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Für den kommenden Herbst werden Entscheidungen der Großen Koalition zum Kombilohn erwartet.
Der Lohn muss der Leistung entsprechen und den angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner
Familie decken.
(Art.24 Abs.2 Landesverfassung NRW)
Im Juli stellte Arbeitsminister Müntefering im Rahmen der "Initiative 50plus"
Überlegungen zu einem Kombilohn für Ältere vor. Demnach sollen Bezieher von Arbeitslosengeld
I über 50 Jahre mit einem ALG-Restanspruch von mindestens 120 Tagen bei Annahme eines schlechter
entlohnten Jobs im ersten Jahr 50%, im zweiten Jahr 30% der Differenz zum vormaligen Lohn erhalten. Danach
entfällt die Förderung. Die Rentenversicherungsbeiträge sollen für die Förderdauer
auf Basis von 90% des früheren Lohn weitergezahlt werden.
Diese Weiterentwicklung des Hartz-Moduls
der sog. "Entgeltsicherung" für Ältere soll 250 Millionen Euro kosten und 50000
Betroffene in geringer entlohnte Jobs bringen. Damit ist Müntefering deutlich bescheidener als weiland
Kohls Arbeitsminister Blüm, der 1998 100000150000 Langzeiterwerbslose per Kombilohn in den
Niedrigstlohnsektor bringen wollte. Mit der Kombilohndiskussion wurde damals ein Richtungswechsel in der
staatlichen Arbeitsmarktpolitik eingeleitet von der Förderung und Stützung regulärer
Beschäftigung zur politisch forcierten Ausweitung und Ausgestaltung des prekären
Niedriglohnsektors.
Ein gewisser Zug zur Bescheidenheit war der Debatte über die öffentliche Subventionierung von
Niedriglöhnen anfangs als "Wunderwaffe" gepriesen allerdings von Beginn an zu
eigen. Vorstellungen eines Einsatzes in großem Stil scheiterten regelmäßig an den enormen
Kosten. Zum anderen haben sämtliche bisherigen Modellversuche die Kritiker bestätigt, die
erhebliche Drehtür- und Mitnahmeeffekte und allenfalls geringe positive Beschäftigungswirkungen
vorhersagten.
Die bundesweite Erprobung des "Mainzer
Modells" musste 2003 nach nur einem Jahr wegen offensichtlicher Erfolglosigkeit abgebrochen werden.
Aus solchen Gründen, aber auch, um dem Einstieg in den Kombilohn öffentliche Akzeptanz zu
sichern, nahm die Diskussion zunehmend Kurs auf begrenzte, am Arbeitsmarkt besonders benachteiligte
Zielgruppen bei relativ kurzer Dauer der Lohnsubventionierung. NRW-Arbeitsminister Laumann (CDU) schlug
etwa einen Kombilohn für die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von behinderten
Menschen, gering Qualifizierten und Älteren in begrenzten, vom Markt nicht ausreichend besetzten
sozialen Dienstleistungsfeldern vor. Ein politischer Vorteil solcher Einstiegskonzepte liegt darin, dass
sie bei den gewerkschaftlichen Führungen eher Kooperations- als Widerstandsbereitschaft wecken.
Dass sich die Kombilohnidee trotz geringer
Praktikabilität und Effektivität so hartnäckig hält, dürfte vor allem darauf
zurückzuführen sein, dass ihr die Vorstellung einer reinen Marktpreisbildung für
Arbeitskräfte zugrundeliegt. Nach neoliberaler Diagnose ist bekanntlich Arbeit zu teuer und die
Massenerwerbslosigkeit Folge überhöhter Arbeitskosten. Daher gelte es, durch Freisetzung der
Marktkräfte am Arbeitsmarkt niedrigere, "markträumende" Preise für Arbeit
durchzusetzen und insbesondere den Niedrigstlohnsektor auszubauen.
Dem steht die Erwartung gegenüber,
dass Vollzeitbeschäftigte von ihrem Lohn auch leben können müssen. Bei Kombilohn kann sich
der Arbeitgeber auf die Zahlung eines Vollzeitlohns beschränken, der sich "am Markt
rechnet", auch wenn man davon nicht leben kann. Um leben zu können, wird das Einkommen aus
Steuermitteln aufgestockt. Dabei ist der Begriff Kombi-"Lohn" insoweit irreführend, als
"Lohn" die arbeitsvertraglich geschuldete Gegenleistung des Arbeitgebers für die
Arbeitskraft ist. Eher handelt es sich um ein Kombieinkommen aus Niedrigstlohn für die Arbeit und
staatlichem Zuschuss für die "Existenzsicherung".
In der eingangs zitierten
Verfassungsbestimmung drückt sich dagegen das in der Gründungszeit des westdeutschen Sozialstaats
allgemein anerkannte Verständnis aus, dass die Kapitalseite die angemessene Existenz (und
Reproduktion) der Lohnabhängigen zu gewährleisten hat. Was "angemessen" bedeutet, wird
durch Tarifverträge bestimmt und ist in jedem Fall mehr als der fürsorgerechtlich definierte
"notwendige" Lebensbedarf (ALG II oder Sozialhilfe). Angemessene Entlohnung sollte Armut trotz
Vollzeitarbeit ausschließen.
Nach diesem Verständnis hätte der
Staat die Arbeitgeber per Mindestlohngesetz zur Zahlung mindestens existenzsichernder Löhne zu
verpflichten, wenn die Kraft der Gewerkschaften nicht ausreicht, um dies auf tarifpolitischem Wege zu
garantieren. Für die neoliberale Idee, dass Arbeitskräfte Waren wie alle anderen seien und sich
die Lohnhöhe allein danach zu richten habe, was der Markt "akzeptiert", war hier kein Raum.
Der Kombilohn bricht nun radikal mit dem Existenzsicherungsanspruch gegen den Arbeitgeber und deutet die
Frage der Existenzsicherung von Arbeitnehmern zu einem "sozialpolitischen" Problem um, für
dass die Allgemeinheit (der Staat) zuständig sei.
De facto sind Kombieinkommen schon seit längerer Zeit bekannt. Schon zu Zeiten des alten
Sozialhilferechts hatten Haushalte von Niedriglöhnern Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe. Die
politisch geförderte Ausweitung von prekärer Beschäftigung und der mit Hartz IV geschaffene
Zwang, die Hilfebedürftigkeit etwa durch Annahme eines Minijobs zu verringern, hat mittlerweile rund
eine Million Erwerbstätiger hervorgebracht, die aufstockendes ALG II beziehen müssen. Ganz
überwiegend handelt es sich hier indes um Minijobber und prekäre Teilzeitbeschäftigte. Die
Einkommensaufstockung bei Vollzeitbeschäftigten ist noch die Ausnahme.
Traditionelle arbeitsmarktpolitische
Förderinstrumente für Arbeitgeber (z.B. Lohnkostenzuschüsse) unterscheiden sich von
Kombieinkommen trotz ähnlich arbeitgeberfreundlicher Wirkung systematisch dadurch, dass sie den
Arbeitgeber nicht aus der Verpflichtung zur Zahlung regulärer Entgelte entlassen. Der mit dem
Ausgleich von Leistungsminderungen gerechtfertigte Lohnkostenzuschuss soll umgekehrt den Arbeitgeber darin
unterstützen, dieser Verpflichtung auch nachzukommen.
Angesichts der kaum lösbaren
fiskalischen und arbeitsmarktpolitischen Probleme, die mit der Einführung von Kombieinkommen in
großem Stil verbunden sind, verfolgen die Neoliberalen das Kapitalinteresse an Befreiung vom
Existenzsicherungsanspruch und an "markträumend" niedrigen Löhnen zunehmend unter den
Überschriften "bedingungsloses Grundeinkommen" oder "solidarisches
Bürgergeld".
Die entsprechenden Vorschläge von
HWWI-Chef Thomas Straubhaar, vom thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) oder dem
skurrilen Drogeriemarktkönig Götz Werner zielen darauf, dass der Staat eine grundsätzliche
Existenzsicherungsverpflichtung für alle Bürgerinnen und Bürger übernimmt. Auch bei
Arbeitnehmern ginge sie damit von den Arbeitgebern auf den Staat über. In der Folge kann das
Lohnniveau insgesamt abgesenkt werden. Was hier als "sozialpolitische" Reformidee daher kommt und
auch von manchen Linken beklatscht wird, bedeutet tatsächlich "Kombilohn für alle".
Was immer die Große Koalition im
Herbst zum Thema Kombilohn tatsächlich vorstellen wird, wird ein weiterer Förderbaustein für
den Niedriglohnsektor sein. Die Folgen für die unmittelbar Betroffenen zeigen sich spätestens
nach Ablauf der befristeten Subventionierung, wenn sie ohne Zuschuss auf dem Niedriglohn sitzen bleiben.
Münteferings vorrangiges Interesse gilt Maßnahmen, die sich flankierend zur beschlossenen
Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre als "Förderung der Beschäftigung Älterer"
verkaufen lassen. Allerdings kann er sich auch die unter 25-Jährigen als Zielgruppe vorstellen. Schon
aus fiskalischen Gründen dürfte die Zahl der potenziellen Kombilöhner recht begrenzt und von
den rund 300000 "1-Euro"-Pflichtarbeitenden weit entfernt bleiben. Auch deshalb wird die Debatte
um öffentlich subventionierte Niedrigstlöhne weitergehen.
Daniel Kreutz
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