SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2006, Seite 03

Die Waffen ruhen

— der Krieg geht weiter

Wenn Wesen und Erscheinung, Wahrheit und Ideologie unmittelbar eins wären, wären Aufklärung und Wissenschaft nicht nötig und die Politik eine einfache, transparente Sache. Auch im Fall von Israels Krieg gegen den Libanon klafft eine solche Kluft. Eine Kluft jedoch, die diesmal recht schnell zu durchschauen war.
Ging es, wie uns während der erste Kriegswoche immer wieder beteuert wurde, um die beiden von der Hizbollah gefangen genommenen israelischen Soldaten? Doch was ist aus diesen eigentlich geworden und wer redet noch von ihnen? Ging es um die Bedrohung durch die Raketen der Hizbollah? Schon eher, doch ist die bloße Existenz von gegnerischen Raketen bekanntlich noch keine Legitimation für einen Krieg, zumal keinen Präventivkrieg.
Ging es also einfach nur um den Kampf gegen eine als terroristisch eingestufte libanesische Organisation, die man ihrer vermeintlich gerechten Strafe zuführen wollte? Rechtfertigt ein solches Ziel jedoch die Bombardierung von Städten, die Seeblockade eines ganzen Landes, die Zerstörung von dessen gesellschaftlicher Infrastruktur, die Auslösung einer nachhaltigen Natur- und Umweltkatastrophe, das Flüchtlingselend von Hunderttausenden, die weitere Destabilisierung einer weltpolitischen Region, die ohnehin zu den gefährlichsten Zonen der Welt gerechnet wird — und, ach ja, ich vergaß: die Ermordung von anderthalb Tausend zumeist "unschuldigen" Menschen?
Oder war es "nur" die Rache Israels für jene Demütigung, die die Hizbollah dem stolzen und wehrhaften Volk zufügte, als sie maßgeblich dafür verantwortlich zeichnete, dass sich die israelischen Soldaten im Jahre 2000 aus dem besetzten Südlibanon zurückziehen mussten? Sicherlich spielt auch Rache hier eine Rolle, doch die Rache zum treibenden Motiv moderner Kriegspolitik zu erklären, ist schon reichlich grotesk — auch wenn ein solches Sozialmuster im Zeitalter des Neoliberalismus eher zu- als abzunehmen scheint in den Beziehungen zwischen Menschen, Gruppen und Staaten.

Gelegenheit macht Diebe

Auch Rache ist aber vor allem eine Frage der Gelegenheit. Und so wie die Gelegenheit Diebe macht, nutzen Herrschende — noch immer die mal mehr, mal weniger heimlichen Könige der Räuber und Diebe — Gelegenheiten, ihre Herrschaft zu sichern und zu erweitern. So auch in diesem Fall. Zunehmend öffentlich eingestanden wird nun, dass Israels Krieg gegen den Libanon bereits seit langem geplant war. Das sollte kaum überraschen: In den Schubladen der Herrschenden und ihrer Kopflanger liegen nun mal die verschiedensten Pläne für die unterschiedlichsten Situationen, und je erfahrener die Herrschenden und ihre Regierenden sind, desto vielfältiger ist das Reservoir an Plänen, auf das sie zurückzugreifen imstande sind, und natürlich ihre Fähigkeit, schnell und flexibel zwischen diesen zu wählen. Zu klären, d.h. aufzuklären, bleibt, welche Gelegenheit hier genutzt wurde und zu welchem Ziel.
Israels Gelegenheit war durch die abermalige Zuspitzung der Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern gegeben. Hamas‘ Wahlsieg, ihre Isolation durch die internationale Gemeinschaft, die Auseinandersetzungen innerhalb der palästinensischen "Gemeinschaft" (von Bevölkerung oder Staat zu sprechen wäre reichlich übertrieben), die zunehmende Aggression Israels gegen die Hamas und v.a. den vermeintlich autonomen Gazastreifen, sowie der Versuch der Hizbollah, Hamas in dieser Neuformierung der Kräfte zu unterstützen — dies sind die Entwicklungen der letzten Monate, die einen Angriff Israels auf den Libanon geboten erscheinen ließen, um die palästinensische Suche nach politischer Einheit zu torpedieren und der Hamas weiteren Boden zu entziehen.
Auch weltpolitisch war die Gelegenheit ausgesprochen günstig. In dem seit 2001 offen erklärten "Krieg gegen den Terror" sind die Vorbereitungen zur nächsten Schlacht, dem Militärschlag gegen den renitenten Iran abgeschlossen — glaubt man jenen in der Regel glaubwürdigen Spatzen, die dies seit einiger Zeit vom Dach pfeifen. Ein entscheidender Schlag gegen die Hizbollah, verbündet und verbandelt mit dem Iran, mit Syrien und der palästinensischen Hamas, ist in diesem Zusammenhang einer der wichtigsten Ziele der US-Geopolitik. Die Zerstörung ihrer militärischen und politischen Kraft wäre ein wichtiges Mittel, dass ein möglicher Krieg gegen den Iran sich nicht so leicht auf Israel ausdehnen könnte.

Offene Komplizenschaft

Diese Interessenkongruenz erklärt auch die an sich ausgesprochen verblüffende Offenheit, mit der sich die USA mit ihren Warnungen vor einem schnellen Ende der israelischen Kampfhandlungen nun zum Komplizen im Libanonkrieg gemacht und mehrere Wochen erfolgreich verhindert hat, dass "die Weltgemeinschaft" gegen Israels Aggressionskrieg wenigstens diplomatisch Partei ergreift.
Die Einmütigkeit, mit der sich die westliche Welt in den letzten Jahren hinter Israels vermeintlichen Sicherheitsinteressen versammelt hat, und sich die arabische Welt andererseits unfähig und unwillig gezeigt hat, dieser vorbehaltlosen Solidarisierung etwas entgegenzusetzen, ließen einen solchen Krieg führbar erscheinen. Und so hat sich Israels Präventivkrieg gegen Hamas und Hizbollah unauflöslich mit dem Krieg des Westens gegen den Terror im Allgemeinen und deren geplantem Krieg gegen den Iran im Besonderen verwoben.
Es ging und geht bei diesem Krieg also nur sehr bedingt um eine inner-nahöstliche Angelegenheit. Was sich hier politisch wie militärisch entfaltet hat, ist vielmehr die mörderische Logik des von den USA 2001 ausgerufenen — und von den führenden Staaten der "westlichen" Welt, auch von Deutschland, noch immer erklärtermaßen mitgetragenen — "Krieg gegen den Terror".
"Wer nicht für uns ist, ist gegen uns", hatte US-Präsident George Bush seine Kriegserklärung von 2001 goutiert. Diese Kriegslogik hat sich seitdem unerbittlich entfaltet und Stück für Stück auch die Verbündeten der USA in ihren Bann geschlagen. Schröders und Fischers Aufbegehren gegen den Irakkrieg war nur kurz und allzu opportunistisch. Prinzipiell erklärten sie sich und uns solidarisch mit dem US-Feldzug ins 21.Jahrhundert. Und schon im Falle des Irakkriegs hat man den US-Aggressoren zunehmend logistische und indirekte Hilfe zukommen lassen. Mit der Entsendung deutschen Militärs nach Afghanistan und nach Afrika half man bei der Entlastung der kriegführenden USA. Und je mehr man sich aus vermeintlicher Bündnistreue in diesen Krieg verstricken ließ, desto mehr galt jene Kriegslogik, die auch illegale CIA-Folterflüge und BND-Geheimoperationen zu akzeptieren hatte.
So wenig wie Israel nun seinen dreckigen Krieg nicht ohne Zustimmung und Unterstützung der USA und der westlichen Nationen führen konnte und kann, so wenig konnten und können sich diese der Erkenntnis entziehen, dass der Krieg gegen den Terror eben auch dreckiger Methoden bedarf, in Abu Ghraib und Guantánamo ebenso wie in Gaza, dem Libanon und anderswo. Die manichäische Kriegslogik nach dem 11.September funktioniert auch andersherum: Wer nicht voll und ganz gegen uns ist, ist für uns. Die internationale Kampagne gegen den Iran, diesmal in engster Kooperation zwischen dem "alten Europa" und den USA, hat die gemeinsamen Interessen der beiden weltpolitischen "Spieler" verdeutlicht. Auch wenn hier noch vor allem nach dem Muster "guter Bulle, schlechter Bulle" gespielt wird — Bulle bleibt Bulle.
Wie eng die Komplizenschaft Deutschlands mit den kriegführenden USA und Israel mittlerweile gediehen ist, konnten wir beobachten, als auch CDU- Kanzlerin Merkel und SPD-Außenminister Steinmeier während der ersten Tage und Wochen des Libanonkriegs vor einer vorzeitigen Waffenruhe ausdrücklich gewarnt haben. Und wie lange hat es gedauert, bis sich deutsche Journalisten trauten, den Krieg überhaupt Krieg zu nennen...

Fortsetzung mit anderen Mitteln

Die nun mehr schlecht als recht in Gang kommende UN-Mission kann vor diesem Hintergrund nur als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln erscheinen. Erst als sich Israel als unfähig erwies, ihre wirklichen Kriegsziele, die militärische Entwaffnung und Vertreibung der Hizbollah aus dem Südlibanon sowie ihre möglichst umfassende soziale und politische Isolierung im Rest Libanons, zu erreichen, schlug nach mehreren Wochen des asymmetrischen Krieges erneut die Stunde der vermeintlich humanitären Weltgemeinschaft.
Trug die erste, von den USA formulierte, Fassung der UN-Sicherheitsresolution eindeutig die Züge imperialer Komplizenschaft, weil sie sich vollkommen auf die Bekämpfung der Hizbollah im Libanon konzentrierte, lässt die neue, von Frankreich dominierte und auf eine Erweiterung der alten UN-Schutztruppe im Libanon (UNIFIL) ausgerichtete Fassung vom 11.August die meisten Fragen offen. Sie ist vage genug, damit die Kriegsparteien Unterschiedliches in sie hinein interpretieren können. Und sie ist konkret genug, um Gewalt anzuwenden. Man will alle vermeintlich notwendigen Schritte unternehmen, dass vom Südlibanon keine feindlichen Operationen mehr ausgehen können, und lässt hierbei Israels Rolle weitgehend außen vor.
Das Existenzrecht Israels zu sichern geht jedoch nur, wenn auch die israelische Politik endlich in ihre Grenzen gewiesen und zur Rechenschaft gezogen wird, wenn deutlich wird, dass das Problem nicht nur die Hizbollah ist, sondern eben auch (und vor allem) die in Israel herrschende Politik ist. Ein stabiler, dauerhafter Frieden in Nahost ist nur mit einer Lösung der Palästinafrage verbunden. Und von der sind wir nach dem Krieg weiter entfernt denn je. Nicht zuletzt, weil es Israel mit der vor allem von Europäern bestückten und geführten UN- Mission gelungen ist, die erlittene militärische Niederlage in einen politischen Sieg umzumünzen. Bemühten sich "die Europäer" bislang um so etwas wie einen dritten Weg im Nahostkonflikt, hat sie Israel nun in politische wie militärische Geiselhaft genommen.

Kriegspartei Deutschland

Kaum ruhten die Waffen, da erging auch und gerade an die deutsche Bundesregierung die Bitte des israelischen Premierminister und Kriegsverbrecher Olmert, dass sie sich an der internationalen Schutztruppe beteiligen solle. Was noch vor wenigen Monaten als undenkbar schien: deutsche Soldaten in Nahost, war daraufhin bemerkenswert schnell beschlossene Sache.
Man gibt sich zwar alle Mühe, zwischen militärischer Hilfe und vermeintlich zivilen humanitären Mitteln zu unterscheiden. Fakt bleibt jedoch, dass die Deutschen an der Umsetzung der UN-Pläne teilhaben und von den davon Betroffenen künftig deutlicher als bisher als Kriegspartei wahrgenommen werden. Die Ende Juli entdeckten Kofferbomben in Koblenz und Bonn sprechen hier, was auch immer ihre konkreten Hintergründe sind, eine deutliche Sprache. Der Krieg der Barbareien geht nicht nur weiter, er kommt uns auch immer näher, denn Deutschland ist Kriegspartei in einem "Krieg gegen den Terror", dessen Logik imperial und mörderisch ist.
Das einzig rationale und humane Mittel gegen den zeitgenössischen politischen Terrorismus ist und bleibt die Gerechtigkeit. Und die erfordert mehr als nur eine Waffenruhe, die strukturell brüchig bleibt, solange nicht endlich Schluss gemacht wird auch mit jenem Krieg des imperialistischen Westens, der allen anderen Weltkonflikten zunehmend seinen Stempel aufdrückt.

Christoph Jünke

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