SoZ - Sozialistische Zeitung |
Wenn Wesen und Erscheinung, Wahrheit und Ideologie unmittelbar eins wären, wären Aufklärung
und Wissenschaft nicht nötig und die Politik eine einfache, transparente Sache. Auch im Fall von
Israels Krieg gegen den Libanon klafft eine solche Kluft. Eine Kluft jedoch, die diesmal recht schnell zu
durchschauen war.
Ging es, wie uns während der erste
Kriegswoche immer wieder beteuert wurde, um die beiden von der Hizbollah gefangen genommenen israelischen
Soldaten? Doch was ist aus diesen eigentlich geworden und wer redet noch von ihnen? Ging es um die
Bedrohung durch die Raketen der Hizbollah? Schon eher, doch ist die bloße Existenz von gegnerischen
Raketen bekanntlich noch keine Legitimation für einen Krieg, zumal keinen Präventivkrieg.
Ging es also einfach nur um den Kampf gegen
eine als terroristisch eingestufte libanesische Organisation, die man ihrer vermeintlich gerechten Strafe
zuführen wollte? Rechtfertigt ein solches Ziel jedoch die Bombardierung von Städten, die
Seeblockade eines ganzen Landes, die Zerstörung von dessen gesellschaftlicher Infrastruktur, die
Auslösung einer nachhaltigen Natur- und Umweltkatastrophe, das Flüchtlingselend von
Hunderttausenden, die weitere Destabilisierung einer weltpolitischen Region, die ohnehin zu den
gefährlichsten Zonen der Welt gerechnet wird und, ach ja, ich vergaß: die Ermordung von
anderthalb Tausend zumeist "unschuldigen" Menschen?
Oder war es "nur" die Rache
Israels für jene Demütigung, die die Hizbollah dem stolzen und wehrhaften Volk zufügte, als
sie maßgeblich dafür verantwortlich zeichnete, dass sich die israelischen Soldaten im Jahre 2000
aus dem besetzten Südlibanon zurückziehen mussten? Sicherlich spielt auch Rache hier eine Rolle,
doch die Rache zum treibenden Motiv moderner Kriegspolitik zu erklären, ist schon reichlich grotesk
auch wenn ein solches Sozialmuster im Zeitalter des Neoliberalismus eher zu- als abzunehmen scheint
in den Beziehungen zwischen Menschen, Gruppen und Staaten.
Auch Rache ist aber vor allem eine Frage der Gelegenheit. Und so wie die Gelegenheit Diebe macht, nutzen
Herrschende noch immer die mal mehr, mal weniger heimlichen Könige der Räuber und Diebe
Gelegenheiten, ihre Herrschaft zu sichern und zu erweitern. So auch in diesem Fall. Zunehmend
öffentlich eingestanden wird nun, dass Israels Krieg gegen den Libanon bereits seit langem geplant
war. Das sollte kaum überraschen: In den Schubladen der Herrschenden und ihrer Kopflanger liegen nun
mal die verschiedensten Pläne für die unterschiedlichsten Situationen, und je erfahrener die
Herrschenden und ihre Regierenden sind, desto vielfältiger ist das Reservoir an Plänen, auf das
sie zurückzugreifen imstande sind, und natürlich ihre Fähigkeit, schnell und flexibel
zwischen diesen zu wählen. Zu klären, d.h. aufzuklären, bleibt, welche Gelegenheit hier
genutzt wurde und zu welchem Ziel.
Israels Gelegenheit war durch die
abermalige Zuspitzung der Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern gegeben.
Hamas Wahlsieg, ihre Isolation durch die internationale Gemeinschaft, die Auseinandersetzungen
innerhalb der palästinensischen "Gemeinschaft" (von Bevölkerung oder Staat zu sprechen
wäre reichlich übertrieben), die zunehmende Aggression Israels gegen die Hamas und v.a. den
vermeintlich autonomen Gazastreifen, sowie der Versuch der Hizbollah, Hamas in dieser Neuformierung der
Kräfte zu unterstützen dies sind die Entwicklungen der letzten Monate, die einen Angriff
Israels auf den Libanon geboten erscheinen ließen, um die palästinensische Suche nach politischer
Einheit zu torpedieren und der Hamas weiteren Boden zu entziehen.
Auch weltpolitisch war die Gelegenheit
ausgesprochen günstig. In dem seit 2001 offen erklärten "Krieg gegen den Terror" sind
die Vorbereitungen zur nächsten Schlacht, dem Militärschlag gegen den renitenten Iran
abgeschlossen glaubt man jenen in der Regel glaubwürdigen Spatzen, die dies seit einiger Zeit
vom Dach pfeifen. Ein entscheidender Schlag gegen die Hizbollah, verbündet und verbandelt mit dem
Iran, mit Syrien und der palästinensischen Hamas, ist in diesem Zusammenhang einer der wichtigsten
Ziele der US-Geopolitik. Die Zerstörung ihrer militärischen und politischen Kraft wäre ein
wichtiges Mittel, dass ein möglicher Krieg gegen den Iran sich nicht so leicht auf Israel ausdehnen
könnte.
Diese Interessenkongruenz erklärt auch die an sich ausgesprochen verblüffende Offenheit, mit
der sich die USA mit ihren Warnungen vor einem schnellen Ende der israelischen Kampfhandlungen nun zum
Komplizen im Libanonkrieg gemacht und mehrere Wochen erfolgreich verhindert hat, dass "die
Weltgemeinschaft" gegen Israels Aggressionskrieg wenigstens diplomatisch Partei ergreift.
Die Einmütigkeit, mit der sich die
westliche Welt in den letzten Jahren hinter Israels vermeintlichen Sicherheitsinteressen versammelt hat,
und sich die arabische Welt andererseits unfähig und unwillig gezeigt hat, dieser vorbehaltlosen
Solidarisierung etwas entgegenzusetzen, ließen einen solchen Krieg führbar erscheinen. Und so hat
sich Israels Präventivkrieg gegen Hamas und Hizbollah unauflöslich mit dem Krieg des Westens
gegen den Terror im Allgemeinen und deren geplantem Krieg gegen den Iran im Besonderen verwoben.
Es ging und geht bei diesem Krieg also nur
sehr bedingt um eine inner-nahöstliche Angelegenheit. Was sich hier politisch wie militärisch
entfaltet hat, ist vielmehr die mörderische Logik des von den USA 2001 ausgerufenen und von den
führenden Staaten der "westlichen" Welt, auch von Deutschland, noch immer
erklärtermaßen mitgetragenen "Krieg gegen den Terror".
"Wer nicht für uns ist, ist gegen
uns", hatte US-Präsident George Bush seine Kriegserklärung von 2001 goutiert. Diese
Kriegslogik hat sich seitdem unerbittlich entfaltet und Stück für Stück auch die
Verbündeten der USA in ihren Bann geschlagen. Schröders und Fischers Aufbegehren gegen den
Irakkrieg war nur kurz und allzu opportunistisch. Prinzipiell erklärten sie sich und uns solidarisch
mit dem US-Feldzug ins 21.Jahrhundert. Und schon im Falle des Irakkriegs hat man den US-Aggressoren
zunehmend logistische und indirekte Hilfe zukommen lassen. Mit der Entsendung deutschen Militärs nach
Afghanistan und nach Afrika half man bei der Entlastung der kriegführenden USA. Und je mehr man sich
aus vermeintlicher Bündnistreue in diesen Krieg verstricken ließ, desto mehr galt jene
Kriegslogik, die auch illegale CIA-Folterflüge und BND-Geheimoperationen zu akzeptieren hatte.
So wenig wie Israel nun seinen dreckigen
Krieg nicht ohne Zustimmung und Unterstützung der USA und der westlichen Nationen führen konnte
und kann, so wenig konnten und können sich diese der Erkenntnis entziehen, dass der Krieg gegen den
Terror eben auch dreckiger Methoden bedarf, in Abu Ghraib und Guantánamo ebenso wie in Gaza, dem
Libanon und anderswo. Die manichäische Kriegslogik nach dem 11.September funktioniert auch
andersherum: Wer nicht voll und ganz gegen uns ist, ist für uns. Die internationale Kampagne gegen den
Iran, diesmal in engster Kooperation zwischen dem "alten Europa" und den USA, hat die gemeinsamen
Interessen der beiden weltpolitischen "Spieler" verdeutlicht. Auch wenn hier noch vor allem nach
dem Muster "guter Bulle, schlechter Bulle" gespielt wird Bulle bleibt Bulle.
Wie eng die Komplizenschaft Deutschlands
mit den kriegführenden USA und Israel mittlerweile gediehen ist, konnten wir beobachten, als auch CDU-
Kanzlerin Merkel und SPD-Außenminister Steinmeier während der ersten Tage und Wochen des
Libanonkriegs vor einer vorzeitigen Waffenruhe ausdrücklich gewarnt haben. Und wie lange hat es
gedauert, bis sich deutsche Journalisten trauten, den Krieg überhaupt Krieg zu nennen...
Die nun mehr schlecht als recht in Gang kommende UN-Mission kann vor diesem Hintergrund nur als
Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln erscheinen. Erst als sich Israel als unfähig erwies, ihre
wirklichen Kriegsziele, die militärische Entwaffnung und Vertreibung der Hizbollah aus dem
Südlibanon sowie ihre möglichst umfassende soziale und politische Isolierung im Rest Libanons, zu
erreichen, schlug nach mehreren Wochen des asymmetrischen Krieges erneut die Stunde der vermeintlich
humanitären Weltgemeinschaft.
Trug die erste, von den USA formulierte,
Fassung der UN-Sicherheitsresolution eindeutig die Züge imperialer Komplizenschaft, weil sie sich
vollkommen auf die Bekämpfung der Hizbollah im Libanon konzentrierte, lässt die neue, von
Frankreich dominierte und auf eine Erweiterung der alten UN-Schutztruppe im Libanon (UNIFIL) ausgerichtete
Fassung vom 11.August die meisten Fragen offen. Sie ist vage genug, damit die Kriegsparteien
Unterschiedliches in sie hinein interpretieren können. Und sie ist konkret genug, um Gewalt
anzuwenden. Man will alle vermeintlich notwendigen Schritte unternehmen, dass vom Südlibanon keine
feindlichen Operationen mehr ausgehen können, und lässt hierbei Israels Rolle weitgehend
außen vor.
Das Existenzrecht Israels zu sichern geht
jedoch nur, wenn auch die israelische Politik endlich in ihre Grenzen gewiesen und zur Rechenschaft gezogen
wird, wenn deutlich wird, dass das Problem nicht nur die Hizbollah ist, sondern eben auch (und vor allem)
die in Israel herrschende Politik ist. Ein stabiler, dauerhafter Frieden in Nahost ist nur mit einer
Lösung der Palästinafrage verbunden. Und von der sind wir nach dem Krieg weiter entfernt denn je.
Nicht zuletzt, weil es Israel mit der vor allem von Europäern bestückten und geführten UN-
Mission gelungen ist, die erlittene militärische Niederlage in einen politischen Sieg umzumünzen.
Bemühten sich "die Europäer" bislang um so etwas wie einen dritten Weg im
Nahostkonflikt, hat sie Israel nun in politische wie militärische Geiselhaft genommen.
Kaum ruhten die Waffen, da erging auch und gerade an die deutsche Bundesregierung die Bitte des
israelischen Premierminister und Kriegsverbrecher Olmert, dass sie sich an der internationalen Schutztruppe
beteiligen solle. Was noch vor wenigen Monaten als undenkbar schien: deutsche Soldaten in Nahost, war
daraufhin bemerkenswert schnell beschlossene Sache.
Man gibt sich zwar alle Mühe, zwischen
militärischer Hilfe und vermeintlich zivilen humanitären Mitteln zu unterscheiden. Fakt bleibt
jedoch, dass die Deutschen an der Umsetzung der UN-Pläne teilhaben und von den davon Betroffenen
künftig deutlicher als bisher als Kriegspartei wahrgenommen werden. Die Ende Juli entdeckten
Kofferbomben in Koblenz und Bonn sprechen hier, was auch immer ihre konkreten Hintergründe sind, eine
deutliche Sprache. Der Krieg der Barbareien geht nicht nur weiter, er kommt uns auch immer näher, denn
Deutschland ist Kriegspartei in einem "Krieg gegen den Terror", dessen Logik imperial und
mörderisch ist.
Das einzig rationale und humane Mittel
gegen den zeitgenössischen politischen Terrorismus ist und bleibt die Gerechtigkeit. Und die erfordert
mehr als nur eine Waffenruhe, die strukturell brüchig bleibt, solange nicht endlich Schluss gemacht
wird auch mit jenem Krieg des imperialistischen Westens, der allen anderen Weltkonflikten zunehmend seinen
Stempel aufdrückt.
Christoph Jünke
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