Bawag. In den 90er Jahren übernahm die Bayrische
Landesbank kurzzeitig einen Anteil von 46%, den die Bawag jedoch unter Aufnahme eines Kredits
über 450 Millionen Euro wieder zurückkaufte. Der ÖGB-Vorsitzende sitzt im
Aufsichtsrat der Bank.
Gewinne der Bawag sind immer wieder dem
ÖGB zugeflossen. Insbesondere die Einnahmeverluste aus den Mitgliederrückgängen seit den
90er Jahren wurden durch Gewinnabschöpfung der Bawag ausgeglichen. Die Bawag hat dem ÖGB
jährlich um die 5060 Millionen rüber geschoben.
Bis 2005 haftete die Bawag allein für
ihre Gewinne und Verluste. Im vergangenen Jahr aber übernahm der ÖGB Verluste der Bawag in
Höhe von 1,3 Milliarden Euro. Als das vor kurzem rauskam, versuchte der neue ÖGB-Präsident
zuerst zu leugnen, dann war er bei der Sitzung anwesend, hat aber nicht unterschrieben, bis der Chef der
Fraktion christlicher Gewerkschafter und stellvertretende ÖGB-Vorsitzende, Karl Klein, bekannte: Alle
haben davon gewusst...
Die Gesamtsumme, mit der der ÖGB jetzt
verschuldet ist, beläuft sich auf rund 2,5 Milliarden Euro.
Das Jahresbudget des ÖGB belief sich
2005 (wie schon in früheren Jahren) auf rund 190 Millionen Euro seine Mitgliedseinnahmen
betrugen aber nur etwa 120 Millionen Euro. Das macht ein Jahresdefizit von 70 Millionen, das im
Wesentlichen aus Bawag-Gewinnen gedeckt wurde. Das fällt jetzt weg, der ÖGB ist auch strukturell
tief in den Miesen und muss seine Ausgaben drastisch senken.
Daneben besitzt der ÖGB Ferienheime,
eigene Betriebe, Beteiligungen (Aktien), Immobilien. Das reicht aber in keiner Weise an das heran, was die
Bawag dargestellt hat. Die Regierung fordert, dass dies alles jetzt verscherbelt wird.
Der ÖGB ist Dachorganisation für 13 Einzelgewerkschaften, deren Tätigkeit er koordiniert.
Darüber hinaus ist er auf gewerkschaftlicher Seite Ansprechpartner in allen sozialpartnerschaftlichen
Institutionen. Wenn z.B. in der Runde der Sozialpartner über Gesetzesvorlagen beraten wird, sitzt dort
der ÖGB. In dieser Funktion hat sich der ÖGB zu einer staatstragenden Institution entwickelt.
Anders ist es bei den Tarifverhandlungen, die führen die Einzelgewerkschaften.
Der ÖGB ist eine starke
Bundesorganisation. Alle Hauptamtlichen, die für die Gewerkschaften arbeiten (auch die der
Einzelgewerkschaften), werden vom ÖGB bezahlt es sind rund 1900 (davon 1500 für die
Einzelgewerkschaften) bei 1,3 Millionen Mitgliedern. Der ÖGB führt eigene Kampagnen und tritt vor
allem gesellschaftspolitisch in Erscheinung. So hat er vor zwei Jahren massiv gegen die Rentenreform
mobilisiert und zu einem dreitägigen Streik aufgerufen.
Die Krise des ÖGB trifft vermittelt
auch die Einzelgewerkschaften. Sie kassieren die Mitgliedseinnahmen (nicht der ÖGB) und führen
26% davon an den ÖGB ab, der dafür ihre Personalkosten übernimmt. Sie verfügen
über ein eigenes Budget, einige sind arm, andere reich.
Vor allem nach der Niederschlagung des
Oktoberstreiks 1950 hat sich im ÖGB mehr und mehr eine undemokratische Struktur herausgebildet: Es gab
keine großen Kämpfe mehr, die Entscheidungen wurden in immer kleineren "Herrenrunden"
getroffen.
Eine der größten Belastungen ist
die Kartellisierung der innergewerkschaftlichen Willensbildung. So werden die Delegierten zum ÖGB-
Bundeskongress nach einem komplizierten Schlüssel in Kontingente nach politischen Fraktionen, Branchen
und Regionen aufgeteilt. Alle Parteien sind im ÖGB als Fraktionen organisiert auch die
FPÖ, auch die KPÖ. Die Fraktionen bereiten die Sitzungen der Gewerkschaftsgremien auf allen
Ebenen vor und sprechen sich untereinander ab die Plenarsitzung danach zeichnet nur noch auf, was
vorher schon besprochen wurde. Rein innergewerkschaftliche Plattformen hingegen, die nicht parteipolitisch
orientiert sind, wie die AUGE, haben im ÖGB keinen Fraktionsstatus (die Regelungen in den
Einzelgewerkschaften weichen zum Teil davon ab). Mitglieder, die sich keiner Partei zugehören,
fühlen damit häufig von der Einflussnahme ausgeschlossen.
Es gibt derzeit drei Diskussionsebenen:
Der Bankrott und seine möglichen
organisatorischen Konsequenzen (eine davon könnte eine Neugründung des ÖGB sein, nicht im
Sinne einer "Rifondazione", sondern um den finanziellen Schaden so gering wie möglich zu
halten);
Welche Politik soll der ÖGB
machen? (Bruch mit der Sozialpartnerschaft, Öffnung zu neuen Schichten, internationale Orientierung,
usw.).
Die Demokratisierung des ÖGB und
der Einzelgewerkschaften (Fraktionen, Urabstimmungen usw.)
In der Diskussion sind verschiedene
Varianten:
Die konservativste läuft darauf
hinaus, das Finanzdebakel zu bereinigen um den Preis, den christdemokratischen Gewerkschaftern mehr Gewicht
zu geben und auf politischer Ebene eine große Koalition anzusteuern.
Eine andere will den Rückzug der
Einzelgewerkschaften oder auch territorialer Gliederungen wie der Länder auf sich selbst und die Lage
nutzen, um den ÖGB funktional zu schwächen, insbesondere seine gesellschaftspolitischen Referate
(Kampagnenreferat, Frauenreferat usw.). In dieser Variante ist die Gewerkschaft nur noch Servicebetrieb und
will allen politischen Gehalts entleert.
Eine dritte Variante fordert
Kassensturz (so der Chef der Eisenbahner) also eine politisch-organisatorische Neuformierung, die
Öffnung zu den sozialen Bewegungen, Kampagnenfähigkeit mithin einen weiter starken
ÖGB. Aus dieser Ecke kommt der Aufruf "Zeichen setzen", dessen Unterschriftensammlung
derzeit bei 5500 stagniert (www.zeichensetzen.at).
Dies alles sind Reformvarianten innerhalb
der sozialdemokratischen Mehrheitsfraktion.
Daneben gibt es den Gewerkschaftlichen
Linksblock (GLB/KPÖ) und die AUGE (Arbeitsgemeinschaft unabhängiger
GewerkschafterInnen/Grüne, Ex-KPÖ, Unabhängige). Sie fordern einen parteiunabhängigen
ÖGB, der eine Kampforganisation, keine Serviceeinrichtung ist, radikale Demokratisierung und
Transparenz, die Einbeziehung der Basis in den gewerkschaftlichen Entscheidungsprozess (z.B. durch
Urabstimmungen in wichtigen Fragen, die 50%-Frauenquote auf allen Ebenen; die Hinwendung zu den
"neuen" Beschäftigungsverhältnissen, zu den ausländischen Kolleginnen und
Kollegen, internationale Orientierung...).
Hermann Dworczak, Wien
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