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Ein Reisebericht von Deniz Aydin
DENIZ AYDIN befand sich im Frühjahr 2006 auf einer
zweiwöchigen Bildungsreise nach Israel und konnte bei dieser Gelegenheit mit Vertreterinnen und
Vertretern mehrerer Organisationen und Verbände sprechen.
Jedes Volk hat in Sorge um das eigene Überleben eine Erinnerungskultur geschaffen nur
diejenigen haben überlebt, die aus dieser Kultur einen Kult schaffen konnten. Der Ägyptologe und
Kulturwissenschaftler Jan Assman macht hierfür die Wiederholung gesellschaftlicher Riten, Schrift und
Architektur aus. Die Pyramiden des alten Ägypten, historische Schriften oder Heilige Bücher waren
und sind Formen gemeinschaftlicher Wiederholung. Später wurden diese Methoden auch dazu benutzt,
Nationen zu formen. Oft wurde dabei Unangenehmes oder nicht Passendes weggelassen.
Das "Andere" in einer Nation war
häufig Sündenbock oder Unrecht gegen die Gemeinschaft, das getilgt und verdrängt werden
musste. Als die Formierung von Nationen in Europa einsetzte, waren die Juden in vielen Nationen das
"Andere". So entstand ihr Wunsch, ins "Heilige Land" zurück zu kehren, dabei
bezogen sie sich auf ihr "Heiliges Buch". Nach dem Holocaust wurde das Verlangen nach
Rückkehr geradezu zu einem heiligen Recht für sie.
So fand meine Reise nach Israel unter dem
Blickpunkt des "Zachor" ("Erinnere dich"!) statt. Es umfasst die Geschichte vom Alten
Testament über den Holocaust bis zur heutigen Teilung des Landes mit Palästinensern. So waren
auch die Begegnungen organisiert. Da ich mich zum ersten Mal in Israel befand und mich mit diesem Land
außer mit dem Holocaust und der Palästinenserfrage nicht befasst hatte, kam mir alles interessant
bis befremdlich vor.
Bei der Einreise wie bei der Ausreise wurden die beiden nicht-deutschen Mitglieder der Delegation einer
umfangreichen Befragung unterzogen, wobei einer sogar einen deutschen Pass hatte, was aber nichts nutzte.
Sicherheit ist das A und O in diesem Land, weshalb auch der Armeedienst bei der Karriere eine wichtige
Rolle spielt. Ob sich dies durch Ehud Olmert ändern kann, bleibt eher abzuwarten. Olmert seit
April 2006 im Amt ist der erste israelische Ministerpräsident, der nicht vom Militär
kommt.
Manche meiner Gesprächspartner sind
zuversichtlich, dass der Militärdienst für das spätere Berufsleben nicht mehr eine so
große Rolle spielen wird wie früher. Mit einer Ausnahme: die IT-Technik. Mit diesem Wissen im
Gepäck hat man solide Chancen im späteren Beruf.
Das Sicherheitsbedürfnis in der
israelischen Gesellschaft ist in der traumatischen Erfahrung von Pogromen und schließlich dem
Holocaust sowie einer feindseligen Nachbarschaft begründet. Prof. Efraim Inbar, Sicherheitsberater
verschiedener Regierungen, sieht nur im Atomprogramm des Iran ein ernsthaftes Sicherheitsproblem. Von der
Sicherheit Irans und seiner Bedrohung durch die bereits existierenden Atomwaffen Israels spricht er nicht.
Er empfiehlt ohne Umschweife, die Anlagen zur Urananreicherung im Iran zu bombardieren, wie man dies vor 25
Jahren im Irak bereits vorexerziert habe. Nach seiner Meinung wird dies wenn nicht von den USA
dann mit Sicherheit von Israel unternommen werden. Palästinenser und Selbstmordkommandos sind
für ihn wiederum kein Problem. Deren Traum sei ausgeträumt und sie müssten wegziehen.
Neben "Kalten Kriegern" wie Prof.
Inbar gibt es zahlreiche Gesprächspartner, die sich ein gemeinsames Sicherheitskonzept mit den
Palästinensern sehr wohl vorstellen können. So fördert besonders die Bildungs- und
Begegnungsstätte Givat Haviva das Zusammenleben mit israelischen Arabern und achtet auf
paritätische Arbeitsplatzbesetzung. Auch die Organisation Ir-Amim versucht Gegenöffentlichkeit,
um das gleichberechtigte Zusammenleben im "Land der drei Religionen" zu fördern. Ir-Amim
tritt vor allem gegen die neue israelische Mauer auf. Nach Adva Rodogovsky von Ir-Amim begründet sich
die Mauer an manchen Stellen noch ein Zaun nicht aus einem Sicherheitsinteresse, sondern um
einseitig die Grenze eines palästinensischen Staatsgebietes festzulegen.
In der Stadt Bartaa im Norden der
Westbank kann man Mauer und Zaun nicht sehen. Dennoch ist sie und ihr genauer Verlauf in aller Köpfe
präsent. Wird man als Spaziergänger am falschen Ort erwischt, kann das schlimme Folgen haben. Die
Stadt wurde vor zwei Jahren aus "Sicherheitsgründen" geteilt. Die Hauser, Geschäfte und
auch eine kleine Fabrik wegen der hohen Arbeitslosigkeit für die Menschen sehr wichtig
wurden zerstört. Auch ein Arzt durfte die Kranken auf der "anderen Seite" nicht mehr heilen.
In der Nähe besuchen wir einen
Checkpoint. Einige Taxis und private Autos sind da. Eine Familie begeleitet ihren Besuch und wartet, bis er
nach der Kontrolle auf der anderen Seite zu sehen ist. Es wirkt gespenstisch einsam. Ein kleines Panzerauto
wartet mit Fahrer auf ein israelisches Kind, das zu seiner Siedlung gebracht werden soll. Es ist
natürlich gut geschützt zu werden, aber ob ein solches Kind Sympathien für
Palästinenser aufbringen kann, ist fraglich.
Die jungen Israelis, die wir getroffen haben, haben zu den zwei entscheidenden Fragen der israelischen
Gesellschaft: Holocaust und Palästinenser, eine eigene Einstellung. Die hängt auch von ihrem
Lebensort ab. In Tel Aviv hat man ein anderes Lebensgefühl, obwohl die Sicherheitslage dort nicht
weniger bedrohlich ist. Kein Vernünftiger würde dort öffentliche Verkehrsmittel benutzen.
Aber in einer Stadt mit einem belebtem Strand, mit vielen Cafés und einem regen Kunstleben, mit
Einwohnern, die sich als liberal bezeichnen, hat man ein anderes Gefühl als in Jerusalem. Dort
verursachen die Mauer, aber auch die umgebenden Hügel ein Gefühl der Enge.
Von den drei jungen Menschen, die wir in
Tel Aviv getroffen haben, sind zwei junge Frauen im Ausland geboren. Eine stammt aus Äthiopien, die
andere aus der Ukraine. Der junge Mann lebt in der dritten Generation in Israel. Seine Großeltern sind
aus Jemen eingewandert. Während seines Militärdienstes war er Offizier in einer Kampfeinheit. Die
Äthiopierin hat Zivildienst geleistet. Die Ukrainerin kann sich einen Dienst mit der Waffe
überhaupt nicht vorstellen. Im Grundsatz sind sich aber alle einig, ein jüdischer Staat habe
seine Berechtigung: "Israel ist ein Ort der Lebensrettung" oder "Israel ist ein Fakt",
heißt es. Der Ex-Soldat und jetzige Student der Physik und Chemie meint allerdings, sein
Schwarzweißbild habe sich geändert, seitdem er als verantwortlicher Offizier in Hebron
palästinensische Kinder gegen die eigenen israelischen Siedler schützen musste.
Unsere äthiopische
Gesprächspartnerin lehnt den Militärdienst ab, weil ihre Familie religiös ist. Für die
junge Ukrainerin jedenfalls gehört das Wort Krieg nicht zum Wortschatz. Selbst den Zivildienst lehnt
die Künstlerin ab. Gemeinsam ist ihnen, dass sie den Holocaust nicht als zentralen
Identitätspunkt sehen, nur einen unter mehreren.
Erst kürzlich hat der Filmemacher
Chanoch Zeevi den Film Dont touch my Holocaust gedreht und der Schriftsteller Amir Gutfreund den
autobiografischen Roman Unser Holocaust geschrieben. Die erste Generation wollte oder konnte darüber
nicht sprechen, die zweite Generation wusste, warum man nicht sprach. Die dritte Generation aber will
wissen und hat Fragen.
So erfahren wir über den Film, dass
der nationale Feiertag zur Erinnerung an die Holocaustopfer für manche eine Last ist, wobei die
anderen, die für die Opfer beten, dies auch als Last empfinden, wenn auch in anderer Weise. Chanoch
Zeevi will das schwarz-weisse Bild seiner Kindheit nicht mehr akzeptieren. Und Amir Zeevi denkt weiter:
"Andere Holocauste werden deshalb nicht anerkannt, weil unserer der schlimmste ist." Um erinnern
zu können, meint Amir Zeevi, muss das Erlebnis der Vergangenheit angehören. Aber die offizielle
Politik lässt es nicht in der Vergangenheit, sondern zerrt es mit aller Kraft ständig in die
Gegenwart. Dieser Begriff vom "anderen Holocaust" kommt mehrfach zur Sprache in
Deutschland würde dies rege Diskussion bis Kritik auslösen.
Seit langem organisiert die israelische
Schulbehörde Schülerreisen nach Auschwitz. Ziel ist, den Holocaust ins Bewusstsein zu rufen
wegen der eine Million Einwanderer in den letzten 10 Jahren bei insgesamt 7 Millionen Israelis. Dr.
Rachel Freudenthal, Historikerin aus Tel Aviv, kritisiert dies als nationalistische Ideologiebildung und
Holocausttourismus. Sie setzt sich besonders für das Zusammenleben von Israelis und
Palästinensern ein und organisiert Alternativreisen mit Begegnungen zwischen deutschen und
israelischen Jugendlichen. Dass die offiziellen Reisen tatsächlich den gewünschten Zweck
erfüllen, merken wir im Gespräch mit einer Schülerin. Sie hat sich nach der Fahrt nach
Auschwitz für den Militärdienst entschieden. Vorher war sie noch unentschlossen, weil sie eine
palästinensische Freundin hatte.
Ramallah ist eine gepflegte Stadt und nicht typisch für die Westbank und den Gaza-Streifen
einmal abgesehen vom dortigen Flüchtlingscamp.
Hier treffen wir junge Palästinenser,
die eine zweisprachige monatliche Jugendzeitschrift herausgeben und wöchentlich ein zweistündiges
Fernsehprogramm vorbereiten. Damit wollen sie Gleichaltrigen Mut machen und eine Alternative zu den
militanten Organisationen bieten. Die Kontakte zu israelischen Jugendlichen, die sie vor der zweiten
Intifada noch hatten, sind inzwischen völlig abgebrochen. Sie erzählen eindrucksvoll, wie
schwierig ihr tägliches Leben nach dem Mauerbau geworden ist. Zwischen zu Hause und der
Universität müssen sie teilweise fünfmal die Mauer durchqueren. Auf mich machte der Tag in
Ramallah einen einzigen Eindruck von Ohnmacht.
Die Vertreter der arabischen Minderheit in
Israel scheinen dagegen selbstsicher. In der Hafenstadt Akko merkt man kaum, dass man in Israel ist. Hier
sind 80% der Bewohner arabischer Abstammung so wie Mohammed Darawsche. Er ist israelischer Araber
und stolz darauf, dass seine Familie seit 800 Jahren hier lebt. Er zählt zu den ca. 164000, die nach
der Staatsgründung 1948 die israelische Staatsbürgerschaft beantragten. Israel war damals willig,
sie ihnen zu verleihen, weil jeder Bürger für die Anerkennung als Staat bei der UNO zählte.
Nicht alle Araber und Palästinenser
hießen das gut, weil die israelischen Araber von den Israelis je nach Lage immer für die eigenen
Interessen benutzt werden: Auf der internationalen Bühne werden sie umworben, auf der nationalen Ebene
werden sie in ihren Rechten beschränkt und zur Angstfigur aufgebaut. Die politische Propaganda wirkt:
67% der jüdischen Israelis sind überzeugt, dass ihre arabischen Mitbürger das Land verraten.
Dies führt inzwischen zu Strafaktionen.
Nach einem Urteil des Obersten Gerichts vom
Mai darf die Verwaltung palästinensischen Ehepartnern israelischer Araber weder eine dauerhafte
Aufenthaltserlaubnis noch die israelische Staatsbürgerschaft geben. Menschenrechtler bezeichnen dies
als unmenschlich und rassistisch. Trotzdem ist Mohammed Darawsche optimistisch, dass es in Israel
möglich ist, mit allen Gruppen Frieden zu schließen. Einen palästinensischen Staat findet er
nötig, aber deswegen würde er sein Zuhause nie verlassen.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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