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In den kommenden Monaten werden die Weichen gestellt, wie neu die neue Partei
aus WASG und LPDS tatsächlich sein wird. Der Zeitplan für die Fusion steht, jetzt geht es an die
Ausarbeitung von Programm und Satzung.
Das Berliner Zwischenspiel ist vorerst beendet. Der Bundesvorstand der WASG, die hinter ihm agierende
"Steuerungsgruppe" und die Berliner LPDS haben sich eine kräftige Ohrfeige eingefangen. Als
das Berliner Landgericht und nach ihm der Landeswahlausschuss (einstimmig!) Ende Mai feststellten, dass der
Berliner Landesverband der WASG das Recht hat, zur Wahl anzutreten, ruderte Klaus Ernst mächtig
zurück: Alles nicht so schlimm, soll er doch, er wird sich schon noch eine blutige Nase holen, wenn er
an der 5%-Hürde hängen bleibt. Vor Tische las es sich anders, da wurde dem eigenständigen
Wahlantritt noch angedichtet, an ihm würde die Fusion scheitern.
Aus der von ihm selbst gesuchten Kraftprobe
geht der Bundesvorstand beschädigt heraus. Das jetzige Ergebnis hätte er billiger haben
können hätte er die Weisheit besessen, auf jegliche administrative Maßnahmen zu
verzichten und den Konflikt rein politisch auszutragen. Stattdessen musste er sich von einem
bürgerlichen Gericht (wie Axel Troost erzürnt feststellte) eine Lektion in Sachen Demokratie
geigen lassen: Der Landeswahlleiter hat ja nicht die Absetzung des Landesvorstands (wegen Verstoßes
gegen einen Beschluss des Bundesparteitags) und die Einsetzung eines Kommissars kritisiert, sondern den
Tatbestand, dass der Kommissar die Wahlanzeige auf Weisung des Bundesvorstands zurückgenommen hat,
statt sich dafür das Votum des Landesparteitags zu holen. Letzteres hätte er allerdings
schwerlich bekommen, hatten die Berliner doch selbst dafür gesorgt, dass ein erneuter Landesparteitag
(der dritte in der Sache) nach dem Bundesparteitag die Berliner Entscheidung mit haushoher Mehrheit
bestätigte.
Beschämend daran ist allein, dass
erneut eine bürgerliche Instanz ein höheres Maß an Demokratie garantiert als eine
Organisation der Linken (oder der Arbeiterbewegung). Hier wiederholt sich im Kleinen, was sich zwischen DDR
und BRD schon im Großen abgespielt hat. Solange dies aber so ist, solange wird die Linke niemals
Glaubwürdigkeit erlangen.
Berlin ist nicht der einzige Fall
eklatanter Verstöße gegen demokratische Willensbildung. In Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen,
Mecklenburg-Vorpommern kann man ein Lied davon singen, wie vor und nach dem letzten Bundesparteitag
verschiedene Kreise vor Ort versucht haben, durch Manipulation von Redelisten und Abstimmungsverhalten
Vorstände abzusetzen und neue zu inthronisieren, die unpolitischer sind und sich deshalb leichter zum
willfährigen Vollzugsorgan von Vorständen eignen. In Köln war dieser Vorstoß gar von
einem Antrag begleitet, der Kreisverband habe sich in Zukunft nur noch mit kommunalpolitischen Fragen zu
beschäftigen alles darüber hinaus Gehende überschreite seine Kompetenz.
Woher kommt dieses Gerangel, noch bevor es
eine organisierte Debatte um die Grundlagen der Fusion gibt? Es kommt daher, dass manche die Weichen schon
organisatorisch gestellt sehen wollen, bevor sie politisch gestellt sind. Grob gesagt ist in der WASG die
Tendenz stärker geworden, die Fusion nur noch als Formsache zu betrachten. Folgerichtig kann es in der
Auseinandersetzung der kommenden Monate allein darum gehen, wer in der neuen Partei welche (Schlüssel-
)Posten besetzt.
Eine so aufgestellte WASG stellt keine
eigenen programmatischen Anforderungen an einen Parteineubildungsprozess mehr. Sie reflektiert auch nicht
mehr, weshalb sie sich eigentlich gegründet und nicht gleich der PDS angeschlossen hat. Keiner der
Gründe und es gab gute Gründe dafür wurde vom Bundesvorstand einmal inhaltlich
auf den Punkte gebracht und als Anforderung der WASG an eine neue Partei formuliert.
Das liegt daran, dass es diesbezüglich
in der WASG keine Einigkeit gibt. Die Meinungsverschiedenheiten laufen in wichtigen programmatischen Fragen
vielmehr quer durch beide Parteien. Deshalb ist es so wertvoll, dass sich nunmehr auch aus der PDS heraus
eine antikapitalistische Linke zu Wort gemeldet hat, die deutlich über das Spektrum der
Kommunistischen Pattform hinausgeht. Die Frontstellung WASG vs. PDS wäre falsch. Sie verläuft
vielmehr zwischen Regierungslinke und Nichtregierungslinke, und das ist eine Frage, die mehr umfasst als
den Streit, ob in eine Koalition geht.
Dennoch belastet die Farblosigkeit des Bundesvorstands der WASG den Fusionsprozess bzw. favorisiert die
konservativen Tendenzen in ihm. Einzig Oskar Lafontaine ist mit einer deutlichen Kritik an der
Privatisierungspolitik der Dresdner PDS und des Berliner Senats und mit einer Zuspitzung seiner
Antiprivatisierungsposition sichtbar an die Öffentlichkeit getreten und hat die PDS etwas unter
Zugzwang gebracht. Doch geht er nie soweit, dass er die Existenz solcher Positionen an führender
Stelle in Frage stellen würde.
Einzig Oskar und die Berliner. Die
Berliner haben ihr Recht erstritten, zu bestimmten Politiken, die die PDS treibt, Nein zu sagen. Sie halten
damit eine politische Auseinandersetzung am Kochen, die der Bundesvorstand bereits begraben hat. Bei der
Führung beider Parteien sind sie so verhasst, weil sie der lebendige Beweis dafür sind, dass die
Fusion kein Selbstläufer ist, sondern eine inhaltliche Herausforderung, an der auch die PDS nicht
vorbeikommt. Berlin mahnt immer wieder: Wenn die Fusion bestimmte politische Mindestvoraussetzungen nicht
erfüllt, wird sie ein Flop und es wird viele geben, die sie nicht mitvollziehen. Sie sind damit
nur die Speerspitze einer breiten Strömung in der Partei, die inhaltliche Anforderungen an eine neue
Partei hat.
In den letzten beiden Monaten haben sich in
LPDS und WASG zwei Strömungen herausgebildet, die auf unterschiedliche solche Anforderungen
formulieren. Dabei hat die PDS-Linke, die nach dem Geraer Parteitag keine hörbare Stimme mehr hatte,
entdeckt dass sie in der WASG Verbündete finden kann. Ihr Interesse an einer schnellen Fusion und
Zusammenarbeit mit der WASG-Linken ist ausgeprägt sichtbarer Ausdruck davon ist das Manifest
"Für eine antikapitalistische Linke", das von über 500 Mitgliedern aus beiden Parteien,
darunter einer Reihe von Abgeordneten, unterzeichnet worden ist (hier der Einfachheit halber "Berliner
Kreis" genannt).
Demgegenüber hat sich an der Berlinfrage und dem innerparteilichen Umgang damit eine kritische
Strömung innerhalb der WASG herausgebildet, die ganz ähnliche inhaltliche Kritikpunkte wie der
Berliner Kreis vorträgt, aber von einer anderen Warte aus: Für viele davon bedeutet die Fusion
mit der PDS eher, dass der neue Aufbruch, der mit der WASG versucht wurde, wieder zertreten wird. In diesem
Kreis, der Einfachheit halber nach dem Ort seiner ersten Zusammenkunft "Kasseler Kreis" genannt,
gibt es daher eine Tendenz, Anforderungen an die neue Partei als Sollbruchstelle zu definieren und in
Abgrenzung gegen die befürchtete Vereinnahmung vor allem eine eigenständige Identität
herauszubilden.
Inhaltlich bleibt die Arbeit an der
Definition dessen, was der politische Mehrwert einer Parteineugründung gegenüber einer einfachen
Ausweitung der PDS sein kann, durchaus noch zu leisten.
Das Treffen in Kassel versammelte am 20.Mai
etwa 280 Menschen. Es stand noch unter dem Eindruck der Beschlüsse des Bundesparteitags und verfolgte
das Ziel, eine Front gegen die in Ludwigshafen beschlossenen administrativen Maßnahmen aufzubauen. Die
demoralisierende Wirkung dieser Beschlüsse war durchaus spürbar: der Glaube, es könne aus
dem Fusionsprozess noch etwas Vernünftiges herauskommen, hat dadurch einen deutlichen Knick erfahren
was im Übrigen der erstmals rückläufigen Mitgliederzahl der WASG entspricht (sie
liegt derzeit bei 11600).
Dennoch gelang es, am Ende einstimmig eine
Erklärung zu verabschieden, die die Ablehnung administrativer Maßnahmen in den Mittelpunkt
stellte. Ausdrücklich enthält sie keine inhaltliche Wertung des Berliner Wahlantritts der
Kreis will auch für jene offen sein, die diesen für falsch halten. Im Übrigen waren auch in
Kassel die Meinungen darüber geteilt. Nicht alle jedoch stellen ihr Handeln eindeutig in den Rahmen
des anstehenden Fusionsprozesses und das ist eine Hypothek, die eine Klärung erfordert.
In Berlin ging man weniger souverän
mit der Berlinfrage um. Obwohl das Manifest schon im Vorfeld als kleine Broschüre kursierte und
prominente Unterschriften trägt, ging von dem Treffen am 10.6. keine Signalwirkung aus. Im Gegenteil,
man war merkwürdig bemüht, sich möglichst unsichtbar zu machen. Man tagte ganze zweieinhalb
Stunden, die an eine gut besuchte Veranstaltung von Solid angehängt wurden, die wiederum im Nachklapp
zum Landesparteitag der LPDS stattfand als äußerstes Ende des Rattenschwanzes sozusagen.
Die Formulierung eigener programmatischer
Positionen hat dieser Kreis den Kasselern durchaus voraus, doch kam das Manifest gar nicht zum Zuge, weil
es in letzter Minute durch eine "Erklärung" ersetzt wurde, deren Sinn und Zweck im Unklaren
blieb. Zu allem Überfluss wurde den Anwesenden darunter viele Berliner WASGler noch eine
Abstimmung über eine Passage aufgenötigt, die eine Distanzierung von den Berlinern enthielt
obwohl diese Frage nach dem Spruch des Landeswahlleiters längst gegessen ist und ihr Ergebnis
mit Fug und Recht "ausgesessen" werden kann.
Diese Mehrheitsabstimmung hinterließ
einen schalen Geschmack und weckt ihrerseits den Verdacht, der Wille zur Zusammenarbeit mit den Kasselern
sei jedenfalls nicht ungeteilt. Eindeutig kann man dies von der KPF sagen, die als loyale Opposition Ihrer
Majestät die größten Schwierigkeiten damit hat, dass es in der WASG Strömungen gibt,
die für ihre linken Positionen streitbar eintreten und den von der PDS vorgegebenen Rahmen nicht um
jeden Preis akzeptieren.
Der Hund liegt in der PDS begraben besser gesagt in den Teilen der Partei, die ihre
Daseinsberechtigung mit der Präsenz in Parlamenten und Regierungen erfüllt sehen und davon
leben. Der autoritäre Umgang mit den Berlinern geht zu großen Teil auf starken Druck aus der LPDS
zurück, die um jeden Preis eine Kandidatur links von sich zu verhindern suchte aus Angst, dies
könne sie um den Wahlsieg im September bringen. Ironischerweise bringen (bürgerliche)
Wahlumfragen an den Tag, dass die LPDS zu weiten Teilen ein anderes Wahlklientel anspricht als die WASG
weshalb ein Antritt oder Nichtantritt der Letzteren am Abschneiden der LPDS kaum etwas ändern
würde.
Sahra Wagenknecht hat auf dem Linkentreffen
in Berlin den Vorwurf erhoben, der eigenständige Wahlantritt der Berliner WASG würde die Linke in
der PDS schwächen. Der Vorwurf reicht weiter als die Berlinfrage. Er betrifft jede Position, die sagt:
Eine Fusion zum Nulltarif kann es nicht geben, die neue Partei muss sich weit deutlicher als die PDS als
antikapitalistische Oppositionspartei positionieren. Das betrifft nicht allein die Frage der
Regierungsbeteiligung, sondern auch solche Punkte wie Gysis Bekenntnis zum Patriotismus, die Haltung zur
EU-Verfassung, zu den Migranten, zum Verständnis von Partei und Bewegung usw. Es muss ein realer
Parteineugründungsprozess werden, nicht eine Einigung der beiden bisherigen Parteispitzen auf einen
kleinsten gemeinsamen Nenner.
Das Problem ist, dass die PDS einen solchen
Neuanfang nicht will und ähnlich wie in Berlin alles daran setzen wird, ihn zu verhindern. Sie kann
sich die neue Partei nur als Beitritt der WASG zur PDS vorstellen. Und dies hat einen einfachen Grund: Vor
jedem politischen Argument liegt das undurchsichtiges Parteivermögen und seine Bindung an die
Rechtsnachfolge der SED wie ein Felsbrocken, der den Weg zu Neuem versperrt. Der Berliner Kreis muss
klären, ob ein parteipolitischer Neuanfang sich mit einer solchen Hypothek belasten kann.
Angela Klein
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