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Kurz vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zeigt der mexikanische Staat zeigt wiedern sein
repressives Gesicht. Das Vorgehen gegen sozialen Widerstand erinnert viele an den Staatsterrorismus Ende
der 60er, Anfang der 70er Jahre.
Am 3.Mai kamen Mitglieder des "Volksbündnisses zur Verteidigung des Landes" (FPDT) aus
der Kleinstadt San Salvador Atenco Blumenhändlern im Nachbarort Texcoco zur Hilfe, die von der Polizei
geräumt worden waren. In dem nahe Mexiko-Stadt gelegenen Atenco spielte sich wenig später eine
lange Straßenschlacht zwischen Sicherheitskräften und FPDT-Mitgliedern ab. Ein unbeteiligter 14-
jähriger Junge wurde von der Polizei erschossen. Ein protestierender Student starb vor wenigen Tagen
an den Folgen einer Kopfverletzung durch eine direkt auf ihn abgefeuerte Tränengasgranate.
Am 4.Mai marschierten 3000
Polizeikräfte frühmorgens in den Ort ein, um "Recht und Ordnung" wieder herzustellen.
Es war eine Strafexpedition, die einer Erstürmung von Atenco gleichkam. In ihrem Verlauf
zerstörten die Einsatzkräfte Wohnungen, prügelten brutal auf die über 200
Festgenommenen ein, vergewaltigten mehrere Frauen auf dem mehrstündigen Hafttransport und
demütigten viele andere Frauen sexuell. "Es war die Hölle", so die Deutsche Samantha
Dietmar, die zusammen mit vier weiteren ausländischen Zeugen kurzerhand abgeschoben wurde.
Selbst die nicht besonders radikale
Staatliche Menschenrechtskommission (CNDH) hat das Vorgehen der staatlichen Ordnungshüter scharf
verurteilt. Ob das genauso wie die zahlreichen nationalen und internationalen Proteste tiefer gehende
Folgen haben wird, ist mehr als zweifelhaft.
In seiner lesenwerten Analyse "Atenco
und der schmutzige Krieg" legt der mexikanische Historiker und Schriftsteller Carlos Montemayor dar,
dass Zeitpunkt, Massenverhaftungen, allgemeine Vorgehensweise und das Übermaß an Gewalt
einschließlich der Demütigungen bei Operationen wie diesen nicht zufällig und improvisiert
seien, sondern frühzeitig geplant und normalerweise zwischen verschiedenen Sicherheitskräften
koordiniert würden die Aktion in Atenco wurde von der Präventiven Bundespolizei (PFP) und
Polizeieinheiten des Bundesstaats Mexiko durchgeführt.
Montemayor schreibt: "Es gibt keine
Trennung zwischen polizeilich-militärischer und politischer Gewalt." Dabei stellt er indirekt
immer einen Bezug zu dem schmutzigen Krieg vor dreieinhalb Jahrzehnten gegen die militärische und
zivile Opposition in Mexiko her: "Die soziale Botschaft, die von solchen Interventionen ausgeht, hat
eine solche Bedeutung, dass sie nicht ohne ein Mandat der politischen Autoritäten durchgeführt
werden können."
Warum die "soziale Botschaft"
gerade in Atenco abgegeben wurde, erklärt ein Blick auf das Volksbündnis zur Verteidigung des
Landes (FPDT). Die FPDT gehört nicht nur zu den Unterzeichnern der von den aufständischen
Zapatisten initiierten "anderen Kampagne". Die Organisation wurde 2001/2002 weit über San
Salvador Atenco hinaus bekannt. Damals war ihr Widerstand maßgeblich dafür verantwortlich, dass
die Regierung das Projekt eines neuen internationalen Großflughafens für Mexiko-Stadt aufgeben
musste. Diesem Vorhaben wäre viel Land der Bewohner von Atenco und weiterer bäuerlicher
Anliegergemeinden zum Opfer gefallen. Es platzten aber auch die Träume zahlreicher
Immobilienspekulanten, selbst in Regierungskreisen. Die FPDT war seitdem immer wieder in sozialen
Konflikten präsent und ist als radikale Opposition den Herrschenden ein Dorn im Auge. Ein Exempel
gegen sie zu statuieren, ist eine Warnung auch an andere Gruppen des sozialen Widerstands.
Dabei arbeiten die konservative Regierung
der Partei der Nationalen Aktion (PAN) unter Präsident Vicente Fox und die den Bundesstaat Mexiko
regierende Revolutionäre Institutionelle Partei (PRI) Hand in Hand. Beide setzen offenbar darauf, kurz
vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 2.Juli ein Klima der Angst zu schüren und mit
ihrer speziellen Version einer "Law-and-order"-Politik die verunsicherten Bürger hinter sich
zu scharen. Kurz vor Atenco hatte es schon bei einem Polizeieinsatz gegen streikende Minenarbeiter im
Bundesstaat Michoacán zwei Tote gegeben. Und kurz danach ordnete der PRI-Gouverneur im Bundesstaat
Oaxaca einen massiven Polizeieinsatz gegen streikende Lehrer an.
Beschämend ist das Verhalten der
links-moderaten Partei der Demokratischen Revolution (PRD) und ihres aussichtsreichen
Präsidentschaftskandidaten Andrés Manuel López Obrador. Kaum hörbar fordert sie eine
"Dialoglösung" und klammert ansonsten den Atenco-Konflikt aus. Entsprechend gibt es keine
Solidarität mit den Opfern. Sie hat Angst, zu den "Radikalen" gezählt zu werden und
Wählerstimmen zu verlieren.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die von der
EZLN initiierte "andere Kampagne" eine neue Bedeutung. Zapatistensprecher Subcomandante Marcos
unterbrach seine im Januar begonnene landesweite Rundreise zur Bündelung antikapitalistischer
Kräfte. Er will solange in der Hauptstadt weilen, bis die Gefangenen von Atenco frei sind und nimmt
eine wichtige Rolle bei den Protesten ein. Der "Delegierte Null" Marcos hört vor allem zu
und stimmt sich im Namen der EZLN in kleinem Kreis mit Hunderten von Organisation ab, die in der
traditionellen mexikanischen Parteipolitik keine Perspektive sehen.
Marcos hat auch seine Medienpolitik
geändert. Erstmals seit fünf Jahren gibt er wieder Interviews der Tageszeitung La Jornada
und sogar dem Privatsender Televisa, den er in der Vergangenheit immer wieder als einen der
Hauptverantwortlichen für die Desinformation der Öffentlichkeit kritisiert hat. Die Reaktion der
Zeitungskarikaturisten war beißend aber die "andere Kampagne" hat dadurch wieder
starke Beachtung gefunden.
Inzwischen hat der Subcomandante sein
Profil wieder deutlich zurückgenommen, was durchaus wohltuend wirkt. Die Zapatisten aber beschreiten
einen schmalen Grat zwischen ihrer grundlegenden Ablehnung aller traditionellen Parteien und ihrer Suche
nach einem Bündnis mit einem Teil der linken Zivilgesellschaft in den Städten, für die
Präsidentschaftskandidat López Obrador nicht einfach "die linke Hand der Rechten" ist,
sondern jemand, mit dem sie gewisse Hoffnungen verbinden. Der Erfolg dieser Gratwanderung wird für
ihre Zukunft bedeutend sein.
Kurz vor dem Stichtag 2.Juli läuft
alles auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen López Obrador und dem konservativen
Präsidentschaftskandidaten Felipe Calderón hinaus. Nachdem die Regierung Fox auf internationaler
Ebene jahrelang mit einem Menschenrechtsdiskurs punktete, hat sie nun deutlich gemacht, wie weit es damit
her ist. Der von ihr verteidigte "Rechtsstaat" ist autoritär und auf die Kriminalisierung
von sozialem Widerstand gerichtet. Es steht in der besten Tradition der im Jahr 2000 beendeten 71-
jährigen Herrschaft der PRI. Mit einem Imageschaden in der "internationalen
Wertegemeinschaft" ist das nicht unbedingt verbunden. Die 47 Mitgliedstaaten des neu geschaffenen UNO-
Menschenrechtsrats mit Sitz in Genf haben Mexiko ohne Gegenstimme den Vorsitz übertragen.
Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt
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